Tichys Einblick
Telekom, BASF und E.ON verzweifeln

Die Politik zeigt der Wirtschaft keinen Respekt

Demonstrativ stellen Verkehrsminister Wissing (FDP), CDU-Generalsekretär Linnemann und die Grünen ihr Desinteresse an Industrie und Wirtschaft zur Schau. Die Situation ist schlimm genug, so dass sogar die Großindustrie nicht mehr nach Subventionen, sondern nach Veränderung ruft.

IMAGO
Die Politik hat kein Interesse an den Problemen des Landes. Das ist der Eindruck, der sich den Besuchern der Tagung „Sanierungsfall Deutschland? Für eine Infrastrukturwende“ aufdrängen muss. Die einflussreiche Stiftung Marktwirtschaft hatte zu einer Podiumsdiskussion eingeladen. Einige hundert Zuhörer waren zur Veranstaltung am Dienstagabend gekommen. Für die Politik ist die Anreise kurz: Fand sie doch im Reichstagsgebäude, im Fraktionssaal der CDU/CSU-Fraktion statt.

Gewichtige Teilnehmer waren auch dabei: Auf dem Podium saßen Leonard Birnbaum, Vorstandsvorsitzender der E.ON, Martin Brudermüller, Vorstandsvorsitzender der BASF, Timotheus Höttges, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom, Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts und der Gastgeber Michael Eilfort, Stiftung Marktwirtschaft. Drei Plätze blieben fast den ganzen Abend lang leer: die der Politiker Carsten Linnemann (Generalsekretär der CDU), Ricarda Lang (Bundesvorsitzende der Grünen) und Volker Wissing (FDP, Bundesminister für Digitales und Verkehr).

Der Diener höre ergeben zu

Die Politik war nicht ganz abwesend. Die Missachtung, die sie dem Publikum und den Rednern entgegenbringt, ist noch viel tiefgreifender. Volker Wissing kam zu spät: Eine Diskussion mit dem Kanzler habe zu lange gedauert. Gute Ausrede. Eine Rede später und er war weg, bevor Rückfragen aus dem Publikum kommen konnten. Die Sprechblasen seiner Versprechungen lohnt es nicht zu rezipieren, was sind sie schon wert? Nur interessant: Es wird ein Sondervermögen, als „Infrastrukturfonds“ getarnt, kommen. Das Versprechen der FDP, weitere Schulden zu verhindern, dürfen nun ein weiteres Mal gebrochen werden. Nach gemachter Verkündung schreitet er von dannen. Er hat wohl andere Termine, auf denen er reinschneien muss. Ein klares Zeichen der Wertschätzung, die er keinem der Kurztermine entgegenbringt.

Carsten Linnemann war immerhin geduldiger: Er kam vor Wissing und hielt seine Rede im Anschluss. Als Wissing wieder weg war. Und ging ebenfalls im Anschluss an seine eigene Predigt. Was ist die Rede eines Oppositionspolitikers wert, der sich nicht die Zeit nimmt, die Probleme der Menschen anzuhören, zu deren Veranstaltung er geladen ist? Die gesamte Veranstaltung ist auf zwei Stunden angesetzt. Aber es gibt viele Termine in Berlin, auf denen Wissing und Linnemann reden wollen.

Ricarda Lang ließ sich aus privaten Gründen entschuldigen. Sie schickte eine Vertretung, Katharina Beck, Finanzpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. Beck, wohl kurzfristig eingesprungen, musste sich früh verabschieden, um sich um die Familie zu kümmern: Man möchte Verständnis haben. Sie war die vierte Rednerin und die letzte der drei Politiker, die ging. Immerhin konnte Brudermüller, Vorstandsvorsitzender der BASF, kurz reden, bevor sie das Wort ergriff. Von ihr kam das erwartete: Schuldenbremse lockern, Bürokratie aufbauen, Infrastruktur magisch bessern.

Infrastruktur, die muss für sie vom Staat kommen. Das mag für Autobahnen gelten (meistens): Aber legt der Staat Gasleitungen in Häuser oder Internetanschlüsse? Das organisiert und finanziert die private Wirtschaft. Ohne einen Schuss gegen den Koalitionspartner FDP geht es auch nicht: „Ich habe soeben von Wissing zum ersten Mal von einem Infrastrukturfonds aus seinem Munde gehört“, sagt sie. „Ich wünsche Ihnen noch eine tolle Diskussion“, schließt sie ihre Verabschiedung.

