Tichys Einblick
Studie der Körber-Stiftung

Die Deutschen verlieren das Vertrauen in ihre Demokratie

54 Prozent der Deutschen haben nur noch geringes Vertrauen in die Demokratie. 72 Prozent meinen, dass man aufpassen muss, was man sagt. Die Statistiken fallen in eine Woche, in der die Luft für Andersdenkende dünner wurde.

IMAGO / Jan Huebner

Es herrscht eine ungewöhnliche Stimmung in Deutschland. Feindeslisten gehen um, auf denen die Namen unliebsamer Politiker mit Anschrift stehen. Die Funktionärin eines katholischen Laienverbandes fordert die Kirche dazu auf, AfD-Mitglieder aus Laienämtern auszuschließen. Ein zusammengeschlagener Politiker erntet im Netz noch Hohn und Spott, während die Anführerin einer linksextremen Schlägerbande mit dem Hinweis auf ihr achtenswertes Motiv mit Samthandschuhen angefasst wird. Eine ZDF-Podcasterin, die Ungeimpfte mal als nicht-essentiellen Bestandteil mit einem Blinddarm verglich, wird mit einer eigenen Sendung in der öffentlich-rechtlichen Senderfamilie belohnt. Indes zelebriert sich der Bundespräsident als Spalter der Nation, indem er unliebsame Wähler de facto kriminalisiert.

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Ist es nur Einbildung, dass seit den Corona-Jahren, in denen so manche bewältigte Vernichtungsfantasie aus dem Keller wieder ins Erdgeschoss kroch, die Herabsetzung Andersdenkender nie aufgehört hat? Corona wäre dabei nur das jüngste Glied in einer Ereigniskette, die man mit der EU- und Finanzkrise beginnen lassen kann und mit der Migrationskrise eine plötzliche Steigerung erfuhr. Dass die Grenzen des Sagbaren nicht nur verschoben, sondern eingeengt wurden, belegen mehrere Studien. Dass dies auch das Vertrauen in die Demokratie erschüttert, ist folgerichtig, angesichts des Zusammenhangs von Grundrechten und Verfassungsstaat.

Alexander Wendt hat im Bezug auf die öffentlich-rechtliche Senderfamilie vor einer Woche das Urteil zusammengespitzt: Wir glauben euch nicht. Aber was für den Journalismus gilt, gilt mittlerweile für ganze Lebensbereiche. Das Gefühl, die Realität gegen eine Matrix-gleiche Version eingetauscht zu haben, steckt zumindest unterbewusst in einem größer werdenden Teil der Bevölkerung. Einen Rückzugsort gibt es nicht mehr: nicht die Kirche, nicht die Partei, nicht der Fußball, nicht der Verein, nicht einmal mehr die Kneipe. Regenbogenfahnen fordern unterschwelliges Bekenntnis. Das Politische ist im Privaten fest verankert. Bereits Nichterwähnen und Schweigen ist eine Stellungnahme.

In dieses „diffuse Gefühl“, das für zahlreiche Politiker nur anekdotische Evidenz hat, sticht eine Studie der Körber-Stiftung. Der Vertrauensverlust in die Demokratie ist groß. 54 Prozent der Befragten sagten, sie hätten nur „weniger großes“ oder „geringes“ Vertrauen in die Demokratie. Dem stehen nur 43 Prozent gegenüber, die sagen, sie hätten „sehr großes“ oder „großes“ Vertrauen in die Demokratie. Die Körber-Stiftung beurteilt die Situation so: „Obwohl demokratische Grundwerte wie Freiheit, Gleichheit, Meinungsfreiheit und faire Wahlen für über 90 Prozent der deutschen Bevölkerung von hoher Bedeutung sind, zeigt die Umfrage einen deutlichen Rückgang des Vertrauens in die deutsche Demokratie selbst.“

