Tichys Einblick
Machtkampf

Wirtschaft im Lockdown: Schon die Debatte führt zu Lieferengpässen und Inflation

Merkel und ihre Anhänger zwingen Deutschland eine Lockdown-Diskussion auf. Allein schon die Debatte schadet Deutschland wirtschaftlich massiv und bedroht weitere Arbeitsplätze. Die Inflation springt an. Statt einer Lockdown-Show bräuchte Deutschland eine Öffnungsperspektive.

Schaufenster eines Geschäfts in Hamburg-Winterhude

IMAGO / Hanno Bode

Jetzt also will auch noch Jens Spahn einen Total-Lockdown. Rabiat treiben Merkel und ihre Anhänger wie Karl Lauterbach und Norbert Röttgen die Debatte um eine Verschärfung des Lockdown weiter. Die SPD-geführten Länder halten dagegen. Es ist Wahlkampf und es ist ein politischer Kampf um die Deutungshoheit mit Mitteln der angeblichen Pandemie-Bekämpfung. Längst geht es nur noch um Inszenierung und Show – kaum mehr um sachgerechte Entscheidungen. Denn das Virus lässt sich von Scheindebatten nicht beeindrucken.

Trotzdem hat bereits die Debatte schädliche Folgen: Es droht schon allein wegen des Lockdowngeredes weiterer und zwar massiver wirtschaftlicher Schaden. Egal, wer sich bei diesem Poker durchsetzt – die Debatte schadet Deutschland. Denn stillschweigend wird so getan, als ob nach der letzten, der allerletzten Schlacht, in die die Lockdown-Sekte Deutschland führen will, das Land einfach wieder aufgesperrt werden könne – auf ein paar Tage komme es nicht. Aber läuft „danach“ wirklich wieder alles rund –  wie auf Knopfdruck? Springt die Wirtschaft auf Pfiff wieder an? Das wird immer schwieriger und unwahrscheinlicher.

Folgen des Stotter-Lockdowns

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Häufig wird übersehen, dass nach einem Jahr Stotter-Lockdown die stillgelegten Betriebe nicht mehr einfach so anspringen wie nach einem geplanten Betriebsurlaub. Ein Gang durch die Fußgängerzone zeigt: Vermutlich ein Drittel der Geschäfte sind für immer geschlossen. Die Kunden sind abgewandert, ins Internet; manche werden den Weg zurück zum Fachhändler nicht mehr finden. Viele Inhaber mussten schon heute aufgeben – weil ihre Reserven aufgebraucht sind, die versprochene Staatshilfe nicht angekommen ist, oder weil sie den Mut und die Initiative verloren haben. Viele Textil-Händler haben keine Sommer-Ware. Diese zu bestellen und vorzufinanzieren wäre betriebswirtschaftlicher Selbstmord gewesen, die Öffnungsperspektive zu ungewiss. Die Lager sind noch mit Winterware prall gefüllt, dafür die Konten leer. In der Gastronomie sind die Kühlläger leer. Viele Großhändler, ihrerseits finanziell klamm, liefern aber nicht mehr wie früher gegen Rechnung, sondern nur gegen sofortige Bezahlung. Dafür fehlen vielfach den Gastronomen die Mittel. Aber auch die Vorratshaltung der Großhändler ist gegen Null gefahren – vielfach gibt es schon Lieferengpässe. Viele Brauereien mussten wegen des Verfallsdatums unendlich viel Bier wegschütten; in Hamburg landet Ratsherrn-Pils im Gulli, in Düsseldorf kippt die Hausbrauerei Füchschen 2.000 bis 3.000 Liter Altbier weg. Georg Rittmayer vom Verband der Privaten Brauereien in Bayern: „Mittlerweile ist es so, dass die Brauereien das Bier vom Großhandel und von den Gastronomen zurücknehmen müssen. Sie können nichts anderes machen, als es zu vernichten oder in den Kanal zu kippen.“ Frisches Bier lässt sich brauen – aber nicht von heute auf morgen. Für Politiker fließt das Bier aus dem Zapfhahn. Die lange Produktionskette und Rohstoffbeschaffung davor – davon haben sie keine Ahnung.
Fleisch wird knapp – und Kunststoff. Logistik fällt aus

Auch Schlachtereien haben keine Ware und das auf Dauer: Viele Bauern haben auf die Anzucht neuen Schlachtviehs verzichtet, nachdem sie schon vor einem Jahr zu viele Tiere im Stall stehen hatten. Das feingliedrige Netz der Wirtschaft zerreißt jeden Tag mehr. Nicht nur in Handel und Gastronomie. Viele Industriebereiche melden Verknappung bei Vorprodukten. Auch hier gilt: Die großen Anlagen der Grundstoffindustrie können nicht einfach auf Knopfdruck in Gang gesetzt werden. Es kann Monate dauern, bis die Produktion läuft; auch die Fachkräfte haben sich in einem Monat Lockdown buchstäblich verlaufen.

