Tichys Einblick
Relotius bei der ARD

ARD: Rundfunk-Sozialismus

Über die Details des Gehirnwäsche-Manuals hat TE seit Freitag im Detail berichtet. Zwei zentrale Fragen bleiben offen: Welches Weltbild steckt dahinter? Und warum schweigt die ARD?

imago/Winfried Rothermel

ARD und ZDF fühlen sich unter Druck: Viele Bürger ärgern sich über die hohen Zwangsgebühren, zu hohe Gehälter der Funk-Mitarbeiter an der Spitze, zu viele Wiederholungen und oft auch über einseitige Tendenzen in der Berichterstattung – auch und gerade über Manipulation im Unterhaltungsteil oder Kinderprogramm.

ARD-Strategiepapier
ARD: Manipulieren und Moralisieren mit Gebühren
Zwei Jahre lang hat die ARD nach Angaben der Verfasserin jetzt ein „Manual“ bebrütet, in dem Begriffe und Wörter neu erfunden oder uminterpretiert werden, um „Gegnern“ den Wind aus den Segeln zu nehmen – mit einer neuen Sprache, die unser Denken zukünftig prägen soll:

Sprache ist das wirkvollste Instrument für die Mobilisierung von Mitbürgern“, heißt es da. Schon an dieser Stelle erschrickt man – immerhin ist die ARD ein Medienunternehmen – und das bekennt sich zur gewollten und gezielten Manipulation durch Sprache?

Ein Medienunternehmen, das seine Mitarbeiter dahingehend trainiert, nicht Fakten zu transportieren, sondern ganz bewusst nur geeignete Fakten als Transportmittel für Demagogie und Unterstellung zu verwenden? Kein Wunder, dass die Verfasserin des Manuals ihre Ratschläge als „Munition“ versteht. Im Kampf des Lichts gegen die Finsternis wird scharf geschossen. Dabei: Medienunternehmen haben eine eigene Verantwortung. Die Nachrichten der ARD und ihr Anspruch werden damit entwertet. Was Claas Relotius für den SPIEGEL, das ist das Framing-Manual für die ARD.

Mobilisierung gegen Mitbürger

Gegen wen will die ARD die Mitbürger mobilisieren? Nun ist Wettbewerb in der Marktwirtschaft bestimmendes Merkmal. In diesem neuen Wettbewerb der gesteuerten Sprache aber soll die ARD als moralisch überlegen dargestellt und sollen Konkurrenten herabgesetzt werden. Bedenklich daran ist eine Geisteshaltung: Wenn es um Privatsender geht, um Zeitungen, Zeitschriften oder Internet, spricht die ARD von „Gegnern“. Das ist ein seltsames Weltbild – es spaltet die Gesellschaft in die „Guten“ und in die „Bösen“. Die Guten sind natürlich bei der ARD; denn nur „ihre Arbeit ist von moralischen Prinzipien getragen“. Diese Feindstellung ist erschütternd – vom Wettbewerb zur „Gegnerschaft“, und natürlich ist die Moral nur auf der Seite der Gebührenempfänger, nie bei den Gebührenzahlern.

Aufstand der ARD-Anständigen?
ARD für "gelenkte Demokratie"?
Diese „Gegner“ sind „Medienkapitalistische Heuschrecken“. Solche „Kommerzmedien, profitorientierte Medien oder Profitsender haben einen Auftrag, welcher der moralischen Prämisse des gemeinschaftlichen Rundfunks ARD entgegensteht.“

Man könnte lachen über diese Primitivität der Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling, die das Papier formuliert und Arbeitsgruppen dazu geleitet hat; streckenweise klingt es wie ein ebenso hilfloser wie auftrumpfender Juso-Aufruf zur Weltrevolution. Allerdings geht es dabei um einen Senderverbund mit dem ZDF, der insgesamt 8,5 Milliarden Euro an Gebühren kassiert – übrigens entspricht diese Summe der der Kirchensteuer.