Die Rollen sind verteilt: Die einen hören gefälligst zu und sind froh, dass ihnen die Gnade eines Kurz-Besuchs der anderen zuteil wird.

Der Knecht trägt die Lasten

Die Reden der Wirtschaftskapitäne haben es in sich. Sie warnen vor den akuten Problemen, mit denen sich der Wirtschaftsstandort Deutschland konfrontiert sieht.

„Der Standort Ludwigshafen hat 1,5 Milliarden Euro Verlust“, warnt BASF-Chef Brudermüller. Das ist ein harter Brocken: Am Aktienmarkt ist die BASF circa 46 Milliarden.Euro wert. Das größte Chemiewerk der Welt verbrennt damit ganz alleine drei Prozent des Firmenwerts. „Wir haben überall in der Welt in schlechter Marktlage Gewinn gemacht – aber nicht in Deutschland“, führt er weiter aus. Wie soll man so einen Standort in diesem Land rechtfertigen? Patriotismus ist schön und gut, erwirtschaftet aber keinen Wohlstand.

Was die BASF auch macht, sie steckt in der Sackgasse. Die Produktionskosten sind hoch, weil Energie aus den – auf politischen Wunsch hin gebauten – Gaskraftwerken teuer ist. Die Energie aus – auf politischen Wunsch hin gekauften – Windparks ist doppelt so teuer, weil die Netzentgelte für den Transport von Nordsee nach Ludwigshafen so viel kosten.

Die Netzentgelte sind so hoch, führt der E.ON-Chef Birnbaum aus, weil sein Unternehmen gezwungen ist, immer mehr unwirtschaftliche Anlagen an das Netz anzuschließen, die Kosten dafür selbst zu tragen und dann auch noch Entschädigung zu zahlen, wenn Windkraftanlagen Energie liefern, die nicht gebraucht wird. „Du baust an der falschen Stelle und wirst abgeregelt“, fordert er „dann kriegst du eben kein Geld.“ Das grundlegende Problem sei „die immer größere Beschleunigung der Ziele“ durch die Politik. Kohleausstieg, Energiewende, Elektrifizierung der Industrie, des Heizens, Wasserstoffwirtschaft: Es soll immer mehr, immer schneller geleistet werden.

Und damit es keine Probleme gibt, werden „Probleme mit Geld zugeschmissen“. Für die Energiewende werden Stromtrassen gebraucht. Damit es weniger Proteste gibt, hat die Bundesregierung verfügt, dass diese Stromtrassen unterirdisch verlegt werden sollen. Mehrkosten: 10 Milliarden Euro pro Trasse. Biogasanlagen von Bauern sollen an das Gasnetz angeschlossen werden. Kosten pro Anschluss: 5 Millionen Euro. Der Bauer trägt 250.000 davon. Schön für den Bauern, teuer für E.ON. Wie viel Gas muss aus der Anlage fließen, bis der Anschluss sich amortisiert? Das interessiert nicht.

E.ON ist ein privates Unternehmen, aber als Netzbetreiber von der Gnade der Regierung abhängig. Statt klar zu formulieren, dass das unmöglich ist, sagt Birnbaum: „Es droht eine Überforderung“. Der Kapitalbedarf E.ONs ist so hoch, dass er auf dem europäischen Markt schon nicht mehr gedeckt werden kann. Es müssen Investitionen und Schulden aus Übersee her.

Timotheus Höttges ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom. Er träumt von der Zeit, als die Telekom noch Quasi-Monopolist war. Denn er möchte Effizienzgewinne durch große Plattformen erreichen, wie es auch „die drei Telefonanbieter“ in den USA schaffen. Dass die Telefonanbieter der USA das Land aufgeteilt haben, viele Kunden de facto keine Anbieterwahl haben und die Preise entsprechend teuer sind, kaschiert er mit der Klage, dass die Deutschen für ihre Netzanschlüsse so wenig bezahlen würden.

