Tichys Einblick
Autoindustrie

Verbrenner-Aus: Am Ende verlieren alle – allmählich schwillt der Protest an

Die Lage bei Zulieferern wie Bosch oder Schaeffler gibt einen Eindruck davon, was die Transformation in der deutschen Autoindustrie – weg vom Verbrennerauto – nicht nur für die Branche, sondern für die gesamte deutsche Volkswirtschaft bedeutet. Die Zeichen stehen auf Deindustrialisierung.

Symbolbild

IMAGO / Steinach

Was Automobilökonomen mit langjährigen, realen Insider-Erfahrungen schon seit Jahr und Tag prognostiziert haben, tritt jetzt ein: Die Transformation in der deutschen Autoindustrie – weg vom Verbrennerauto, mit Starkstrom hinein in die Elektromobilität – kostet die Branche zigtausende Arbeitsplätze. Und die Volkswirtschaft Wertschöpfung und Wohlstand.

Sie bedeutet in Grob-Zeichnung das Aus für die deutsche Autoindustrie in jetziger Form. 

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Da bleibt kein Stein auf dem anderen! Betroffen davon sind unmittelbar 800.000 Arbeitsplätze, davon rund 500.000 in der Zulieferindustrie, 300.000 bei den Autoherstellern selber. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht hängen etwa 15 Prozent aller Beschäftigten, jeder 7. Arbeitsplatz, vom Wohlergehen dieser Schlüsselindustrie ab; 20 Prozent des Wohlstandes, sprich der Wertschöpfung, werden hier all in all jährlich erwirtschaftet. – Aber selbst das wäre zu wenig, um das „grüne“ Füllhorn deutscher sozialer Wohltaten jährlich aufzufüllen.  

Und über dieses Füllhorn haben auf demokratischem Wege im Zuge des EU-Gesetzgebungsverfahrens (EU-Trilog) emeritierte – heute hochdotierte – Politiker jeglicher Couleur von Links bis Rechts entschieden – darunter eine Krankenschwester aus Malta, Landarbeiter aus Rumänien, Kunsthistoriker aus Griechenland, Literaturwissenschaftler, Philosophie-Absolventen aus den Benelux-Ländern oder Querbeet-Politiker aller EU-Länder ohne jegliche Berufserfahrung, weil ohne Berufs-oder Schulabschluss. Aus Ländern meist ohne eigene Automobilindustrie und daher ohne eigene Betroffenheit.

Das ist keine neue Erkenntnis. In den deutschen Bundesregierungen jeglicher Farbenlehre wurde schon seit einem Jahrzehnt und länger von ideologisierten Klimaschützern in den Umwelt- und Verkehrsministerien der fossile Verbrennermotor verdammt und ausschließlich Elektromobilität auf Batteriebasis als allein seligmachende Technologie zur Klimarettung vorgegeben. Im Herbst 2022 wurde dann mit rigiden, technologiefeindlichen Beschlüssen auf Brüsseler Ebene das Verbrenner-Aus auf 2035 festgelegt.

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Wer geglaubt – oder gehofft – hatte, die vom Verbrenner-Aus unmittelbar betroffenen gesellschaftlichen Gruppen, die Beschäftigten bei den Autoherstellern selber oder bei vielen großen und kleinen Zulieferern im Lande, würden es gegen diese alternativlose Technologiepolitik und vor gegen den drohenden Job-Verlust zu flammenden Protesten kommen, sah sich getäuscht. Die Verbandsvertreter der Hersteller in Brüssel und Berlin und vor allem bei den deutschen Gewerkschaften sahen dem Anti-Verbrenner-Treiben in Seelenruhe zu. Die Gewerkschaften schwiegen aus Rücksicht auf ihre Parteikollegen in der Politik.

Bei den Autoherstellern kann man diese Phlegma-Haltung noch verstehen: Ihnen ist es im Prinzip egal, welche Autos sie bauen, ob Verbrennerauto oder Elektroautos. Die Umstellung kostet zwar Ertrag und lokale Beschäftigung, aber die Hauptsache ist, sie sind dabei. Und die Autos werden kollektiv teurer, was die Sache vereinfacht.

