Tichys Einblick
Politischer Aschermittwoch

Keine Corona-Pannen in Bayern – Nur Sorge um Söders Frisur

Beim Passauer Aschermittwoch der CSU gibt Söder Berlin und Brüssel die Schuld an Corona-Pannen. „Ja zu grüner Politik, aber ohne Grüne“, sagt er und gibt der FDP neuerdings Priorität als Koalitionspartner. Über seine Haarlänge sollen die Bürger entscheiden.

picture alliance/dpa/dpa Pool | Peter Kneffel

Es hat nicht gut angefangen mit dem politischen Aschermittwoch der CSU: Zuerst wurde die „Digitalkönigin“ Dorothee Bär angekündigt, aber sie hörte nichts. Klar, weder ihre App noch sonst ein Versprechen hat sie als pompös angekündigte Digitalministerin eingelöst. Dafür, sagt der Moderator, habe sie sich „gut zurecht gemacht“ mit einem piepsig grellblauem Kitsch-Dirndl und ebenso piepsiger Stimme: „Hör nix, hör nix, hör nix“. Warum sollte es ihr besser gehen als dem Bürger, der vergeblich auf schnelles Internet wartet? Manchmal ist die Welt doch gerecht. Schein ist allein, was zählt im digitalen Bayern der Bär, nicht Bits.

Ob man CSU-Chef Söder mag oder nicht, eines steht fest, er ist ein hundertprozentiger Profi mit genau kalkulierter Wirkung zur passenden Zeit. Er kann die Stimmungslage der Deutschen treffsicher einschätzen. Niemand braucht Umfragen, um die Frustration und Säuernis über alle Parteigrenzen hinweg zu kennen und vor allem zu spüren. Hauptkritikpunkte: Die versprochenen schnellen Hilfen für Unternehmen und Selbständige und das große Impfwunder. Während die Ersteren immer noch auf die Zahlungen für November warten, geschah auch kein Impfwunder, sondern das größte Fiasko seit langer Zeit.

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Doch Söder wäre nicht Söder, wenn er nicht die Schuldigen weit ab von Bayern orten würde. Für die Schlampereien bei den staatlichen Entschädigungen trage der Bund die Verantwortung. Hier, so der Mann, der als Bayerischer Löwe übt, sei das Maß des Erträglichen erreicht und schnelle Abhilfe geboten. Die Schuld für den Mangel an Impfstoffen müsse erwiesenermaßen auf das Konto der EU gehen – einfach unprofessionell! Der Bayerische Rechnungshof, so Söder mit geschwellter Brust, hätte das Ganze mit bayerischer Perfektion über die Bühne gebracht, was er mit guten Bayernzahlen in der Pandemiebekämpfung untermauerte. Die aufgebaute Kulisse für Söder war Alpen-Kitsch. Billiger Klamauk, das dem modernen Bayern nicht Rechnung trägt, sondern seine Bürger als kreischende Model-Hooligans veralbert. Es kann ja sein, dass Söder, der Franke, damit in Altbayern Punkte machen will. Aber wer will einen Folklore-Dödel als Kanzler? Da geht es um mehr als Kulisse.

Wer im nur virtuellen Saale oder an den TV-Geräten dabei nicht an die Kanzlerfähigkeit Söders gedacht hat, muss bar jeder emotionaler Wahrnehmung sein. Ansonsten bedankte sich der Spitzenpolitiker für die Geduld und das Mitmachen der Deutschen in der Befolgung der Corona-Maßnahmen, die man aus Gründen der Vernunft noch eine Weile aushalten müsse.

