Tichys Einblick
No future

Die Ampel liefert wie versprochen – eine fragwürdige, illiberale Zukunft

Selten zuvor wurde in der Politik ein so bombastischer Wortschwall abgeliefert – ein untrügliches Zeichen dafür, dass etwas verborgen werden muss: Es tarnt sich eine rückwärts gewandte Koalition, die keine Antwort auf aktuelle Fragen findet.

IMAGO / Mike Schmidt

Nein, die bisherigen Eckpunkte der künftigen Ampel-Koalition sind keine Enttäuschung. Sie sind vielmehr in Partei- und Wahlprogrammen wohlformuliert und damit bekannt – man muss sie nur richtig lesen:

„Staatliches Handeln soll schneller und effektiver werden und wirtschaftliche wie gesellschaftliche Innovationsprozesse befördern. Wir wollen eine neue Kultur der Zusammenarbeit etablieren, die auch aus der Kraft der Zivilgesellschaft heraus gespeist wird.“

Dieser Satz bedeutet nichts anderes, als dass wirtschaftliche Entscheidungen vorentschieden werden – vom Staat und der „Zivilgesellschaft“, die wiederum staatlich gelenkt und finanziert wird. Robert Habeck hat sich dazu ausdrücklich bekannt, die Richtung Linkspartei gerutschte SPD sowieso, und auch Christian Lindner von der FDP ist längst zum staatswirtschaftlichen Klimadirigismus konvertiert. Christian Lindner antwortete darauf, als habe er sich vorher von Robert Habeck schulen lassen: „Wir brauchen einen Rahmen, den der Staat setzt. Daraus müssen sich die Klimaziele ergeben. Aber auf dem Weg dahin möchte ich gerne Naturwissenschaftlern und Technikern das Vertrauen geben, die wissen, wie wir es konkret machen.“

So, wie einst „sozial“ vor Marktwirtschaft gesetzt wurde, um wirtschaftliche Prozesse mit Sozialpolitik zu überwölben, hat jetzt mit der „sozial-ökologischen Marktwirtschaft“ ein Begriff Einzug in das Sondierungspapier gefunden, der der Politik und den regierenden Parteien neue Eingriffsmöglichkeiten verschafft: Was nicht von Politikern gemäß ihren jeweiligen Machtphantasien als öko-sozial definiert wird, hat keinen Platz mehr.

Mehr Einwanderung sowie Zerstörung des Sozialstaats

Auch von einer Begrenzung der Einwanderung ist keine Rede mehr: Jetzt heißt es „Spurwechsel“, weil statt der ohnehin nicht mehr durchgeführten Abschiebung auch Nicht-Asylberechtigte vollen Zugang zum Sozialstaat erhalten sollen, einschließlich beitragsfreiem Zugang zur Renten- und Krankenversicherung für die ganze nachgeholte Familie; der dazugehörende Pass wird schnellstmöglich hinzugeliefert.

Für Fachkräfte sollen Sonderregelungen gelten; denn allmählich ist nicht mehr zu verleugnen, dass die bisherige Zuwanderung eben nicht die versprochenen Fachkräfte, sondern millionenfach Sozialfälle ins System geholt hat. Warum aber sollte eine Fachkraft nach Deutschland kommen, wenn sie wegen der erdrückenden Abgabenlast kaum Wohlstand erwirtschaften kann? Denn das zukünftige Deutschland soll noch mehr Leistungsempfänger noch unkontrollierbarer und grenzenloser versorgen; wie schon 2015 ist der Zugang ins Sozialsystem unbegrenzt und steht weit offen.

Diesen direkten Zugriff auf die Staatskasse soll es gerechterweise bald auch für schon länger hier Wohnende geben. Dafür wird ein „Bürgergeld“ erfunden, das man natürlich digital abrufen kann. Die vernünftige Regelung von „Fördern und Fordern“ wird in ein bedingungsloses „Fördern“ rückverwandelt; und dieses Fördern sollen eine sinkende Zahl von Erwerbstätigen leisten. Es ist ein Rückfall in die Zeit vor Gerhard Schröder; bedingungslos und bedenkenlos. Wer noch arbeitet wird als Zahlvieh behandelt, über dessen Einkommen und Wertschöpfung Politiker entscheiden. Nicht nur an dieser Stelle.

Selbstverständlich dürfen Renten weder gesenkt, noch die Lebensarbeitszeit erhöht werden; woher die dann notwendigen zusätzlichen Supermilliarden herkommen, wird nicht beantwortet. Lächerliche 10 Milliarden sollen in eine zukünftig auch kapitalgedeckte Rentenkasse fließen. Es ist der Beweis, dass die längst verbreitete Rechenschwäche auch die Politik bestimmt: 100 Milliarden beträgt bereits heute der Bundeszuschuss, weil die Beiträge nicht mehr ausreichen. 10 Milliarden also, verzinst mit den in der Negativ-Phase bestenfalls erwirtschaftbaren einem Prozent sind gerade 100 Millionen – nicht mal ein Tropfen auf den heißen Stein; aber es reicht, um diese FDP glücklich zu machen. Diese Regierungskoalition ist offenbar finster entschlossen, den Sozialstaat zu zerstören: mehr Leistungsempfänger durch Ausdehnung der unqualifizierten Zuwanderung, weniger Beitragszahler durch Frühverrentung sowie demographischen Wandel und gleichzeitig wachsende Arbeitslosigkeit durch Deindustrialisierung … Houston, wir haben ein Problem. Ob Fahrradkuriere und Lieferando-Radler mit Gehältern unterhalb des Mindestlohns den Wegfall von gutgezahlten Industriearbeitsplätzen kompensieren? Willkommen auf dem Fahrradschnellweg in die prekäre Dienstleistungsgesellschaft.

