Tichys Einblick
Forum for a New Economy

Ein altes „neues Paradigma“: Die Staats-Ökonomen machen mobil

Von DIW bis OECD, von Stiglitz bis Edenhofer: Das Establishment der staatsgläubigen Wirtschaftswissenschaft schließt ein Bündnis für ein angeblich neues Leitmotiv. Wir sollen davon überzeugt werden, dass der Staat sich um viel mehr kümmern soll.

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Man stelle sich vor, namhafte Historiker oder Soziologen gründeten eine Vereinigung mit dem Zweck, ein „neues Leitmotiv“ oder „Paradigma“ zu etablieren. Kaum vorstellbar. Nein, über solches Selbstvertrauen verfügt nur eine Wissenschaftsdisziplin: die Ökonomik. 

Was Karl Marx den Philosophen empfahl – „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an sie zu verändern“ – tun Ökonomen tatsächlich mit fraglos größerer Wirkung als jede andere Disziplin der Sozial- und Geisteswissenschaften. Sie sehen sich wie selbstverständlich als politische Ratgeber und somit nicht nur als Sucher nach Erkenntnis, sondern als Akteure. Die Rolle ist ihnen spätestens seit der Weltwirtschaftskrise in der Zwischenkriegszeit auch von einer ökonomisch ratlosen Politik zugewiesen worden – und Männer wie John Maynard Keynes, Simon Kuznets, Gunnar Myrdal einerseits, Friedrich August von Hayek, Milton Friedman andererseits gehören fraglos zu den großen Movers und Shakers des 20. Jahrhunderts. Vor allem die Erfindung des Bruttosozialprodukts war, ohne dass den meisten Menschen dies je bewusst wurde, ein Zentralereignis des 20. Jahrhunderts: eine Antwort auf die Weltwirtschaftskrise, kriegsentscheidendes Werkzeug der amerikanischen Rüstungswirtschaft im Zweiten Weltkrieg und unabdingbar für die Wachstumswirtschaft danach. 

Wenn sich also jetzt große Namen der deutschen Ökonomik zusammentun, angedockt an noch größere internationale Namen, und ein „Forum (for a) New Economy“ (FNE) gründen, dann ist das mehr als ein akademisches Ereignis. Die unbescheidenen Ziele des Forums, das seit wenigen Tagen in Berlin ins Leben getreten ist: „Den Klimawandel zu bekämpfen, Ungleichheit abzubauen, wieder mehr in zukunftsfähige Infrastruktur zu investieren und die Globalisierungskrise zu beenden – all das wird nicht gelingen, wenn nur hier und da wirtschaftspolitisch das eine oder andere korrigiert wird. Es bedarf womöglich eines ganz neuen Leitmotivs im Vergleich zu den vergangenen Jahrzehnten, als sich die politischen Entscheidungsträger viel zu stark von einem allzu naiven Glauben darin haben leiten lassen, dass sich über das freie Spiel entfesselter Märkte unsere Probleme lösen ließen. Um ein solch neues Paradigma voranzubringen, wollen wir mit diesem Forum innovative Wissenschaftler mit politischen Entscheidungsträgern und einer breiteren Öffentlichkeit in und über Berlin hinaus zusammenbringen.“

Das Forum wird nach eigenen Angaben „unterstützt von bedeutenden Organisationen wie der OECD, dem Institute for New Economic Thinking und dem Pariser Institut OFCE, sowie von Stiftungen wie der Hewlett Foundation, der Mercator Stiftung, der European Climate Foundation, der Bennemann, der Canopus Stiftung und dem Makronom. Darüber hinaus kooperiert die Initiative über ein Forschungsprojekt mit dem DIW Berlin. Unterstützt wird das Forum zudem von ein paar Dutzend renommierter Experten aus dem In- und Ausland, darunter Mariana Mazzucato, Branko Milanovic, Joe Stiglitz, Michael Spence, Moritz Schularick, Marcel Fratzscher, Martin Hellwig, Jakob von Weizsäcker, Jens Südekum, Tom Krebs, Anatole Kaletsky, Ottmar Edenhofer, Barry Eichengreen, Adair Turner, Laurence Tubiana, Pascal Lamy, Hélène Rey, Katharina Pistor und andere“. Mit anderen Worten: Breite Rückendeckung des Establishments ist gesichert. Geld und Zugänge zu den Mächtigen dürften überhaupt kein Problem werden. 