Und wenn in Europa Verbrennerautos ab 2035 ganz verboten sind, bauen die Hersteller dann ihre Verbrenner in alten oder neuen Werken im Ausland – zum Beispiel in China und den USA. Dort, wo auch in 100 Jahren noch Verbrennerautos fahren dürfen. Und in den restlichen zwei Drittel des Weltmarktes noch fahren müssen, weil dort der Strom nicht aus der Schnelladestation kommt, sondern mit viel Glück aus der improvisierten, frei im Raum baumelnden Steckdose. Oder die Erde bebt oder Schneechaos herrscht …

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Aus ihrer einzelwirtschaftlichen Sicht ist es für einen europäischen Autohersteller wie großen Zulieferer nur wichtig, dass sein individueller Absatz wächst und die Erträge steigen. Bei strukturell batterie- und werthaltigeren Hochpreisautos wie bei Daimler und BMW ist das auch richtig. Leiden werden vor allem die Massenhersteller wegen des Absatzverlustes bei preiswerten Verbrennerautos in den Einstiegssegmenten und vor allem die Zulieferer, die diese Switch- und Kompensations-Alternativen zwischen Verbrenner- und Elektroautos nicht haben. Allerdings können sie sich immer noch auf den Marktinseln im verbotsfreien Ausland schadlos halten.

Aber leiden werden irgendwann dennoch alle, weil der Gesamtmarkt in Europa wegen der strukturellen teureren Elektroautos schrumpft. Die Mobilität, Wachstumstreiber in der Nachkriegszeit, geht zurück, weil nicht mehr bezahlbar für jedermann. Aber das ist irgendwann, nicht heute. Im Zweifel werden dann die Gewinne mit Verbrenner in China und USA verdient. 

Heute leiden bei Herstellern wie Zulieferern nicht die Aktionäre, sondern vor allem die Belegschaften vor Ort in Köln, Saarlouis, Wolfsburg, Feuerbach, Homburg oder sonst wo, für die es keine alternative Produktion mehr gibt, deren Arbeitsplätze der Transformation der Werke – Umbau und/oder Abbau – zum Opfer fallen.

Was auch immer die Gründe für diese „Still-ruht-der-See-die-Frösche-quacken“-Attitüde bei Industrieverbänden und bei den früher so aggressiven Gewerkschaften waren und sind, der Anti-Verbrennerauto-Umwelt-und-Verkehrspolitik der EU und der Regierung in Berlin schloss man sich ergeben an. Zumal sich das Spitzenmanagement der deutschen Auto-Leuchttürme Volkswagen und Daimler bedingungslos hinter die Politik und die Transformation zur Elektromobilität stellen, der sozialdemokratische Bundeskanzler sich vor kurzem sogar höchstpersönlich auf einer VW-Betriebsversammlung den Fragen der Belegschaftsmitglieder stellte. Gefordert wurde er dabei offensichtlich nicht. 

Lediglich die Oliver-Brothers von BMW und – nach dem Diess-Rauswurf – auch von Porsche vermieden jede einseitige Festlegung, suchen immer nach Antriebsalternativen zum Vollelektrik-Auto und propagierten Wasserstoff und synthetische Treibstoffe, von Porsche handmade in Chile.

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Die Zeitenwende bei der Transformationswende kam erst, als justament zeitgleich mit der nochmaligen Bekräftigung des Verbrenneraus durch die Laienschar des EU-Parlaments in der närrischen Hochburg Köln das dortige Traditionsunternehmen Ford den massiven Abbau von Arbeitsplätzen in Europa als Folge des Ausstiegs aus dem Bau von Verbrennerautos bekannt gab. Nicht nur wie sonst üblich Einschränkungen und Rationalisierung in der Fertigung, sondern diesmal auch in der Entwicklung und der Verwaltung – ein finaler Schritt, das Signal zum Rückzug von Ford aus Europa. Geschuldet der Elektromobilität.

Hatte man wenige Monate zuvor den Ford-Beschluss zur völligen Stilllegung seines hoch effizienten Werkes in Saarlouis noch mit Wettbewerb erklären können, schlug die Kölner Bekanntmachung des Belegschaftskahlschlags wegen der aufkommenden Elektromobilität und ihrer Transformationsfolgen ein wie eine Bombe. 

Natürlich weniger beim Automobilverband VDA und nicht bei den übrigen deutschen Autoherstellern, aber bei den Belegschaften der großen Zulieferer. Seither regt sich Protest, und der wird immer lauter.

Am lautesten war er – völlig unvermutet – jenseits des Brenners in Italien. Bereits im Juni 2022 hat Italien beim Treffen der EU-Umweltminister eine Verschiebung des Verbrennerverbots um fünf  Jahre auf 2040 vorgeschlagen, fand aber damals kein Gehör. Diesmal wurde der Verbrenner-Aus-Bekräftigung durch das EU-Parlament heftig widersprochen. Italien stellt sich quer.