Die Kluft zwischen Realität und Traum

Zwar hat die FDP Steuererhöhungen ausgeschlossen. Sehr gut. Das wird Christian Lindner als Finanzminister herkulische Kräfte abverlangen, wenn die Demonstrationszüge derjenigen, denen mehr versprochen wurde, auf die Protestzüge jener treffen, die keine höheren Abgaben leisten wollen für zukünftige Leistungen, die sie selbst niemals erhalten werden. Arbeit lohnt sich nicht mehr, je jünger, desto weniger. Oder wird die Vermögensteuer doch wieder erhoben? Schattenhaushalte mit Riesendefiziten außerhalb der Schuldenbremse eröffnet?

Letztlich sind die Tricks egal – sie bilden keine belastbare Brücke über die riesige Kluft zwischen Versprechen und Wirklichkeit dieser Koalition. Es ist rotgrüngelber Wortschaum. Belanglos und doch schädlich.

Ähnlich ist es in der Energiepolitik. Ausgerechnet in der Zeit einer globalen Energieverknappung will Deutschland den Ausstieg aus der Kohleverstromung und den damit verbundenen Fernwärmenetzen auf 2030 vorziehen – „wenn möglich“. Es ist dies eines dieser kleinen Hintertürchen, durch die die Realität mit Macht hereindrängt. Gaskraftwerke sollen die klaffende Stromlücke schließen, steht da.

Dahinter verbirgt sich ein Eingeständnis, immerhin: Die Energiewende ist gescheitert; statt Kohle verbrennen wir halt Gas, das nach den langen Transportwegen kaum weniger Schadstoffe hinterlässt. Deren Bau dauert aber sieben Jahre, und damit ist 2030 eigentlich schon jetzt Realität. Auch der Brennstoff fehlt; und nein: Er kommt nicht aus der Pipeline. Dahinter liegen Gasfelder, deren Erschließung ein Jahrzehnt dauern und ungeheure Geldsummen verschlingen würde. Energieinfrastruktur ist kapitalintensiv, teuer, langfristig. Die neue Koalition handelt so infantil wie die alte und zerschlägt im kindlichen Vergessen der Konsequenzen bestehende Strukturen, ohne neue zu haben. Also doch kein früherer Kohleausstieg? Trickreich verbergen die Koalitionäre die Konsequenzen ihrer Sprüche in verborgenen Zwei-Wort-Formulierungen zwischen bombastischen Zukunftsversprechen. Nur Lösungen bieten sie nicht, das wäre unangenehm überprüfbar. Inflation? Heizung zu teuer? Antworten auf die wirklichen Fragen fehlen.

Einigkeit in der Gesellschaftsveränderung 

Einig sind sie sich in der Gesellschaftspolitik. Man sprich von „gesellschaftlicher Erneuerung“. Was genau verbirgt sich dahinter? Bessere Schulen und wieder Universitäten, die den Namen verdienen? Dass Leistung sich wieder lohnt und Eigenverantwortung vor Versorgungsansprüchen rangiert? Nein.

Es geht um wolkige Begriffe wie „Gleichstellung und Vielfalt“. Dies aber sind tatsächlich harte Chiffren für die Zerstörung der liberalen Gesellschaft zugunsten einer rassistischen und sexistischen Ständegesellschaft, in der das Individuum nichts bedeutet und in welcher allein Hautfarbe, Herkunft und Geschlecht zählen sollen. Nichts anderes verbirgt sich hinter der Formulierung, man wolle für mehr „Vielfalt im Arbeitsleben“ sorgen: Farbige Minderheiten werden bevorzugt bei der Besetzung von Jobs in Wirtschaft und öffentlichem Dienst, in Parlament und an der Uni. Nicht mehr Leistung, Qualifikation oder Wählerstimme sollen zählen, sondern Quoten für radikale Minderheiten, die zusammen eine Regenbogenallianz gegen die verhasste, „eklige weiße Mehrheitsgesellschaft“ bilden sollen, und natürlich gegen diese Männer, die man noch irgendwie ertragen muss. Dazu zählt auch die kaum verklausulierte Entmachtung der Familien, indem angebliche Kinderrechte die Rechte der Eltern ersetzen sollen, was nichts anderes bedeutet, als dass staatliche Fürsorger an die Stelle der elterlichen Sorge treten. Was soll man sich unter einem „Pakt fürs Zusammenleben“ vorstellen? Einen Beamten am Ehebett? Ist das der „Respekt für Dich“, von dem Olaf Scholz redet? Dahinter verbirgt sich etwas anderes.

Wenn „das Familienrecht, das Abstammungsrecht und das Transsexuellengesetz ebenso wie die Regelungen zur Reproduktionsmedizin“ angepasst werden sollen, dann ist das nichts anderes, als dass zukünftig 12-Jährige darüber entscheiden dürfen sollen, ob sie per Operation ihr Geschlecht ändern wollen. Das ist eine Forderung, die bei den Grünen, der SPD und Teilen der FDP gerade sehr en vogue ist. Geschlecht ist fließend und kann per Skalpell jederzeit verändert werden. Was bei diesem Massaker an Kindern passiert, ist die tausendfache Zerstörung von Identitäten für eine menschenverachtende Ideologie des Genderismus und mangelnder Respekt vor den Betroffenen.

Sollten Sie sich jetzt ärgern, etwa die FDP gewählt zu haben, empfehle ich zur Beruhigung Friedrich Merz, diesen falschen Helden der Konservativen: Er lobte das bisherige Ergebnis-Papier wie folgt: „Das hätten wir auch haben können.“

Noch schlechter als das von Merz ersehnte Jamaika ist also die Ampel auch nicht, falls Sie das jetzt tröstet.

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