Tichys Einblick
Berliner Flop

Waffenruhe in Libyen? Abwarten ….

Vielleicht ist es an der Zeit sich einzugestehen, dass die Losung Frieden schaffen ohne Waffen zwar ein wunderbarer Traum sein mag, doch für die reale Welt wenig taugt. Zumindest dann, wenn es um Macht, Öl und Einfluss geht und die eine Seite kurz vor dem Sieg und die andere kurz vor der Niederlage steht.

Libyen-Konferenz in Berlin, 19.01.2020

Odd Andersen/AFP/Getty Images

Welch ein Aufriss! Frau Bundeskanzler, assistiert durch den Außenministerdarsteller, begleitet von dem UN-Chef als Größtem der Großen und ein paar Nebendarstellern. Die Creme-de-la-creme der internationalen Politik hatte sich bereits verabschiedet, als Angela Merkel am Sonntagabend vor die Hauptstadtpresse trat.

Waffenruhe für Libyen habe man vereinbart. Die beiden dort gegeneinander angetretenen Herren – der von der UN anerkannte a‘Saradj und der General Haftar – hätten in getrennten Gesprächen zugestimmt und würden dieser Tage jeweils fünf Unterhändler benennen, die dann aus der Waffenruhe einen Waffenstillstand machen sollen, aus dem dann die internationale Politik einen Frieden für das vom Krieg gezeichnete Land baut. Bundesdeutsche Medien jubelten: Merkel schafft Waffenstillstand! Auch wenn eine Waffenruhe noch weit von jedem Waffenstillstand entfernt ist.

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Doch auch mit der Waffenruhe scheint es nicht weit her zu sein. So meldeten am Montag sowohl die National Libyan Army des Haftar als auch die Kämpfer des Government of National Accord des Saradj weitere Gefechte aus der hart von Haftar bedrängten Hauptstadt Tripolis. Aus der Gegend um Misrata im Zentrum des restverbliebenen Areals der Saradj-Regierung wurden Luftangriffe der NLA-Luftwaffe gemeldet. Gleichzeitig verkündeten sowohl die Ölproduzenten auf Haftar-Gebiet wie die unter Sardf-Regie das Ende der Ölförderung. Grund: Der Treibstoff der modernen Energieversorgung kann das Land nicht mehr verlassen. Haftar hatte schon am Sonnabend den wichtigsten Exporthafen geschlossen.

Möglich, dass sich die vorgeblich vereinbarte Waffenruhe noch nicht bis in jeden Truppenteil herumgesprochen hatte. Möglich aber auch, dass Haftar, der seinen Gegenspieler auf Gegenseitigkeit so wenig mag, dass man ein persönliches Treffen in Berlin vermeiden musste, noch einmal darüber nachgedacht hat. Und zum Ergebnis gekommen ist, dass UN-Generalsekretär und die Frau Bundeskanzler Unsinn erzählten, als sie fast im Chor sangen, dass eine militärische Lösung des Konfliktes ausgeschlossen sei.

Tatsächlich ist sie genau das nicht. Sie soll es nur sein, denn andernfalls stünden die internationalen Tagungsmarathonisten vor vollendeten Tatsachen, zu denen weder der UN-Generalssekretär noch die Deutsche irgendetwas beigetragen hätten.
Tatsächlich sieht es so aus, dass Haftar so gut wie gewonnen hat. Nicht ohne Grund hatte Saradj bereits vergangene Woche von der UN gefordert, umgehend Schutztruppen in das Land zu schicken. Sollte sagen: Internationale Armee-Einheiten, die ihn und seine Regierung ohne Reich vor dem Gegner retten sollten. Wozu es in Kürze zu spät sein könnte, denn Haftars Kämpfer stehen kurz davor, das Zentrum der Stadt zu zerschneiden und das Regierungsviertel zu übernehmen.

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Nimmt Haftar Tripolis, hat er Libyen. Dann könnte er sich auch jener im Süden des Landes noch marodierenden Islammilizen annehmen, die mit Geiselnahme und Durchreisehilfe für Schwarzafrikaner ebenso wie mit Öl- und Waffenschmuggel ihr Geld verdienen. Insofern mag sich Haftar gesagt haben: Das, was da in Berlin verkündet wurde, kennt nur einen Verlierer – mich. Denn es dient maßgeblich dazu, den machtlosen Präsidenten Saradj in seiner Position zu halten. Und warum sollte Haftar daran ein Interesse haben, wenn er in absehbarer Zeit allein über Libyen bestimmen könnte?

Dieweil in Berlin und Brüssel man sich noch des diplomatischen Erfolgs erfreut und bereits ebenso darüber streitet, wie die Bundeswehr am Friedenseinsatz zu beteiligen wäre, als auch fordert, den ausgesetzten EU-Migrantenimport über das Mittelmeer wieder durch eine EU-Marinemission zu übernehmen (was dann die Wege der NGO-Schlepper deutlich verkürzen und deren Effizienz erhöhen würde), wittert Konferenzteilnehmer Erdogan, als Osmane mit den Macht- und Täuschspielen am östlichen Mittelmeer bestens vertraut, bereits den Unrat.

Einerseits betont er, dass reguläre Truppen der Türkei noch nicht in Libyen angekommen seien – woraus zu schließen ist, dass die bei Tripolis gesichteten Militärfahrzeuge der Türkischen Armee von Militärberatern gefahren werden – , andererseits ließ er am Montagnachmittag wissen: „Wir sehen, welche Art Spiele gespielt werden unter dem Kleid des Kampfes gegen den Terrorismus in Libyen.“

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Damit meint der kleine Sultan nicht nur jene Ägypter, Saudi und Emiraten, die Haftar massiv unterstützen, sondern auch jene Institutionen, die mit ihren Beschlüssen vom Wochenende seinem Traum vom Großosmanischen Mittelmeerreich einen Riegel vorgeschoben haben. Und insofern ist nicht ausgeschlossen, dass auch für Erdogan die Waffenruhe nur ein weiterer, diplomatischer Irrtum ist. Denn der Muslimbruder wittert selbst all überall Terroristen, die es zu bekämpfen gilt: In Syrien die Kurden und die Anhänger des Präsidenten – und in Libyen Haftar und dessen Unterstützer, zu denen auch Russland gehört.

Vielleicht ist es an der Zeit sich einzugestehen, dass die Losung Frieden schaffen ohne Waffen zwar ein wunderbarer Traum sein mag, doch für die reale Welt wenig taugt. Zumindest dann, wenn es um Macht, Öl und Einfluss geht und die eine Seite kurz vor dem Sieg und die andere kurz vor der Niederlage steht.

Als PS nun noch ein kurzer Nachtrag zur Berichterstattung der vergangenen Woche: Am Freitag ging, nachdem der Botschafter sich bei der Deutschen Welle beschwert und TE darüber berichtet hatte, in aller Hektik dann doch noch eine Einladung an das unmittelbar betroffene Tunesien. Dort lehnte man nun allerdings nonchalant ab: Zu kurzfristig, um sich sinnvoll beteiligen zu können …

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