Sämtliche italienische Parteien auf allen Seiten des politischen Spektrums sowie mehrere Minister haben das Europäische Parlament für das kürzlich verabschiedete Gesetz kritisiert und stimmten geschlossen gegen ein Verbrenner-Aus. Begründung: Die Entscheidung sei „verrückt und beunruhigend“, richte sich insbesondere „gegen die italienische und europäische Industrie und die Arbeitnehmer“ und komme chinesischen Unternehmen und Interessen zugute, sagte Infrastruktur- und Verkehrsminister Matteo Salvini. 

Laut Spiegel wackelt auch Deutschlands Ja-Stimme. Und es gebe offenbar weitere Länder, die das Vorhaben zu Fall bringen könnten.

Unter den Protesten der deutschen Belegschaften ragt Bosch hervor, das mit einem Zulieferwerk im Saarland ebenfalls von der Schließung des Ford-Werkes in Saarlouis betroffen ist.

„Bei Bosch brodelt es gewaltig“ (Automobilwoche). Die Bosch-Geschäftsführung hat offenbar entschieden, wichtige Elektrokomponenten in Osteuropa zu fertigen. Das wollen die Beschäftigten der deutschen Powertrain-Standorte, die ihre Verbrenner-Arbeitsplätze schwinden sehen, nicht widerstandslos hinnehmen. Sie fordern Gespräche über die Zukunft, und zwar nicht nur bis 2025, sondern langfristig.

Auf der jüngsten Betriebsversammlung des zentralen Verbrenner-Geschäftsbereichs Powertrain Solutions mit 27.000 Beschäftigten an zehn deutschen Standorten, von denen 17.500 vor Ort in den Werkshallen oder per Video zugeschaltet waren, forderte der Betriebsratsvorsitzende Frank Sell vehement: „Wir wollen Zukunftsbilder für die Standorte haben und nicht nur mit Entscheidungen konfrontiert werden“.

Hintergrund des Protestes ist eine strategische Entscheidung des Managements, die gravierende Folgen für die Bosch-Beschäftigten in Deutschland haben könnte. So sollen laut Betriebsrat alle wichtigen Komponenten der Elektromobilität wie E-Achse, Motor, Rotor und Stator in Osteuropa gefertigt werden, wobei es sich nach Informationen der Automobilwoche um den Standort in Tschechien handeln dürfte, der zum europäischen Produktionsverbund zählt. Bisher werden hier hauptsächlich Einspritzdüsen für Diesel und Benziner gefertigt, die aber mit zunehmender Elektrifizierung unter anderem bei Skoda et al. wegfallen. Die Investition vor Ort soll Werkshallen in der Größenordnung von 40.000 Quadratmetern beinhalten. Das entspricht ungefähr der gesamten Fläche des Standorts Feuerbach in Stuttgart, wo 13.000 Mitarbeiter beschäftigt sind.

Und am Beispiel Bosch offenbart sich die ganze Beschäftigungs-Problematik des politisch gewollten Übergangs zur Elektromobiliät statt einer Beibehaltung der Verbrennertechnologie, zum Beispiel fossilneutral auf Basis von Wasserstoff oder fossilarmen Klimabrennstoffen wie e-Fuels.

Während das Werk in Tschechien vor einer glänzenden Zukunft steht, sieht es an den deutschen Bosch-Standorten trübe aus. Zwar haben diese wie etwa Feuerbach oder Bamberg zum Teil die Brennstoffzelle als Zukunftstechnologie erhalten (Automobilwoche). Doch diese kann nur ein Bruchteil der Beschäftigung kompensieren, der durch den Wegfall von Verbrenner-Komponenten bedroht ist. Die Arbeitnehmer befürchten nun einen massiven Abbau entlang der demografischen Kurve. „Wir haben mit dem Wasserstoff hier in Feuerbach eine Perspektive für 3000 Menschen, aber für 9000 nicht“, so der örtliche Betriebsrat. Es gebe Standortvereinbarungen, aber die reichten nur bis 2025 ohne weitere Zukunftsperspektiven.

In Analogie dazu der Vergleich mit der von BMW in Niederbayern geplanten Giga-Fabrik für die Batteriefertigung. Sie umfasst 160.000 qm², und soll 1000 Arbeitsplätze bieten, nach Messlatte von Ex-Deutschbankern peanuts.

