Tichys Einblick
Einäugig ist die Regel

Grünen-Politiker zu Gast bei Freunden

Wenn sie Grünen-Politiker interviewen, dann stellen die meisten Journalisten in Deutschland auf extraweichen Schongang. Selbst der gröbste Unsinn rutscht unwidersprochen durch – immer wieder.

imago Images/photothek
Mit ihrem Interview mit ZEIT Online über Öko-Vorschriften und Veggie-Day, erzeugte die Grünen-Politikerin Renate Künast vor kurzem große Aufmerksamkeit – allerdings durch eine Aussage, die ein paar Stunden, nachdem das Gespräch online gegangen war, schon wieder verschwand. „Der Atomunfall in Fukushima oder die Dürresommer haben gezeigt“, so Künast, „dass man den Klimawandel nicht mehr leugnen kann.“

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Dutzende Leser im ZEIT Online-Kommentarbereich fragten nach: was bitte soll der Atomunfall von Fukushima 2011 – ausgelöst durch ein Seebeben – mit dem Klimawandel zu tun haben? Nachdem via Twitter reichlich Spott auf Politikerin und ZEIT niedergegangen war, korrigierte das Portal unter dem Interview:
„Korrekturhinweis: In einer früheren Version wurde aufgrund eines Transkriptionsfehlers verkürzt ein Zusammenhang zwischen dem Atomunfall in Fukushima, den Dürresommern und dem Klimawandel hergestellt. Gemeint war: „Der Atomunfall in Fukushima oder die Dürresommer haben gezeigt, dass man die Notwendigkeit einer Energiewende und den Klimawandel nicht mehr leugnen kann.“
Zuerst hatte es in dem Korrekturhinweis nur geheißen, es sei „verkürzt ein Zusammenhang zwischen dem Atomunfall in Fukushima, den Dürresommern und dem Klimawandel“ hergestellt worden, von wem auch immer.

Erst später schob die Redaktion die Erklärung „aufgrund eines Transkriptionsfehlers“ nach. Aber möglicherweise gab es tatsächlich ein Transkriptionsfehler der ZEIT – der dann Künast offenbar auch bei der Autorisierung des Interviews nicht auffiel.

Allerdings stellte die Grünen-Frau in dem Interview auch andere falsche und unbelegte Behauptungen auf, die weder zu Nachfragen durch die Journalistin noch zu späteren Korrekturen führten. Dazu später.

Es lässt sich kaum übersehen: selbst offensichtlich unsinnige Behauptungen von grünen Politikern und ihren Unterstützern führen in öffentlich-rechtlichen und anderen wohlmeinenden Medien so gut wie nie zum Nachhaken oder der Aufforderung, etwas mit Fakten oder Beispielen zu belegen. Treffen Grüne und Journalisten aufeinander, dann lautet das Motto meist: Politiker zu Gast bei Freunden.

Das Phänomen fällt vor allem durch den Kontrast zu Interviews mit bürgerlichen beziehungsweise rechten Politikern auf, die oft eher Verhören ähneln – etwa, als Sandra Maischberger in ihrer Interview-Sendung den damaligen österreichischen Kanzler Sebastian Kurz im Januar 2018 laufend unterbrach, Suggestivfragen stellte und versuchte, wie es im Medienjargon heißt, ihn zu „stellen“.

Bei vielen Äußerungen von AfD-Politikern werfen Qualitätsmedien außerdem routiniert die Faktencheck-Maschine an. Nicht so bei Grünen. Obwohl es bei ihnen viel zu holen gäbe.

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Bis heute legendär ist der Auftritt des Grünen-Politikers Cem Özdemir von 2011 in den Tagesthemen. Damals dozierte der Grüne über die Stromproduktion in Deutschland, indem er mit hochkompetentem Gesichtsausdruck von erzeugten „Gigabyte“ redete. Die installierte Leistung hielt er für „Produktion“, ferner verblüffte er mit dem Rechenbeispiel, Deutschland verbrauche in Spitzenzeiten „80 Gigabyte“, erzeuge aber „140 Gigabyte“, um zu folgern: „Das Anderthalbfache haben wir also übrig von dem, was wir brauchen.“ Der ARD-Journalist nahm Özdemirs wirren Vortrag, der eher nach Karl Valentin klang, ohne jedes Nachhaken hin.

Mindestens genau so abstrus ging es in einem Interview des Deutschlandfunk am 21, August 2018 zu, in dem die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock das Problem der fehlenden Stromspeicher mit einem Satz löste: „Das Netz ist der Speicher.“
Eine schüchterne Nachfrage des Senders würgte sie erfolgreich mit dem Hinweis ab: „Das ist alles ausgerechnet.“
Am 13. Dezember 2018 verkündete Baerbock bei Maybrit Illner zur besten Sendezeit:
„Deutschland hat pro-Kopf Emission von 9 Gigatonnen pro Einwohner.“
Das wäre wirklich bedenklich. Denn eine Gigatonne – das sind eine Milliarde Tonnen. Tatsächlich liegt der statistische Pro-Kopf-Ausstoß, siehe oben, bei 9,47 Tonnen, Baerbock vertat sich also um den Faktor eine Milliarde. Aber „Giga“ – das macht sich immer gut.