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Wie dieser Passauer Aschermittwoch der CSU aus jeder gewohnten Tradition dieses normalerweise so bayerisch-urwüchsigen Treffens herausfiel, wo keine Maß voll war, war der Hauptredner maßvoll und der aktuellen Situation entsprechend leise. Schwere verbale Attacken auf die politischen Mitbewerber fielen in diesem Jahr aus. Einzig die Grünen bekamen einen deutlichen Rüffel vor den Latz. Wer Einfamilienhäuser abschaffen und die Leute in kommunale Wohnblocks stecken wolle, sei für die CSU nicht koalitionsfähig. Er, so Söder, wolle grüne Politik, aber ohne Grüne. Das ist neu. Söder hat gewittert wie der Dackel den Dachs, dass seine Anbiederei bei den Grünen ihm wenig hilft und Wählerstimmen kostet. Das Original ist immer überzeugender als die Stammtisch-Kulisse im Fernsehstudio.

Selbstredend baute der Bayern-Führer zugleich wieder eine unüberwindliche Mauer gegenüber der AfD. Wieder machte auch er damit den Fehler, einzelne bizarre Aussagen dieser Partei zur Begründung heranzuziehen, ohne zu bedenken, dass er damit auch alle Wähler als Gegner der Demokratie diffamiert. Die SPD, der derzeitige Koalitionspartner im Bund, kam mit der Feststellung davon, dass ihr Kandidat Olaf Scholz zwar seriös und anständig sei, die Fäden in der SPD aber die Linken in der Hand hielten.

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Die anstehenden Wahlen in Ländern und Bund dürften zeigen, ob diese Rechnung der Union aufgeht. Typisch für Markus Söder war die über Nacht neu formulierte Tonlage gegenüber der FDP. Hatte er die Liberalen noch vor kurzem als bündnisunfähig abqualifiziert, genießen sie seit diesem Aschermittwoch wieder die erste Priorität für die Union als Ganzes. Die anhaltend guten Umfrage-Ergebnisse für die Grünen mögen ein Grund für die neuen sanften Gesten in Richtung FDP sein.

Ansonsten fiel auf, dass diesmal ein eher nachdenklicher Söder in Passau zu Gast war. Immer wieder kleine Pausen mit zur Seite geneigtem Kopf und gefühligen Augen. Richtig menschelte es, als er von seiner Mutter berichtete, die kurz vor ihrem Sterben beim letzten gemeinsamen Geburtstag ihres Mannes stolz auf ihre perfekte Frisur war. Deswegen verstehe er die große Bedeutung der Öffnung der Friseurläden am 1. März, für die er in Berlin gekämpft habe. Gleichzeitig – ein Schelm, wer Böses dabei denkt – betonte er an dieser Stelle, dass mit dem bundesweiten und europapolitischen Anspruch der CDU und Bayerns weiter fest zu rechnen sei.

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Den eigentlichen Joker aber zog er dann aus der Tasche. Wenn er am Morgen im Spiegel seine immer länger werdenden Haare sehe, frage er sich, ob er sie nicht einfach so lang lassen sollte, vielleicht nur die Koteletten etwas kürzen müsse. Dann wollte er von den Bayern und überhaupt den Deutschen wissen, was sie denn für besser hielten – kürzen oder lang lassen? Man möge es ihm doch mitteilen. So was nennt man Boulevard pur und zieht den Hut davor. Aber es kommt noch besser: In allernächster Zeit werde er die durch Corona bedingten Probleme vieler Kinder zur „Chefsache“ machen und dazu zeitnah einen Kindergipfel in München einberufen.

Die Professionalität, mit der die Generalsekretäre dieses traditionsreiche Spektakel im digitalen Zeitalter ohne menschliche Direkt-Kontakte organisiert hatten, beeindruckte, wobei ausgerechnet während des live zugeschalteten Grußwortes des neuen CDU-Vorsitzenden und möglichen Kanzlerkandidaten, Armin Laschet, der Ton über längere Zeit auf digitalen Abwegen wandelte, was aber seinen Worten zum unbedingten Schulterschluss von CDU und CSU keinen Abbruch tat.

Es war ein wenig vorgetäuschter Friedensschluss der Konkurrenten. Dem Zuschauer geht es wie der hilflosen Problem-Bär im Dirndl: „I hör nix. I hör nix“. Vielleicht hört der Zuhörer sogar, aber er glaubt es nicht.

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