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Der Direktor des Forums ist für Wirtschaftsjournalisten ein alter Bekannter: Thomas Fricke. Als früherer Chefökonom der 2012 untergegangenen „Financial Times Deutschland“ und Kolumnist bei Spiegel-Online kennt Fricke wie kaum ein zweiter das Geflecht zwischen Medien und Wirtschaftswissenschaft. Und als früherer Chefökonom der „European Climate Foundation“ ist er mit dem Geschäft einer zweckgebundenen, politischen Zielen verpflichteten Wissenschaft bestens vertraut. Die ECF gibt übrigens auch die Website klimafakten.de heraus. Diese wurde 2017 von der Deutschen Umwelthilfe (auch als Abmahnverein bekannt) mit dem Umweltmedienpreis ausgezeichnet, da sie eine „Pflichtlektüre für alle, die heute Überzeugungsarbeit in Sachen Klimaschutz leisten“, sei.

Und Fricke lässt uns gleich in einem seiner ersten Texte auf der Homepage wissen, dass die Deutschen (s)ein neues Paradigma „wirklich wollen“. Das heißt, um es kurz zu machen: Der Staat soll sich mehr um ihre ökonomischen Belange kümmern. Um das vermeintlich zu belegen, hat man bei Forsa (das sind die, bei denen SPD, Linke und Grüne seltsamerweise oft etwas besser abschneiden als andernorts) eine Umfrage in Auftrag gegeben. Demnach ist den meisten die Privatisierung zu weit gegangen. Nur 21 Prozent halten es für gut, dass die Bürger im Land durch die Reformen der Agenda 2010 „zu mehr Eigenverantwortung und Eigenvorsorge“ bewegt wurden – und der Staat entsprechende Leistungen dafür gekürzt hat. Und um ganz unmissverständlich klar zu machen, worum es geht, verlinkt Fricke am Schluss direkt zum Spiegel, der brav die Auftragsstudie des eigenen Kolumnisten übernommen hat und titelt: „Deutsche wollen mehr Staat“.

Das eigentliche Leitmotiv des Forums scheint aber ein politisches zu sein: nämlich der Kampf gegen den Populismus. Wie Fricke auf der Website berichtet: „Als diese Initiative ihren Anfang nahm, hatten die Briten gerade mehrheitlich für den Brexit gestimmt – und Donald Trump in den USA die Wahlen gewonnen. Beides hatte 2016 einen Schock ausgelöst – und die Vermutung genährt, dass dahinter mehr als nur ein paar zufällige politische Schocks steckten. Dass in so vielen Ländern aus Protest Populisten gewählt wurden, muss einen anderen gemeinsamen Grund haben. Und einiges schien darauf hinzudeuten, dass der gemeinsame Nenner im Scheitern eines wirtschaftspolitischen Paradigmas steckte, das über ein paar Jahrzehnte die Globalisierung maßgeblich bestimmt hatte und mit der großen Finanzkrise 2008 in eine tiefe Krise gestürzt war.“

Das dürfte heute eines der zentralen Motive von regierenden Politikern sein, Ökonomen nach Rat zu fragen: Sagt uns, was wir tun können, um die Populisten klein zu halten. Und wie angenehm muss doch die Antwort klingen, die Frickes versammelte Ökonomenzunft gibt: Den Staat wieder in die Wirtschaft expandieren zu lassen, Staatsausgaben steigern, Geld verteilen. 

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Statt „innovativer Ideen“ und „neuer Ökonomik“ propagiert das Forum – bislang zumindest – ein langweiliges, ziemlich denkfaules Programm eines neu aufgelegten Vulgär-Keynesianismus. Den Vorwurf der „einfachen Wahrheiten“, den Fricke den Populisten macht, muss man ihm und seinen Mitstreitern selbst machen: Als ob aus den zweifellos verheerenden Übersteigerungen des Deregulierungs-Paradigmas der 1980er und 90er und des Glaubens an die unbedingten Selbstheilungskräfte des freien Marktes nun im ebenso radikalen Umkehrschluss eine Rückkehr zur keynesianischen Staatsexpansion und zu noch mehr Umverteilung folgere. Als ob die Auswirkungen einer solchen Politik nicht schon vor über 40 Jahren ihre verheerende Wirkung bewiesen hätten, als sie den Weg zur Überforderung des Sozialstaates und der strukturellen Staatsverschuldung vorzeichnete. Und als ob nicht beide – ein ökonomistischer Markt-Fetischismus einerseits und die Kümmer-Hybris des Versorgungsstaates andererseits ohnehin seit Jahrzehnten Hand in Hand gehen.

Zwei Begriffe übrigens findet man bezeichnenderweise nicht auf der Website des Forums: Freiheit und Macht. Erstere zu bewahren und letztere einzuhegen, war neben der Schaffung von „Wohlstand für alle“ das zentrale Anliegen der Schöpfer der Sozialen Marktwirtschaft. Aber von der ist beim FNE ohnehin an keiner Stelle die Rede.