Tichys Einblick
Nächste Instanz

Verfahren gegen Claudia Roth geht weiter

Das Landgericht Stuttgart stuft die Behauptung der Grünen-Politikerin als „substanzarm“ ein – lehnte aber den Erlass einer einstweiligen Verfügung ab. Das Verfahren geht jetzt in die zweite Runde.

Cuneyt Karadag/Anadolu Agency/Getty Images

„Der umstrittene Publizist Roland Tichy ist mit einer Klage gegen Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth vor Gericht gescheitert“, verkündete mit triumphierendem Unterton der Deutschlandfunk nach dem Urteil des Landgerichts Stuttgart, das eine einstweilige Verfügung gegen die Bundestags-Vizepräsidentin ablehnte. Und die Süddeutsche Zeitung kommentierte: „Der Betreiber von Tichys Einblick gibt sich gern als Kämpfer für Meinungsfreiheit. Als die Grünen-Politikerin Claudia Roth ihn harsch kritisiert, verklagt er sie.“ Das Münchner Blatt suggeriert damit, wer für Meinungsfreiheit eintritt, müsse sich deshalb ehrabschneidende Behauptungen gefallen lassen.

Und genau darum geht es in dem Verfahren: Roland Tichy und sein Anwalt Joachim Steinhöfel sehen in Roths Behauptung eben keine Meinungsäußerung, sondern eine falsche und ehrenrührige Tatsachenbehauptung – für die sie in dem Verfahren auch keine Belege präsentieren konnte.

In der Sache Tichy ./. Roth
Claudia Roth pöbelt nicht. Sie lässt pöbeln
Ausgangspunkt des Verfahrens war ein Interview Roths im Oktober 2019, in dem die Grünen-Politikerin gesagt hatte: „Wir müssen die Stichwortgeber benennen, all diese neurechten Plattformen, deren Geschäftsmodell auf Hetze und Falschbehauptungen beruht – von Roland Tichy über Henryk M. Broder bis hin zu eindeutig rechtsradikalen Blogs.“

Die Zivilkammer in Stuttgart sah darin keine Tatsachenbehauptung, sondern eine „substanzarme Meinungsäußerung“. Ihre Äußerung sei zudem im Rahmen des politischen Meinungskampfes gefallen, an dem sich Tichy mit Veröffentlichungen auf seiner Online-Plattform beteiligt. Er müsse sich als Akteur der öffentlichen Meinungsbildung auch überspitzte Äußerungen wie die von Roth gefallen lassen.

Eine Meinungsäußerung müsste sich Roland Tichy und TE tatsächlich gefallen lassen – hier zieht das Bundesverfassungsgericht die Grenzen sehr großzügig. Aber es gibt kein Recht auf die ungestörte Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen.

Da TE die Behauptungen über ein angebliches Geschäftsmodell von „Hass und Hetze“ aber nach wie vor als Behauptung falscher Tatsachen sieht, geht das Verfahren gegen Claudia Roth in die nächste Runde. Joachim Steinhöfel legte noch am Tage der Verkündung des Urteils Berufung zum 4. Zivilsenat des OLG Stuttgart ein.

Steinhöfel begründet den Schritt so: „Die entscheidende Rechtsfrage ist, ob es sich bei der unsachlichen Attacke von Frau Roth um eine Meinungsäußerung handelt – dann wäre sie zulässig – oder um eine Tatsachenbehauptung, dann hätte Roth den Wahrheitsbeweis anzutreten.
Dass Roth es durchaus für möglich erachtet, dass es sich hier um eine Tatsachenbehauptung handelt, ergibt sich daraus, dass sie im Verfahren umfangreich, wenngleich vergeblich, versucht hat, eben diesen Wahrheitsbeweis zu liefern.“

Eine Bitte
Verteidigen Sie die Pressefreiheit
In ihrem Schriftsatz hatte die von Johannes Eisenberg vertretene Roth einige Beiträge attackiert, die auf TE erschienen waren, und deren Aussage ihr offenbar nicht passte. In keinem Fall konnte sie allerdings darlegen, dass es sich um „Hass”, „Hetze” oder Falschbehauptungen handelte. Übrig blieb jeweils die Feststellung Roths, dass sie die Aussagen der Artikel ablehnt – was ihr gutes Recht ist.

Mit ihrer ursprünglichen Behauptung eines auf „Hass und Hetze beruhenden Geschäftsmodells“ von TE hatten ihre Ausführungen vor Gericht allerdings kaum etwas zu tun. Daher auch das Diktum des Gerichts, Roths Aussage sei „substanzarm“ und „überspitzt“. Aber eben Meinung, und deshalb zulässig.

Die Berufung von TE stützt sich im Wesentlichen auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der in einem sehr ähnlichen Fall urteilte. Dort ging es um die unzutreffende Behauptung, jemand sein „durch Verlogenheit zu Geld“ gekommen. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs stellte das eben keine Meinung dar, sondern müsse von der Öffentlichkeit als Tatsachenbehauptung verstanden werden.

Das nächste Verfahren muss nun zeigen, wie die Richter Roths Invektive sehen.
Roth selbst tat nach dem Urteil zu ihren Gunsten so, als hätte die Meinungsfreiheit gesiegt, und als wolle TE ihre Meinungsfreiheit einschränken.

„Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie“, meinte sie gegenüber der Augsburger Allgemeinen, „wenn ausgerechnet diejenigen mit dem Versuch scheitern, eine zulässige Meinungsäußerung gerichtlich verbieten zu lassen, die selbst mehr als einmal in der Kritik standen, die Grenzen der Sagbaren gezielt verschieben zu wollen. Wer lauthals austeilt, beim leisesten Widerspruch aber vor Gericht zieht, macht sich wenig glaubwürdig.“

Wo genau TE „die Grenzen des Sagbaren“ verschieben wollte, sagt Roth nicht, ebenso wenig, wo diese Grenzen ihrer Ansicht nach verlaufen, und wer über sie bestimmt.

Die Unterstellung, „Hass, Hetze und Falschbehauptung“ sei das „Geschäftsmodell von TE“, nennt sie allen Ernstes „leisen Widerspruch“. In Wirklichkeit widerspricht sie nicht einem einzigen Beitrag von TE in öffentlicher Diskussion inhaltlich – sondern verleumdet ein ganzes Medium pauschal. Und das mit dem Gewicht einer stellvertretenden Bundestagspräsidentin, die in ihrem Amt eigentlich mäßigend wirken soll.

Claudia Roth hat natürlich das Recht, sich als Kämpferin für Meinungsfreiheit zu inszenieren, die von TE verfolgt wird. Darüber kann sich die Öffentlichkeit ihr Urteil bilden.