Tichys Einblick
Zum Piepen

Der Sound der Elektromobilität: EU-Verordnung sorgt für lautere E-Autos

Die Brüsseler Bürokratie schreibt vor, dass E-Autos eine bestimmte Lautstärke verbreiten. Besonders sinnvoll ist das nicht. Aber bei Volkswagen sorgt es dafür, dass Dschinghis-Khan-Sänger Leslie Mandoki beschäftigt ist.

imago images / HMB-Media

Es ist zum Piepen. Die Lärmverordnung für neue Automobile im Amtsblatt der Europäischen Union beschreibt auf 65 Seiten bis ins kleinste Detail, dass Elektroautos keine kaum hörbaren Schleicher mehr sein dürfen. Im Gegenteil. Elektroautos, die seit Juli 2019 von Amts wegen typgeprüft sind, also eine ab diesem Datum gültige Allgemeine Betriebserlaubnis besitzen, müssen Geräusche von sich geben.

Dazu reicht es nicht, dass die Reifen beim Abrollen sowieso hörbar surren. Seit Juli gilt, dass am Bug jeden Automobils, das, wie sich die EU-Bürokraten ausdrücken, „elektrisch beschleunigen kann“, ein Lautsprecher angebracht sein muss, der bei niedriger Geschwindigkeit (bis 20 km/) Warntöne ausstrahlt. Dabei handelt es sich um das Acoustic Vehicle Alerting System (abgekürzt AVAS) zum Schutz der Fußgänger. Hintergrund der Regelung: Der EU-Gesetzgeber will sehbehinderte und blinde Menschen schützen, weil die sich aufs Gehör verlassen müssen. Experten befürchten nun jedoch eine Kakophonie aus Designersounds von „sportlich“ bis „luxuriös“. Wie immer das klingen mag.

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Die Vorschrift betrifft nicht nur reine Elektroautos, sondern gilt auch für Hybridfahrzeuge, deren Elektromotor zumeist nur beim Anfahren aktiv ist. Die Frage stellt sich, angesichts der ohnehin hohen Lärmbelästigung durch Autos in unseren Innenstädten: War das wirklich nötig? Zumal die Erfinder dieser Regelung ursprünglich einen Ausweg geschaffen hatten: „Das AVAS muss mit einem für den Fahrer leicht erreichbaren Schalter ausgestattet sein, der die Aktivierung bzw. Deaktivierung ermöglicht. Beim Neustart des Fahrzeugs muss das AVAS automatisch die Stellung ‚EIN‘ einnehmen.“ So stand es in der entsprechenden Verordnung. Aber der Passus ist inzwischen kassiert worden. Jetzt gilt: Der Soundgenerator darf nicht mehr abschaltbar sein. Und: AVAS muss auch bei Rückwärtsfahrt Töne von sich geben.

Die Angelegenheit ist nicht ohne Haken. Denn auch moderne Diesel und Benziner sind sehr leise, wenn sie im Schritttempo durch die City rollen. Und bei vielen Modellen ist es obendrein auch so, dass ihre erweiterten Start-Stopp-Systeme die Motoren unterhalb von 20 km/h abschalten und sie weitgehend lautlos dahin schleichen. Trotzdem sind sie von dieser Lärmregelung ausgenommen.

Wer solch ein leises Auto fährt, hat möglicherweise schon mal die Erfahrung gemacht, dass es in Spielstraßen oder an Zebrastreifen von Kindern oder Erwachsenen nicht wahrgenommen wird. Tests aus dem Jahr 2011 des Center Automotive Research (CAR) der Universität Duisburg-Essen belegen, dass solch eine Regelung ziemlich heikel ist, wie heise-online berichtet. Damals wurde mit 240 Teilnehmern im Alter von fünf bis 95 Jahren geprüft, ob, wann und wie sie batterieelektrische Autos sowie solche mit Benzin- oder Dieselmotor hören können.

14 Prozent der Probanden waren schwerhörig und 35 waren sehbehindert oder blind. Das ernüchternde Ergebnis: Deutlich messbare Unterschiede im Lärmpegel der Testwagen waren nur bei Vollgas- und Hochdrehzahlfahrten feststellbar. In anderen Situationen gab es weitgehend Gleichstand zwischen den Antriebsarten. Auch die subjektiven Wahrnehmungen der Teilnehmer waren zwischen einem baugleichen Auto, das einmal mit Verbrennungsmotor und einmal mit Elektromotor verfügbar war, wie etwa der VW e-Golf, weitgehend deckungsgleich. „Die Messungen zeigen, dass es wenig Sinn macht, Elektroautos mit künstlichen Geräuschen auszustatten und neue Benziner nicht“, fasste Professor Ferdinand Dudenhöffer vom CAR damals zusammen. „Wenn schon, müssten beide Fahrzeugkategorien mit per Software erzeugtem Lärm verändert werden. Die bisherigen Beobachtungen im Straßenverkehr haben aber kein gestiegenes Unfallverhalten bei modernen Benzinern gezeigt.“ Wenn man konsequent wäre, so heißt es im Fazit der Studie, müssten sämtliche Pkw mit AVAS ausgerüstet sein.

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Eine exakte Lautstärke für die künstlichen Fahrgeräusche ist übrigens nicht vorgegeben. Es sollen aber im Durchschnitt bei 10 km/h 56 Dezibel (normaler Straßenverkehr) und bei 20 km/h noch 50 Dezibel (normales Gespräch/quakende Frösche) sein. Bleibt die interessante Frage: Welcher Sound kommt infrage? Es ist zu vermuten, dass allenthalben Sounddesigner am Werk sind oder es bereits waren, um über eine entsprechende Komposition den angeblich typischen Klang einer Marke in die Ohren der Fußgänger zu leiten – was immer das im Einzelfall bedeuten mag. Denn es stellt sich die vermutlich unbeantwortbare Frage: Wie klingt ein Elektro-Mercedes, -BMW oder -Audi, sodass jedermann sofort erkennt, welches Modell da anrollt? 

Sicher ist nur, dass Volkswagen für den neuen Stromer ID.3 bereits einen Profi beschäftigt hat: Leslie Mandoki, der berühmte und bis heute langhaarige wie auch Seehundschnauzbart tragende Ex-Sänger der Pop-Gruppe „Dschingis-Khan“. Angeblich hat er dafür einen sonoren „sssswwww“-Ton zusammengemixt. Das Werk des Künstlers, von den VW-Marketingmenschen flugs „markenspezifisches Sounddesign“ getauft, wurde im Rahmen der Veranstaltung „Future Sounds“ im Drive Forum in Berlin vorgestellt. Elektroautos von Volkswagen können damit demnächst schon an ihrem Klang zu erkennen sein.

„Wie ein Elektroauto klingt, bestimmt seine Identität. Der Sound sollte souverän und sympathisch sein. Er darf gerne futuristisch klingen und muss darüber hinaus durch seine Einzigartigkeit überzeugen“, schwadroniert Frank Welsch, Entwicklungsvorstand der Marke Volkswagen. Und Klaus Bischoff, Leiter des Volkswagen Designs, setzt noch einen drauf: „Mit dem Sound bekommt das E-Fahrzeug eine eigene Stimme, die wir vollkommen unabhängig von mechanischen Geräuschen selbst gestalten können. Der ID.3 kommuniziert Sicherheit und das Versprechen müheloser Mobilität: Wir kommen mit ihm überall hin.“
Mandokis Meisterwerk ist hier zu hören.
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