Tichys Einblick
Ende des Immobilien-Booms?

Abwärtstrend bei Baugenehmigungen und am Immobilienmarkt

In der Wohnungsbaubranche herrscht Verunsicherung, vor allem wegen deutlich steigender Kosten. Viele Projekte werden zurückgezogen oder ganz eingestellt. Am Immobilien-Kapitalmarkt stellen sich herbe Verluste ein. 

Symbolbild

IMAGO / serienlicht

Im August 2022 brach die Zahl der Baugenehmigungen erneut deutlich ein. Es wurde lediglich der Bau von 28.180 Wohnungen genehmigt. Das waren 9,4 Prozent oder 2.934 Baugenehmigungen weniger als im August 2021 – mithin nicht nur der vierte Rückgang in Folge, sondern zugleich der kräftigste seit November 2021, wie das Handelsblatt berichtet. 

Laut dem Statistischen Bundesamt wurden von Januar bis August 2022 insgesamt 244.605 Baugenehmigungen für Wohnungen erteilt – drei Prozent oder 7.624 weniger als im Vorjahreszeitraum (Januar bis August 2021: 252.229). Konkret waren es Baugenehmigungen im Neubau von Januar bis August 2022 mit minus 15,8 Prozent bei Einfamilienhäusern, die auf 55.260 abnahmen, und minus 2,8 Prozent bei Mehrfamilienhäusern. 

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Der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie, Tim-Oliver Müller, sagt gegenüber dem Handelsblatt zu den Zahlen: „Die weiterhin rückläufigen Genehmigungszahlen sind Ausdruck der extremen Verunsicherung öffentlicher und privater Wohnungsbauer.“ 

Die Entwicklung sei ein erneuter Rückschlag im Bemühen der Bundesregierung, pro Jahr 400.000 Wohnungen zu bauen. Das Ifo-Institut spricht von einer sich aufbauenden Stornierungswelle. Im September waren 16,7 Prozent der befragten Unternehmen davon betroffen, nach 11,6 Prozent im Vormonat. „Aufgrund der explodierenden Material- und Energiepreise sowie der steigenden Finanzierungszinsen ist die Planungssicherheit dahin. Die Baukosten steigen immer weiter. Für einige Bauherren ist das alles nicht mehr darstellbar, sie stellen Projekte zurück oder ziehen ganz die Reißleine“, sagt Ifo-Forscher Felix Leiss. 

Rasant ansteigende Preise beim Wohnungsbau sind nicht erst seit dem Krieg gegen die Ukraine zu verzeichnen. Bereits im Jahr 2021 gab es Preissprünge bei Baustoffen. Holz, Beton und Stahl verteuerten sich so sehr wie seit Beginn der Preiserhebungen 1949 nicht. Insbesondere die höheren Energiepreise wirkten sich auf den Bausektor aus. 

Immobilien-Investor Jakob Mähren konstatiert: „Die Stimmung ist apokalyptisch.“ Offenbar ist es das Ende des Immobilien-Booms. Geschäfte mit der Baufinanzierung gehen zurück. Fachleute rechnen mit Rückgang bis Stillstand, was die Vergabe neuer Kredite angeht. Für die Erträge der Banken ein Problem. Im März hatte das Neugeschäft mit gut 32 Milliarden Euro noch einen neuen Rekord erreicht, seitdem ist es fast jeden Monat gesunken und lag im Juli sowie August jeweils unter dem Vorjahresniveau. 

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Andererseits „mehren sich die Anzeichen, dass mit dem Anstieg der Immobilienpreise nun in immer mehr Städten und Vierteln Schluss ist. Die Kaufpreise stagnieren oder fallen vereinzelt sogar. Frankfurt und München gelten als die Städte mit der höchsten Gefahr für eine Preisblase, die bald platzen könnte“, berichtet die FAZ. Immobilien würden dadurch künftig nicht erschwinglicher. Zwar sei mit keinem kräftigen Einbruch der Immobilienpreise zu rechnen, mehr als eine Stagnation oder ein leichter Rückgang würde es wohl nicht geben. Der Grund: Es gibt kein Überangebot, weil jahrelang zu wenig gebaut wurde. 

Bisher galt „Betongold“ als Schutz vor Inflation. Immobilienaktien müssten also eine Abschirmung bieten. Aber diese Rechnung geht derzeit nicht auf. Die großen börsennotierten Immobilieneigentümer gehören in diesem Jahr zu den ganz großen Verlierern auf dem deutschen Kurszettel. Die Papiere von Vonovia, LEG, Aroundtown & Co. haben fast doppelt so stark eingebüßt wie der Deutsche Aktienindex (Dax). 

Die Verluste belaufen sich teilweise auf mehr als 80 Prozent, meldet die Welt. Inzwischen notierten viele Immobilienunternehmen so niedrig, dass ihr Börsenwert weit unter den Buchwert der Häuser und Grundstücke in ihrem Besitz gesunken sei. Die Verwerfungen erregten am Finanzmarkt Aufmerksamkeit und ließen zwei Interpretationen zu: Entweder seien die Immobilienaktien schlicht falsch bepreist, und es böten sich gewaltige Chancen für Anleger, oder aber der Kurs-Crash kündige noch viel größeres Ungemach an – für den Immobilienmarkt und die gesamte deutsche Volkswirtschaft.

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