Tichys Einblick
TE-Anfrage an Polizeidirektion Leipzig

Die rechtsradikale Neujahrsrandale mit „Sieg Heil“ entpuppt sich als Facebook-Phantasie

Auch im sächsischen Borna soll es an Silvester gewalttätig zugegangen sein. Zwei junge Deutsche gelten als tatverdächtig. Mit Sieg-Heil-Rufen, von denen in einem Facebook-Post die Rede war, reicht es SPD-Chef Lars Klingbeil und Journalisten schon für Framing als „rechtsradikal“.

IMAGO / Gottfried Czepluch
Auch die Polizeidirektion Leipzig stimmt in die chorische Einschätzung ein, dass die Aufhebung der Corona-Beschränkungen im Zusammenspiel mit relativ warmen Temperaturen dazu führte, dass „das Zusammenfinden und Feiern in der Öffentlichkeit wieder vollumfänglich möglich war“. Also an sich etwas Positives. Aufgrund des erwarteten „hohen Personenaufkommens in der Öffentlichkeit“ wurde folglich der Streifendienst verstärkt.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Vor allem im berüchtigten, links-anarchistisch geprägten Stadtteil Connewitz wurden größere Personenansammlungen „im mittleren dreistelligen Bereich“ festgestellt. Unrat wurde auf den Straßen entzündet. Nichts, was man dort nicht erwarten würde. Die Polizei rückte schließlich mit Wasserwerfern an, um die Brände zu löschen. Allerdings wurden die Beamten und ihre Fahrzeuge dabei mit Feuerwerkskörpern und anderen Gegenständen beworfen. Auch hier seien Dienstfahrzeuge beschädigt worden.

Die Große Kreisstadt Borna hat nur etwas weniger Einwohner als der Leipziger Stadtteil Connewitz, beide liegen etwas über 19.000. Anscheinend versuchten einzelne Jugendliche in Borna, den großen Weihnachtsbaum, den die Stadt immer im November auf dem Marktplatz aufstellt, zu Fall zu bringen. Das sei schon mehrmals so passiert, wie eine Pressenotiz vermeldet. Und es geschah auch in dieser Silvesternacht, indem Feuerwerkskörper abgefeuert wurden. Die Polizei spricht von Versuchen, den Baum in Brand zu setzen, und ermittelt wegen Landfriedensbruchs und Sachbeschädigung.

Vermummte Chaoten: Skimasken, die „zu denken geben“

Auch sonst war das Benehmen der Menschenmenge von rund 200 Personen nicht tadellos. Angeblich wurden Raketen in Richtung der Polizei abgefeuert. Eine Beamtin wurde um ein Haar getroffen, ein Funkwagen beschädigt. Daneben entstand ein noch unbezifferter Sachschaden auf dem Platz und an umstehenden Gebäuden. Bilder zeigen versengte und verbeulte Mülleimer und einen ramponierten Kiosk. Anscheinend wurde auch das Rathaus mit Raketen beschossen und dabei Fenster und Fassade beschädigt. Aufgrund der Schwere der Krawalle sucht die Polizei in einem gesonderten Aufruf nach Zeugen und Bildbeweisen. Zwei Presseberichte, die kurz nach Neujahr erschienen, geben den Verdacht wieder, dass es es sich bei den Jugendlichen um Personen mit Migrationshintergrund handeln könnte. Die versammelten Personen sollen außerdem „teilweise vermummt“ gewesen sein. Nichts Genaues scheint bekannt.

Berliner Polizei legt Abschlussbericht vor
Interne Bilanz der Berliner Silvesternacht: Wenn ganze Viertel den Staat bekämpfen
Das sind freilich noch keine Neuköllner oder Connewitzer Dimensionen. Aber dass das Sicherheitsgefühl in Borna ein anderes ist und sein soll, unterliegt weder einem Zweifel noch irgendeiner Kritik. Oberbürgermeister Oliver Urban (SPD) will sich die „gute Stube“ der Stadt nicht zerstören lassen und fordert Schadenersatz. Auch online, vor allem auf Facebook, begann eine rege Diskussion der Bornaer, etwa unter dem Bild eines beschädigten Mülleimers, das der OB geteilt hatte. Da geht es um den Sinn und Unsinn von Böllerverbotszonen, Kameraüberwachung und größerer Polizeipräsenz. Wie es eben in Online-Foren ist: Die Meinungen gehen hin und her und werden mit allen denkbaren Argumenten unterstützt.

Damit war die Diskussion aber noch nicht zu Ende. Denn während man die Täter zunächst im Migrantenmilieu vermutet hatte, wurden noch in der Tatnacht zwei tatverdächtige Deutsche (beide 19 Jahre alt, offenbar ohne Migrationshintergrund) gestellt, wie auch die Polizeidirektion Leipzig mitteilt. Das regte nun die Phantasie einiger Kommentatoren offensichtlich so sehr an, das die Debatte an Fahrt aufnahm. Es soll also auch deutschstämmige Chaoten geben. Welche Neuigkeit! Hinzu kam: Die besagten Vermummten haben laut einer Facebook-Nutzerin „Skimasken“ getragen, und das gebe ihr „zu denken“. Unklar bleibt, worauf Skimasken im politischen Sinne (oder welchem Sinn auch immer) hindeuten: vielleicht Links- oder Rechtsradikale oder doch Migranten?

