Tichys Einblick
Streit um die Schuldenbremse

Wirtschaftsweise plädieren im Sinne der SPD für höhere Staatsschulden

Die „Wirtschaftsweisen“ springen der SPD bei: Der Staat müsse nur mehr Schulden machen, dann werde alles gut. Die Kriterien für einen stabilen Euro einzuhalten, sehen sie als einen Fehler an.

Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, (v.l.): Martin Werding, Achim Truger, Ulrike Malmendier, Vorsitzende Veronika Grimm, Monika Schnitzer, Berlin, 08.11.2023

IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Laut einem Albert Einstein zugeschriebenen Zitat besteht Wahnsinn in dem Versuch, immer wieder das Gleiche zu tun und dabei jedes Mal andere Ergebnisse zu erwarten. Auf die SPD angewandt bedeutet das die Überzeugung: Die nächste Steuererhöhung ist die beste und nur noch einmal neue Schulden aufnehmen – dann geht die Decke durch die Wirtschaft. Oder umgekehrt.

So hat es Olaf Scholz (SPD) bereits als Angela Merkels (CDU) Finanzminister gehalten. So hat er als Bundeskanzler weitergemacht: Corona-Hilfen, Entlastungspaket I, Transformationsfonds, Entlastungspaket II, Sondervermögen Bundeswehr, Entlastungspaket III, und last but not least: der Doppelwumms. Mit Hunderten Milliarden Euro waren diese Pakete ausgerüstet und haben die deutsche Wirtschaft mal so richtig angeschoben: Sie ist im vergangenen Jahr nur um 0,4 Prozent geschrumpft. Nicht auszudenken, wie das ohne die Pakete gewesen wäre. Okay, in den anderen Industrienationen ist in der Zeit die Wirtschaft gewachsen. Aber die deutsche Stagnation liegt am Ukraine-Krieg und an weltweiten Wachstumsproblemen. In den anderen Ländern haben sich diese Faktoren nur nicht ausgewirkt, weil… ähh… also… nun, das hat Olaf „Einstein“ Scholz vergessen.

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Die ganzen Pakete haben die Verschuldung des Staates auf 2,4 Billionen Euro anwachsen lassen, die des Bundes auf 1,7 Billionen Euro, wie das Statistische Bundesamt mitteilt. Wer sich 1,7 Billionen Euro nicht vorstellen kann. Das sind: 1.700.000.000.000 Euro Schulden. Viel zu wenig, sagt die Kanzlerpartei SPD und drängt auf weitere Schulden. Damit der Staat investieren kann. Dieses Mal klappt es ganz bestimmt, lässt Einstein ausrichten.

Nun ist der neuen Aufnahme von Schulden die Schuldenbremse im Weg. Die steht im Grundgesetz. Wollte die SPD die Verfassung ändern, müsste sie nicht nur ihre Koalitionspartner überzeugen, sondern auch die CDU. Deren Chef Friedrich Merz hat diese Woche noch einmal klargemacht, dass diese Änderung zumindest mit ihm nicht drin sei. Deshalb schickt die SPD ihr härtestes Schwert in den Kampf: „die Wissenschaft“.

„Die Wissenschaft“ heißt dieses Mal Monika Schnitzer – keine Wortspiele mit Namen, Ehrenwort. Schnitzer ist Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, besser bekannt als die fünf „Wirtschaftsweisen“. Sie hält die „Schuldenbremse für unnötig streng“, wie sie den Medien mitgeteilt hat. Die Einhaltung der Grenze sei schlecht, weil die deutsche Schuldenquote sonst unnötig stark sinken würde. Das hält die Weise für nicht gut, also zu niedrige Schulden.

Statt zu sparen solle Deutschland in „zukunftsorientierte Ausgaben“ investieren. Dummerweise muss der Bund diese zukunftsorientierten Ausgaben aus dem selben Haushalt bezahlen wie die Sozialausgaben. Steigen die weiter – etwa durch mehr Einwanderung, mehr Bezieher von Bürgergeld oder noch höheren Sätzen fürs Bürgergeld –, müsste der Bund von den neuen Schulden erst einmal die steigenden Sozialausgaben bezahlen. Aber es würde ja immer noch genug übrigbleiben für zukunftsorientierte Ausgaben. Dieses Mal klappt’s. Bestimmt.