Damit werden ein Dutzend Fernsehprogramme und über 60 Radioprogramme beschrieben – eine gewaltige Verantwortung. Und dafür ist im Schwarz-Weiß-Bild der ARD jeder, der nicht beim Staat oder im staatlich finanzierten Sektor arbeitet ein potentieller Betrüger: „Unsere Redakteure strengen sich für die Bürger an, andere für den Profit,“ und normale Zeitungsredakteure richten „durch ideologische Einseitigkeit und Verzerrung, durch Befangenheit und Unsachlichkeit in der Berichterstattung über unsere Politik, unser Land und die Welt“ Schaden an.

Das Nebeneinander von öffentlichen und privaten Medien wird damit sehr einseitig in Frage gestellt. Die Wirtschaft generell wird denunziert – als ohne Moral. Es ist ein krudes antikapitalistisches Weltbild, das sich da die ARD für ihre Mitarbeiter zurecht gezimmert hat.

Wohlstand für Alle (in der ARD)

Und so lautet einer der neuen Schlagworte: „Andere wollen Geldgewinne. Wir wollen Erkenntnisgewinn.“ Gewollt und absichtsvoll drückt die ARD ein seltsames Bild der Marktwirtschaft aus. Wer in einem marktwirtschaftlichen Unternehmen arbeitet, wird als Person wie Institution moralisch abgewertet. Da tut es nichts zur Sache, dass ARD-Mitarbeiter überdurchschnittlich hohe Gehälter beziehen, hohe Ruhestandsbezüge genießen und dass die Anstalten bürokratisch, selbstbezogen und wenig effizient sind.

Untrennbare Entitäten
ARD: Läuft das Gehirnwäscheprogramm schon?
Die notwendige Kritik und daraus abgeleitete Reform wird beiseite gewischt, denn die ARD „ist die Grundlage unseres privaten und wirtschaftlichen Wohlergehens“ heißt es da in einer geradezu peinlichen Selbstüberschätzung. Denn „unser Wohlergehen“ ist nicht auf die Mitarbeiter und Funktionsträger der ARD bezogen – da würde es ja stimmen. Die Eigeninteressen der ARD sind unübersehbar. Uns, das sind alle. Wirklich alle. Aber wer braucht diesen Sender wirklich für sein privates und wirtschaftliches Wohlergehen.

Aber natürlich geht es der ARD nicht um Geld – die Rundfunkgebühren seien schließlich keine „Last sondern Freiheit“, wie der neue Refrain heißt. Auch wenn man nie schaut oder zuhört? Oder geht es doch um´s Geld? Jedenfalls, wer zu hohe Gebühren und Verschwendung kritisiert, sei „demokratiefern“. Statt Gebühren soll es zukünftig „Beteiligung am gemeinsamen Rundfunksystem ARD“ lauten, und dabei gehe es „um den moralischen Auftrag“.

Warum schweigt die ARD

Wer schreibt solchen Unsinn? In Auftrag gegeben wurde das Papier während der Zeit, in der die Intendantin des Mitteldeutschen Rundfunks, Karola Wille, turnusmäßig Vorsitzende der ARD war. Sie war Teil der DDR-Elite: Sie promovierte 1984 an der Universität Jena zum Thema „Der Rechtsverkehr in Strafsachen zwischen der DDR und anderen sozialistischen Staaten unter besonderer Berücksichtigung der Übernahme der Strafverfolgung“. In ihrer Doktorarbeit kam übrigens auch der Begriff Rahmen vor:

„Die Vorzüge des Sozialismus sind auch im internationalen Rahmen umfassend zur Geltung zu bringen.“

Von Jena wechselte sie an die Universität Leipzig, wo sie Medienrecht lehrte.  Nach dem Zusammenbruch der SED-Herrschaft wechselte sie kurz in die Leipziger Stadtverwaltung und von dort in den frisch gegründeten Mitteldeutschen Rundfunk.