Launiger Online-Kommentar als Anhaltspunkt im Strafverfahren?

Ein Artikel auf dem Nachrichtenportal t-online zitierte diesen Kommentar neben anderen als authentische „Anwohnermeinung“ und kanalisierte so die anschließende Diskussion in Presse und sozialen Medien. Ein zweiter ebenfalls von t-online zitierter Nutzerkommentar macht die Sache eindeutig und mundgerecht. Für TE war er trotz eingehender Suche nicht auffindbar. Hinweise von Lesern ergaben, dass der Kommentar tatsächlich existiert hat. Er stammt demnach von der Wahlkampfhelferin des Oberbürgermeisters, Angelika H., die die entsprechende Formulierung wie nebenbei in einen längeren Text zum Böllerverbot einstreut. Die Kommentatorin spricht aber, genau besehen, im Irrealis, wenn sie zunächst mehr Kameraüberwachung fordert, um dann fortzufahren: „So könnte man die hirnlosen Idioten ausmachen, die in der Silvesternacht nichts besseres zu tun hatten als mit ‚Sieg….‘ und Knaller durch die Stadt zu marschieren.“

Inzwischen scheint der Nutzerkommentar gelöscht worden zu sein. Doch wenn man den Text in eine beliebte Suchmaschine eintippt, dann erscheinen neben Pressemeldungen auch mehrere Einträge vom Facebook-Profil des Bornaer OBs mit einer Vorschau auf den zitierten Text. Warum wurde der Kommentar also gelöscht? Wagte er sich auf ein nun wirklich fragwürdiges Gelände vor?

Doch die seltsame Formulierung ging nicht unter, sondern zeitigt weitere Wirkungen. Sie wird aufgegriffen, aus der Versenkung geholt und bundesweit über diverse Medien, auch öffentlich-rechtliche, verbreitet. Offensichtlich passte sie zu schön in ein Framing, das die Berliner Krawallmacher aus der migrantischen Szene entlasten soll. Aus einem vereinzelten Online-Kommentar wurden dabei manchmal die angeblichen Berichte mehrerer „Anwohner“, die es so nie gab. Laut ntv wurden „Sieg Heil“-Rufe „registriert“. Kurz zuvor waren die Rufe im ARD-Presseclub vorgekommen und landeten später in einem Twitter-Posting der ARD. Vermutlich wird man das Motiv bald auch im Spiegel wiederfinden, der zuständigen ARD-Redakteurin im Hauptstadtbüro hat es schon einmal gefallen. Und Hasnain Kazim war ja auch mal bei dem Blatt beschäftigt.

Doch was hat es wirklich damit auf sich? Wie ein Anruf bei der Polizeidirektion Leipzig ergab, ist eigentlich noch alles im Fluss in dieser Ermittlung. Eine Sprecherin der Polizei teilte TE mit, dass die Berichte über Skimasken und die verbotenen „Sieg Heil“-Rufe Teil der Ermittlungen seien. Man sei noch dabei, die Zeugen zu kontaktieren, damit sie ihre Aussagen für das laufende Strafverfahren wiederholen können. Doch andere Zeugenaussagen in diesem Sinn gebe es nicht. Die Anwesenheit vermummter Personen kann die Polizei dagegen aus eigenen Erkenntnissen bestätigen.

Bis jetzt geht es also um zwei oder drei Online-Kommentare, die von t-online zu einem Artikel gemacht wurden. Auch den kritischen Kommentar einer weiteren Nutzerin nimmt Autor Andreas Raabe in seinen Artikel auf: Gegen die Vermutung, es könnte sich bei den Randalierern um „seit 2015 ins Land geholtes Fachpersonal“ handeln, wendet sie ein, das sei ja „solch ein Käse“. Wie gesagt, die Meinungen gehen auseinander.

Es bleibt der Eindruck, dass einzelne Twitterati und Medienschaffende nach einer Woche Diskussion über die in mehreren Städten eskalierte Migrantengewalt an Silvester einen Kontrapunkt herbeisehnten. Also nahm man die erste vermischte Meldung aus Sachsen zum Anlass, um eine rechtsradikale Neujahrsrandale zu konstruieren – so wie vorher ein missverständliches Zitat von Boris Pistorius als Argument für rechtsextreme Täter herhalten konnte (der niedersächsische Innenminister hat das inzwischen dementiert).

Doch die Ermittlungen der Polizei Sachsen sind keineswegs abgeschlossen. Selbst wenn es in diesem Fall bei einigen deutschen Tatverdächtigen bleibt, ist die Zuweisung ins rechtsradikale Milieu voreilig. Aber bekanntlich bleibt immer ein bisschen hängen, und so können die linken Twitterer zumindest behaupten, dass nicht jede Randale an Silvester von Migranten ausging – was mit Blick auf Leipzig-Connewitz sicher richtig ist.

Ganz egal jedenfalls, wer am Ende der Ermittlungen als verantwortlich für Zerstörung und Randale feststehen wird: Er oder sie sollte genauso rigoros bestraft werden wie die Zerstörer und Randalierer aus Berlin und anderen Städten der Silvesternacht.

Anzeige