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Schnitzer mahnt, dass der Bund seine Krisen nicht richtig ausnützt. Da darf er sich mal wegen Corona bis in den Billionen-Bereich verschulden und schwupps ist die Pandemie vorbei und die Politik muss wieder mit Geld umgehen können. Deswegen schlägt Schnitzer Übergangszeiten vor, in denen die Politik weiterhin unbegrenzt Schulden machen kann. Das entlastet gemein: Da muss man nicht 2019 den „Klimanotstand“ ausrufen, 2020 und 2021 die Corona-Krise, 2022 die Zeitenwende und 2023 den Haushaltsnotstand. Nein, eine Krise reicht, zack, die hält dann für fünf oder mehr Jahre, danach findet sich dann sicher was Neues. Planbarer und kontinuierlicher Notstand. Schöne neue Welt.

Veronika Grimm, eine weitere Weise, ist dafür, dass die Schuldenbremse flexibler wird. Was so viel bedeutet wie: Die Politik soll unbesorgter Schulden machen können. Die Maastricht-Kriterien sahen ursprünglich vor, dass sich ein Euro-Staat maximal mit 60 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes verschulden solle. Damit, so versprach die Politik, werde die Stabilität des Euro gewährleistet. Mumpitz, sagt Grimm. Beträgt der Schuldenstand nur 60 bis 90 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, soll die Neuverschuldung um mehr als 40 Prozent höher sein als jetzt. Erst ab 90 Prozent solle die Politik mit den Schulden bremsen – und wenn wir dann erstmal griechische Verhältnisse haben, sehen wir weiter.

Der Weise Martin Werding schlägt vor: Je schlechter die Wirtschaftslage, desto höhere Kredite sind erlaubt. Spieler kennen das: Wenn du dem Kredithai sein Geld eh nicht mehr zurückzahlen kannst, ist die Höhe der nächsten Wette auch egal. Allerdings räumt Werding ein, müssten die Methoden zur Ermittlung der Wirtschaftslage noch feiner werden.

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Marie-Christine Ostermann, Präsidentin des Verbandes „Familienunternehmer“, hält nichts von diesen Gedankenspielen: „Es ist ein Irrweg, die Schuldenbremse durch eine Reform an den Ausgabengigantismus dieser Regierung anzupassen.“ Deutschland stecke keineswegs in einer Geldkrise fest, erinnert Ostermann, „denn wir haben knapp eine Billion Euro Steuereinnahmen. Und das soll angeblich nicht ausreichen?“

Statt die Schuldenbremse schon wieder aufzuweichen, müsse die Regierung knallhart umsteuern: „In unserem Land ärgern sich Unternehmer und Arbeitnehmer über Bürokratie, über immer weniger Netto vom Brutto und über gigantische Investitionshemmnisse.“ Der Markt werde in immer mehr Bereichen systematisch ausgeschaltet wie zum Beispiel beim Mietwohnungsbau oder in der Stromversorgung. „Bisher wurden die Schäden dieser Politik durch immer höhere Subventionen kaschiert. Damit muss endlich Schluss sein“, sagt Ostermann. Die Familienunternehmer vertreten nach eigenen Angaben 180.000 Betriebe.

Wirtschaft gegen Wissenschaft – wie wird das Duell ausgehen? Unter der Ampel? Auf der einen Seite steht eine Wissenschaft, die man selber berufen hat und die einem verspricht, man müsse sich keine Sorgen beim Geldrauswerfen machen. Auf der anderen Seite nörgelt eine Wirtschaft, die sich immer noch weigert, sich komplett der Politik zu unterwerfen. Um’s kurz zu machen: Die SPD schraubt also an neuen Steuern und höheren Schulden. Wer ist schon Albert Einstein gegen eine Wissenschaft, die man selbst berufen hat?

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