Das Bosch-Management ist so wie viele andere Zulieferer und auch Hersteller in einem Dilemma. Es kann vom Grundsatz her keinen vollen Ersatz für entfallende Verbrenner-Arbeitsplätze bieten, weil Elektro-Arbeitsplätze weder vom voraussichtlichen Volumen noch von der Wertschöpfung her einen äquivalenten Ersatz bieten können. In politischen Talkshows und in Sonntagsreden ja, in der Realität nein.

Entsprechend verschwurbelt äußert sich angesichts dieses nicht lösbaren Problems das Bosch-Management, hier in Form einer vorbereiteten Antwort auf die Betriebsversammlung durch die Personalvorständin Filiz Albrecht:

„Wir haben Verständnis dafür, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angesichts des Wandels in der Mobilität Sorge um ihre Arbeitsplätze haben und dies bei der heutigen Informationsveranstaltung der Arbeitnehmervertreter kundtun. Wir …setzen gemeinsam mit der Führung des Unternehmensbereichs Mobility Solutions alles daran, die Beschäftigung in Deutschland so weit wie möglich zu sichern. Wir stehen zu unseren deutschen Fertigungsstandorten – sie bilden das Rückgrat unserer industriellen Kompetenz und Innovationsführerschaft und sind ein fester Bestandteil unserer Aktivitäten …“

Aber: „Auf dem Weg zur Mobilität der Zukunft müssen wir wettbewerbsfähig bleiben und zugleich Beschäftigung sichern. Wir müssen technologisch an der Spitze bleiben und zugleich auf die Kosten achten. Das schaffen wir mit einem ausbalancierten, globalen Entwicklungs- und Fertigungsnetzwerk.“ 

Das Unternehmen gehe dahin, wo die Kunden sind, und folge damit dem „Local-for-local“-Prinzip. Zugleich setze man auf eine Balance von Produktionsstandorten mit unterschiedlichen Kostenstrukturen und berücksichtige dabei Chancen und Herausforderungen in den jeweiligen Regionen, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu bewahren. Auch die deutschen Standorte seien Pioniere in der E-Mobilität, so Albrecht. „Wir investieren hier weiter, zum Beispiel in Bamberg, Feuerbach, Homburg und Hildesheim – genauso wie weltweit“ (zitiert nach Automobilwoche).

Eine ähnliche Standort-Strategie wie Bosch verfolgen alle großen Player in der deutschen Autoindustrie, nicht nur die Zulieferer auch die Hersteller. Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Kontext, vor allem gegenüber China ist oberstes Gebot. Schäffler, Audi, BMW, Volkswagen – alle investieren erheblich in neue Werke im Ausland.

Und noch etwas treibt deutschen Vertriebs- und Finanzvorständen die Kosten-Schweißperlen auf die Stirn. Auf dem deutschen Automobilmarkt stehen bekannte chinesische Autobauer wie BYD oder Great Wall mit billigen kleinen Elektroautos, über die deutsche Hersteller nicht verfügen, gerade in den Startlöchern. Verlagerung von Fertigung ins kostengünstigere Ausland – es sei denn die Fertigung ist hochautomatisiert wie in der Batteriefertigung – nach Osten oder Neubau im Westen, seit neuestem zunehmend auch wegen der hohen Subventionen der Regierung Biden für Investitionen in die Elektromobilität (IRA=Inflation Reduction Act) nach USA und Mexiko wird zum Gebot der Stunde. Tesla hat deswegen seine Batterie-Fabrik in Grünheide abgeblasen, Joe Biden bietet günstigere Konditionen. Oder verlagern nach China, wo zwar kein Pfeffer, aber der Automobilmarkt noch für einige Jahre wächst. Das Beispiel Ford schlägt Wellen.

Das Verbrennerverbot in Europa mündet, fast schon kurzfristig, in eine Deindustrialisierung des Standortes Deutschland. Die maltesische Krankenschwester hat obsiegt, die alte klassische Verbrenner-Automobilindustrie in Deutschland ist à la longue tot, Ersatzarbeitsplätze und Wertschöpfung 1:1 gibt es nicht, sie schrumpfen. 

Das Tragische an dieser Entwicklung ist, dass der Klimawandel eine globale Angelegenheit ist. Klimaverbesserungen durch das Verbrennerverbot regional in Europa können und werden das Weltklima nicht retten, die europäische Autoindustrie aber nachhaltig schädigen. 

Man darf gespannt sein, wie die Gewerkschaften reagieren. Und vielleicht besucht Winfried Kretschmann mal die nächste Betriebsversammlung bei Mahle, Schäffler oder ZF.

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