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Auch die persönlichen Ängste nehmen zu. Sie sind sogar noch größer als in den Corona-Jahren, in denen 41 bzw. 48 Prozent sagten, dass sie mehr Sorgen als Zuversicht gegenüber der Zukunft hegten. 2023 hatten zum ersten Mal mehr Bürger Sorgen als Zuversicht: nämlich 53 Prozent. Auch die wirtschaftliche Lage schätzen die Befragten schlechter ein als in den Corona-Jahren ein – obwohl sie schon damals mehrheitlich pessimistisch waren. 2021 glaubten nur 38 Prozent, dass die wirtschaftliche Lage „sehr gut“ oder „gut“ sei, der Rest hielt sie für „schlecht“ oder „sehr schlecht“. 2023 glauben 25 Prozent an eine gute wirtschaftliche Lage – 75 Prozent halten sie für schlecht. Auch die zukünftige Bewertung fällt negativ aus: Ebenfalls 25 Prozent glauben an eine Besserung, 43 Prozent an eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage. Der Rest glaubt, dass sich diese nicht verändert.

Dabei sind die Befunde nicht ohne Widersprüchlichkeiten. Paradebeispiel ist etwa das erwähnte Klima der Meinungsfreiheit, das sich auch in den Befunden niederschlägt. So ist etwa die Zustimmung zur Feststellung „In Deutschland kann man seine Meinung jederzeit äußern“ eingebrochen. Von 70 Prozent im Jahr 2017 auf 58 Prozent im Jahr 2023. Im Corona-Jahr 2021 waren es sogar nur 54 Prozent. Dennoch bleibt der Befund, dass immerhin eine absolute Mehrheit der Befragten der Meinung zustimmt, man könne in Deutschland seine Meinung jederzeit äußern.

Eine andere Frage zeigt jedoch, dass es nicht so einfach ist. Denn 72 Prozent sagen zugleich: „Heutzutage muss man in Gesprächen und Diskussionen aufpassen, was man sagt“. Das ist eine bemerkenswerte Diskrepanz. Denn die selbst akklamierte Meinungsfreiheit ist ideell vorhanden, aber nicht praktisch. Man darf seine Meinung jederzeit frei äußern, muss aber aufpassen, gegenüber wem man dies tut. Die Gedanken sind frei?

Ähnlich sieht es bei den Mitbestimmungswünschen aus. So fordern 86 Prozent ein größeres Mitspracherecht der Bürger. Besonders gerne wünscht man sich dies auf kommunaler Ebene (58 Prozent). Allerdings geben 92 Prozent der Befragten an, sich nicht in der Kommunalpolitik zu engagieren. 37 Prozent gaben an, dies auch nicht auf Nachfrage tun zu wollen. Mitbestimmung ja, Engagement nein.

Gegen die Mehrheit
Deckel drauf und die Bürger wegtransformieren
Solche Diskrepanzen erkennt man auch anderswo. So erklären 98 Prozent, dass es eines der wichtigsten Prinzipien sei, dass „Bürger in Freiheit leben können“. Ebenso beantworten 97 Prozent, dass es wichtig sei, dass jeder seine Meinung frei äußern könne. Andererseits fordern 64 Prozent, dass der Datenschutz zurückgebaut werden müsse, um Hass und Hetze im Internet stärker zu bekämpfen. Dass Grundrechte zugunsten dehnbarer Begriffe abgebaut werden könnten, ist in dem Zusammenhang wohl nachrangig.

50 Prozent der Befragten glauben überdies nicht, dass die „großen Transformationsaufgaben“, die Deutschland sich gestellt hat, bewältigt werden können. Das ist deswegen eine interessante Frage, weil sie nicht beantwortet, ob die Befragten diese Transformationsaufgaben überhaupt bewältigen wollen oder richtig sind; hier werden sowohl von Inflation betroffene Geringverdiener wie Klimaextremisten die Aussage bejahen, wenn auch aus verschiedenen Gründen.

In eine ähnliche Kerbe schlägt die Frage danach, ob Politiker mehr „Macht und Durchsetzungswillen“ brauchen, um die zahlreichen Probleme zu lösen. 56 Prozent bejahen das. Aber Macht und Durchsetzungswillen sind zwei völlig verschiedene Schuhe. Etwas mehr Durchsetzungswille würde manchem Politiker nicht schaden. Aber mehr Macht? Die Aushebelung von verfassungsgemäßen Kontrollinstitutionen gehört bereits zum guten Ton. Man könnte dies als Ruf nach dem „starken Mann“ interpretieren. Mit der neuerlichen Feststellung: Auch diese Förderung hört man derzeit von weit rechts bis nach weit links. Mal wieder.

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