Totalitäre Herkunft
Sie werden geframed: von Ihrer ARD
Die Auftragnehmerin, Elisabeth Wehling, bezeichnet sich selbst als Goebbels-Spezialistin.  Wer hier Analogie sucht, wird fündig. Das Weltbild des Sozialismus ist immer wieder geprägt, von dieser „Entität“ (ARD-Manual); bei der ARD unverbrüchlich zwischen ARD und dem Volk ihrer Empfänger, in der DDR zwischen Partei und Arbeiterklasse, und im 3. Reich zwischen Volk und Führer. Individuen und Unternehmen haben da keinen Platz. Sie haben sich einzuordnen, anzupassen; dürfen ihrer Begeisterung in Demonstrationen und Umzügen zeigen, gerne auch Applaus abliefern. Was die ARD da formuliert hat, könnte man eine Art hausgemachten, gebührenfinanzierten Sozialismus nennen, der alles andere ersticken will. Für Private ist in der Welt der ARD kein Platz – nicht im Programm, einfach nirgendwo. Denn: „Eine Demokratie ohne einen gemeinsamen, freien Rundfunk ist eine medial vernachlässigte Demokratie.“

Nun soll man interne Werbepapiere von Unternehmen und Behörden auch nicht immer so Ernst nehmen – teure Agenturen schreiben gerne für Geld den größten Unsinn auf. Aber man könnte Angst kriegen, wenn eine öffentliche Einrichtung zwei Jahre an diesem Slogan bastelt: „Kontrollierte Demokratie statt jeder wie er will.“

Wollen wir das wirklich, dass die ARD-Intendanten die Demokratie lenken? So viel Vermessenheit war selten. Trotzdem fällt auf: Bislang reagierte die ARD zurückhaltend. Zunächst waren aus dem Manual nur drei, vier Sätze bekannt, die in kleinen Zirkeln Wirbel erregten. Am Freitag begann dann TE, aus dem vorliegendem Gesamtmaterial in drei Folgen zu zitieren und zu analysieren. Am Sonntag schließlich veröffentliche Netzpolitik.org das Papier zusammen mit einer Rechtfertigungsarie: »Gerade rechte Webseiten machen mit dem ausgewählten Zitieren aus dem Text massiv Stimmung gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und tun dabei so, als wäre diese Diskussionsgrundlage bereits beschlossene Sache einer Kommunikationsstrategie mit dem Ziel, die öffentliche Wahrnehmung zu „manipulieren“«.

Sag zum Abschied leise Servus
Von der freien zur kontrollierten Demokratie?
Unterschlagen wurde dabei, dass es gar nicht um einen ARD-Beschluss geht – sondern um einen zweijährigen Workshop-Prozess, mit dem das Papier in der ARD verbreitet wurde. Die ARD hält sich die ganze Zeit auffällig bedeckt und schickte nur eine Pressesprecherin vor, die vorformulierte, was Netzpolitik nachschrieb:

»Im Interview mit meedia.de argumentiert die ARD-Generalsekretärin Susanne Pfab, dass dies keine „Mitarbeiteranweisung“ sei, sondern eine Diskussionsgrundlage zur Sensibiliserung bei der Verwendung von Sprache und Sprachbildern. In dem Interview distanziert sie sich auch persönlich von einzelnen in dem Gutachten vorgeschlagenen Sprachbildern wie „Profitzensur“«.

Seit Montag nun ist das Thema in der Öffentlichkeit präsent und wird breit diskutiert. Nach wie vor schweigen die ARD-Intendanten. Nach Information von TE stehen die Intendanten von WDR, Tom Buhrow, und Bayerischem Rundfunk, Ulrich Wilhelm, gegen das Papier, das vom RBB, MDR und NDR getragen wird.

Aber natürlich findet der staatliche Rundfunksozialismus auch seine Unterstützer:

„Was soll daran eigentlich kritikwürdig sein?!“, will SPD-Vize Ralf Stegner wissen. Ja, was soll am Rundfunk-Sozialismus schon falsch sein?