Tichys Einblick
Lauterbach warnt vor Schließungen

Nun wackelt auch noch die Versorgung mit Krankenhäusern

Karl Lauterbach warnt vor schließenden Krankenhäusern. Der Gesundheitsminister schützt die „Energiekrise“ als Grund vor. Doch die Ursachen reichen tiefer – und gehen auch auf Lauterbach zurück.

IMAGO / NurPhoto

„Karl Lauterbach warnt“ ist ein festes Genre in deutschen Medien geworden. In dieser Rubrik ist der Gesundheitsminister nun wieder unterwegs. Doch dieses Mal geht es nicht um „absolute Killervarianten“, die Lauterbach (SPD) beschwört. Es geht um Krankenhäuser: „Wenn wir da nicht schnell und auch wirklich drastisch reagieren, kommt es zu Schließungen“, warnt der zuständige Minister im Bericht aus Berlin der ARD. An diesem Dienstag verhandelt er mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) um eine Lösung – ein neues „Sondervermögen“ werde es aber nicht geben, sagt der Gesundheitsminister.

Lauterbachs Aussage ist auch eine Reaktion auf die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Die hatte auf eine Finanzlücke von rund 15 Milliarden Euro für dieses und kommendes Jahr hingewiesen. Die Krankenhäuser fordern mehr staatliche Unterstützung, um die explodierenden Strompreise bezahlen zu können. Es drohten sonst „drastische Liquiditätsprobleme“.

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Nun belasten die explodierenden Strompreise sowie die allgemeine Inflation auch Krankenhäuser. Aber deren Probleme sind älter. Vielfältiger. Das zeigt der Blick auf den „Orientierungswert“, den das Statistische Bundesamt ermittelt. Der ist die Basis für Verhandlungen zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern. Demnach sind die Sachkosten im ersten Halbjahr 2022 um 6,04 Prozent im Vergleich zum ersten Halbjahr 2021 gestiegen. Die Personalkosten sogar um 6,10 Prozent. Diese Rechnung enthält noch nicht alle Faktoren. So hat die allgemeine Inflation mit dem Beginn des zweiten Halbjahres weiter an Tempo zugelegt. Und Gehaltserhöhungen für Pfleger enthalten diese Zahlen auch noch nicht.

Nun sind aber genau diese Gehaltserhöhungen bitter notwendig. Denn den Krankenhäusern fehlt es an Personal. Auch hier ist die Situation dramatisch, auch hier kann sie zu Schließungen führen. Jedes fünfte „High Care Bett“ sei schon jetzt gesperrt, warnte die „Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin“ (Divi) im vergangenen Herbst. „High Care Betten“ sind für Patienten mit besonders hohem Pflegeaufwand gedacht. Hinter den leerstehenden Betten „steckt keine böse Absicht“, sagte Divi-Präsident Professor Uwe Janssens. „Es fehlt schlicht das geschulte Pflegepersonal.“ Kündigen weitere Pfleger, so die einfache Rechnung, wird die Versorgung noch kritischer. Schon im ersten Jahr der Pandemie ist laut Divi die Zahl der betreibbaren Intensivbetten von rund 27.000 auf rund 22.000 zurückgegangen. So dass im Oktober 2021 nur 1500 Patienten mit Covid-19 auf der Intensivstation lagen, wie die Vereinigung berichtet, aber wegen der fehlenden Betten trotzdem Operationen verschoben werden mussten.

Karl Lauterbach sieht die Welt anders. Es gebe genügend Pfleger, hält er den Kliniken im Morgenmagazin von ARD und ZDF vor. Die müssten nur effektiver eingesetzt werden. Er werde mit einer Reform dafür sorgen, dass es mehr ambulante Behandlungen und weniger Übernachtungen in Krankenhäusern gebe. Dann würde das vorhandene Pflegepersonal reichen. Lauterbachs Logik: Die Pfleger werden dadurch entlastet, dass die Menschen zuhause übernachten können, weil sie ausreichend gesund sind, um keine Pflege zu brauchen.

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Außerdem verspricht der Gesundheitsminister die größte Gesundheitsreform seit 20 Jahren. Die Krankenhäuser seien „zu ökonomisch“ eingestellt. Deswegen wolle er die Fallpauschalen abschaffen. Die würden falsche Anreize setzen. Lauterbachs Logik: Wenn die Krankenhäuser aufhören, gewinnorientiert zu arbeiten, erwirtschaften sie kein Defizit mehr.

Absurderweise ist es die Pandemie, die Krankenhäuser in finanzielle Schieflage gebracht hat. Eine weltweite Krankheitswelle hat dazu geführt, dass die deutschen Kliniken finanziell schlechter dastehen als vorher. Schon zum Jahreswechsel hatte eine Studie der Krankenhausgesellschaft ergeben, dass 60 Prozent der Häuser davon ausgehen, dass sie im Jahr 2021 Verluste erwirtschaftet haben. Doppelt so viele wie im Jahr 2020. Eine solch schlechte Lage habe es noch nicht gegeben, teilte die Krankenhausgesellschaft mit, seit sie diese Daten erhebt. In der gleichen Umfrage hatten nur 22 Prozent der Kliniken für 2022 mit besseren Zahlen gerechnet. Sie scheinen laut Lauterbach recht zu behalten.

Wegen der Pandemie haben die Kliniken Betten freigehalten. Die wurden aber nicht so häufig und lang belegt wie gedacht. Die Ausfallpauschale des Staates scheint den Leerstand nicht finanzieren zu können. Zumal die allgemeinen Fallzahlen ohnehin zurückgegangen seien, wie die Krankenhausgesellschaft anlässlich der Umfragen mitteilt. Maskenzwang und strikte Besuchsregeln scheinen vom Versuch, die eigene Gesundheit zu verbessern, abzuhalten.

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Den Betrieb der Krankenhäuser zahlen weitestgehend die Krankenkassen, indem sie die Kosten für die Behandlung ihrer Versicherten tragen. Für die Einrichtung der Kliniken kommen die Länder auf. Also auch für den Kauf von neuen Geräten oder Investitionen in die Digitalisierung. Auch das ist eine Baustelle. So klagte die Krankenhausgesellschaft, dass ihre Häuser im Jahr 2020 nur 3 Milliarden Euro für Investitionen erhalten, aber 6 Milliarden Euro gebraucht hätten. So entsteht ein Investitionsstau; lahmt unter anderem die Digitalisierung.

Ein Beispiel dafür ist Rheinland-Pfalz. Das Land hat unter dem ehemaligen Ministerpräsidenten Kurt Beck (SPD) die Investitionen in Krankenhäuser zurückgefahren, um den eigenen Landeshaushalt zu sanieren. Seine Nachfolgerin Malu Dreyer (SPD) ließ sich mehrfach für Anhebungen feiern. Doch ließ sich so weder die durch Beck entstandene Lücke schließen, noch die entgangene Summe ausgleichen. Auf solche Kürzungen reagieren die Kliniken häufig damit, dass sie Geld aus den Behandlungen umleiten in die Investitionen. Das geht dann aber buchstäblich auf Kosten der Behandlungsqualität. Über diese Umstände berichten Fachjournalisten seit Jahren. Glaubt man Lauterbach, ist nun der Punkt erreicht, an dem sich dieses System nicht mehr trägt.

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