Aber das ist Industriepolitik und Kartellrecht, darüber kann man streiten. Die Problembeschreibungen, die er aufstellt, sind allgemein zutreffend. Wenn in Bremen ein Glasfaseranschluss verlegt werden soll, muss der städtische Wurzelkataster zu Rate gezogen werden. Wenn ein Telefonmast aufgestellt wird, werden Ameisenhaufen umgesiedelt. Eine Antenne aufzustellen dauert 36 Wochen in Deutschland. Und eine Woche in den USA.

„Ich investiere patriotisch“, wiederholt er mehrmals. Gut, dass Beck, Wissing und Linnemann schon weg sind und ihm aus dem P-Wort keinen Strick drehen können. „Ich investiere patriotisch und nicht ökonomisch“, das sei der einzige Grund, warum er in Deutschland überhaupt noch investiere als Chef der Deutschen Telekom. „Wenn der Staat erwartet, dass private Unternehmen investieren, muss das Geld auch zurückverdient werden.“ Aber der Staat hält die Hand auf: Mobilfunklizenzen werden nicht verkauft, sondern gegen Gebühr vergeben. 66 Milliarden habe die Bundesregierung damit eingenommen. Wo ist das Geld gelandet? Im Sozialetat.

Und auch die Telekom ächzt unter den Kosten: Der Strom koste sie noch immer dreimal so viel wie vor der Ukrainekrise. Digitalisierung, Mobilfunk, Internet, Künstliche Intelligenz: Sie alle versprechen Effizienzgewinne, Wohlstand, Ressourceneinsparung. Aber fressen viel, viel, viel Strom.

Wenn der Lakai aufmüpfig ist, fessle ihn

Und die Überregulierung macht alles nur schlimmer. Der European Green Deals, ein Gesetzespaket, dass die Europäische Wirtschaft transformieren soll, umfasst 15.000 Seiten neue Regulierungen nur für die Chemieindustrie, erklärt BASF-Brudermüller. Die Ampel regele im Heizungsgesetz „Technologien für die Heizung in den Abschnitten a bis p: nur um dann zu realisieren, dass man den Kachelofen vergessen hat zu regulieren!“.

Und das Problem, führt Höttges aus, ist nicht nur die Überregulierung auf kommunaler, Landes-, Bundes- und europäischer Ebene. Es ist auch, dass die Deutschen diese Regulierungen schlimmstmöglich auslegen. Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gilt in ganz Europa – aber trotzdem könne in Finnland die Krankenakte zentral digitalisiert werden. Trotzdem ließen sich Behördengänge in Dänemark digital erledigen, so Höttges. Aber Deutschland scheitert aufgrund von DSGVO-Bedenken an diesen Dingen. „Wir haben kein Erkenntnisproblem, wir haben ein Umsetzungsproblem“, formuliert er. Die Bürokratie, die Bundesbeauftragten für dies und das, die Behörden, Interessengruppen und versteinerte Beamte sind Fesseln, die Bewegung unmöglich machen.

Die Tagung zeichnet ein düsteres Bild: ein Staat, der im Regulierungswahn ist. Der im Detail vorschreiben will, wie man zu handeln hat: Aber daran versagt, weil das Leben sich nicht in Paragraphen pressen lässt. Eine Großindustrie, die nicht mehr produzieren kann, weil die Preise zu hoch sind. Und wenn es so den Großindustriellen geht, denen, für die Ausnahmen in die Gesetze geschrieben werden: Wie geht es dann mittelständischen oder kleinen Unternehmen?
Die Gesellschaft ist gefesselt in einer Lethargie, die sie sich selbst auferlegt hat, die sie selbst gewählt hat. Alle sind für Stromtrassen, nur eben nicht da, wo man sie sehen kann.

Hoffnung ist keine in Sicht. Wenn die Politik nicht da ist, klagen die Unternehmer laut. Und schielen doch mit einem Auge doch immer wieder auf Staatssubventionen. Sie fordern von der Politik, dass sie ihre Eingriffe in die Wirtschaft priorisiert, nicht, dass sie die Finger von Dingen lässt, von denen sie nichts versteht. Jahrelang haben sie sich mit den Versprechen von Subventionen oder Umlagen immer wieder zum Bittsteller machen lassen: Und nun hofft die Industrie, dass die Politik sie respektiert, wenn sie den Bettelhut in den Staub wirft. Doch dieser Abend demonstriert klar, wer der Knecht ist und wer der Herr.

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