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In einem Streitgespräch mit dem FDP-Chef Christian Lindner behauptete Baerbock in der ZEIT (4/2019), „Pro Kopf stoßen wir doppelt so viel CO₂ aus wie Frankreich und zehn mal so viel wie Schweden.“ Schwedens Pro-Kopf-Emissionen liegen bei 4,54 Tonnen. Deutschland liegt etwa beim Doppelten. Aber eben nicht beim Zehnfachen. Auch hier: keine Nachfrage. Auch kein Hinweis – selbst von Lindner nicht – dass Schwedens CO2-Ausstoß pro Kopf auch deshalb unter dem deutschen liegt, weil das skandinavische Land gut 40 Prozent seines Stroms mit Kernenergie erzeugt.
Und als Baerbock im ARD-„Sommerinterview“ am 28. Juli gleich zweimal hintereinander von „Kobold“ in Batterien sprach, verzog ihr Befrager keine Miene – als hätte er es nicht gehört.

In dem ZEIT-Online-Gespräch mit Künast geht es zwar nicht ganz so lustig zu. Aber auch dieses Interview läuft im extraweichen Schongang. Bei mehreren Behauptungen Künasts wären Nachfragen dringend geboten gewesen.
„Hätte jemand es vor ein paar Jahren noch für möglich gehalten, dass der Anteil an erneuerbaren Energien am Energiemix heute bei mehr als 40 Prozent liegen würde?“, fragt Künast in dem Interview rhetorisch. Wer die Zahlen kennt, muss nichts für möglich halten – er weiß, dass die Behauptung der Grünen nicht stimmt. Der Anteil erneuerbarer Energien am deutschen Energiemix – oder, wie der Fachausdruck heißt, am Primärenergieverbrauch – lag 2018 nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums bei gerade 14 Prozent. Auf Mineralöl entfielen 34,1 Prozent, Gas 23,5 Prozent, Kohle 21,6 Prozent, Kernkraft 6,4 Prozent und andere 0,4 Prozent.
Die Zahl, die Künast nennt, bezieht sich auf die Stromproduktion, also den Strommix. Elektrische Energie macht allerdings nur gut 20 Prozent des Energieverbrauchs aus.

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Die Praxis kommt in der Rhetorik der Grünen öfter vor, „Energie“ synonym für „Strom“ zu verwenden, vor allem in Verbindung mit hohen Prozentsätzen von Ökoenergie, um riesige Fortschritte bei der Energiewende zu suggerieren.

Tatsächlich läuft Deutschland auch im Jahr 2019 noch zu 86 Prozent fossil-nuklear.
Ein Stück weiter heißt es bei Künast:
„Der Wandel beginnt aber längst in den Städten. Von Bremen bis Berlin setzen sie auf den Umbau bei Energie, Mobilität und Ernährung. Mehr Bio kommt in Kindergärten, Schulen, Mensen. Alle profitieren davon, das Essen wird gesünder, der reduzierte Fleischkonsum ist gut fürs Klima und die regionale Landwirtschaft findet mehr Abnehmer.“
„Das Essen wird gesünder“: die Mär, Bio-Lebensmittel seien „gesünder“ als konventionelle, wird von Grünen-Politikern und ihnen nahestehenden Journalisten seit Jahren verbreitet. Irgendeinen empirischen Beleg dafür gibt es bis heute nicht. Die Frage nach einem gesundheitlichen Mehrwert von Bio-Kost wurde weltweit immer wieder untersucht.

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Zu dem Ergebnis, das praktisch kein Unterschied feststellbar ist, kam schon 2012 eine sehr umfangreiche Meta-Studie der Universität Stanford. Die Wissenschaftler um Dena M. Bravata werteten damals 223 Untersuchungen aus, die entweder den Nährstoffgehalt oder die Belastung mit Bakterien, Pilzen oder Pestiziden verglichen.
Ergebnis: Der Vitamingehalt von Bio- und konventionellen Lebensmitteln unterschied sich den Forschern zufolge kaum, Fette und Proteine waren ähnlich verteilt. Krankheitserreger kamen in keiner der beiden Gruppen häufiger vor.
„Wir waren ein bisschen erstaunt, dass wir nichts gefunden haben“, meinte Co-Autorin Crystal Smith-Spangler.
Keinen Beleg gibt es bisher auch für die immer wieder behauptete Krebs-Prävention durch Biolebensmittel (siehe hier und hier).

Überhaupt ist die pauschale Behauptung unsinnig, bestimmte Lebensmittel seien „gesund“: es kommt auf Menge, Qualität und Umstände an. Die mit Abstand größte Gesundheitsschädigung durch Lebensmittel in Deutschland, der Ehec-Skandal mit 4.000 Infizierten und 53 Toten im Jahr 2011, wurde durch Bio-Sprossen ausgelöst.

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Unklar bleibt bei Künast auch, was sie nun meint: „mehr Bio“, also Produkte des ökologischen Landbaus, oder „regionale Erzeuger“? Nur auf 9,1 Prozent der Anbaufläche in Deutschland werden tatsächlich Bio-Lebensmittel hergestellt. Schon deshalb ist die Forderung: „Bio für alle“ beziehungsweise „mehr Bio-Essen für alle Schulen, Mensen und Kindergärten“ populistisch: Öko-Landwirte sind keine Massenproduzenten.

In diesem Fall und anderen stellt sich immer wieder die Frage: Merken die Interviewer nichts, selbst wenn Maßeinheiten, Milliarden und Kobolde bunt durcheinanderpurzeln? Oder meinen sie, ihre grünen Interviewpartner vor Blamagen schützen zu müssen?

Das erste Interview mit einem Spitzenvertreter der Grünen in ARD, ZDF und linksgeneigten Medien, in dem nachgehakt und faktengecheckt wird, als säße Alice Weidel im Studio – darauf muss das Publikum wahrscheinlich noch länger warten.

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