Dass Produkte knapp werden, betrifft immer mehr Branchen: In einer Blitzumfrage des Verbands IK Industrievereinigung Kunststoffverpackungen berichteten 80 Prozent der befragten Unternehmen, ihre Produktions- und Lieferfähigkeit sei wegen fehlender Rohstoffe eingeschränkt. Ebenfalls 80 Prozent erwarteten eine Fortsetzung oder Verschärfung der Entwicklung in den kommenden Wochen.

Einer der größten Polyethylen-Folienhersteller in Deutschland erklärte TE: „Wir werden Mitte April ein Drittel unserer Anlagen herunterfahren müssen, weil unser Rohstofflager leer sein wird.“ Man könne nur noch die Hälfte des Rohstoffbedarfs an sogenanntem PE-Granulat einkaufen. Schon jetzt reduziere man die Liefermengen: Wolle ein Kunde etwa 10 Tonnen Folie bestellen, biete man ihm 5 Tonnen an. In den kommenden Wochen werde man manche Kunden gar nicht mehr beliefern können. Die Folie aber ist unverzichtbar für ganz andere Branchen: „Ohne Folie ist keine Lagerung möglich, da sonst ein Ziegel nass werden kann und die Steine somit unbrauchbar sind„, erklärt er. Gleiches gelte für Holzwerke, Getränkehersteller oder die Zementindustrie, die man ebenfalls beliefere. Die Getränkeindustrie verpackt Sixpack-Flaschen auf eine Palette und umhülle diese mit PE-Folie. Das dient zur Ladungssicherung: „Ohne Verpackungsfolie können keine Paletten ausgeliefert werden“ – das gilt für fast alle Wirtschaftsbereiche mit kleinen Gebinden und Ladungsgrößen. Damit verzögern sich Transport und Logistik.

Die Inflation springt an

Leben statt gehorchen
Schluss mit dem Lockdown
Zwar ist die Marktwirtschaft viel leistungsfähiger als die staatliche Bürokratie-Wirtschaft. Aber es wird dauern, bis das zerrissene Netz wieder geknüpft ist und die Lieferketten wieder reibungslos ineinander greifen. Immer mehr Zahnräder fehlen und können nicht mehr ineinander greifen. In der Zwischenzeit kommt es zu Engpässen; die wiederum verzögern ihrerseits die wirtschaftliche Erholung und lösen   Preissteigerungen aus. Der im Baubereich unverzichtbare Montagedienstleister Würth warnt seine „lieben Geschäftspartner in Rundschreiben: „Es wird dieses Jahr zu erheblichen Verzögerungen bzw. Ausfällen von Lieferungen kommen, auf Grund der Beschaffungsmarktsituation, welche sich zunehmend zuspitzt.“ Auch die metallverarbeitende Industrie und Stahlhersteller vermelden Lieferschwierigkeiten und stark steigende Kosten durch stark anziehende Rohstoffpreise: Der Industrieverband Blechumformung spricht von Beschaffungsproblemen bei rund 90 Prozent der Zulieferer. Was knapp ist, muss teuer bezahlt werden. Damit wird es in vielen Bereichen wie bei Lebensmitteln, industriellen Vorprodukten und Dienstleistungen zu Preissprüngen kommen – die wiederum weitere Preissteigerungen etwa bei Löhnen und Fertigprodukten auslösen. Damit droht ein kurzfristiger Inflationsschub. Das Dumme bei Inflation: ist sie erst in Gang gesetzt, wird es schwer, sie zu stoppen. Das traditionelle Instrument der Notenbanken dafür sind Zinserhöhungen. Die wiederum bremsen die wirtschaftliche Dynamik; die extrem hochverschuldeten Staaten, zu denen mittlerweile auch Deutschland gehört, können die höheren Zinslasten kaum mehr tragen.
Wie die Wirtschaft kaputt geredet wird

Jeder Tag Lockdown, aber auch nur jeder einzelne weitere Tag politisch gewollter Unsicherheit, erschwert die wirtschaftliche Erholung und die Rückkehr zum normalen Leben um viele weitere Tage. Das Land hat längst an wirtschaftlicher Dynamik eingebüßt und wird buchstäblich kaputt geredet. Das ist kein ungerechtfertigter Pessimismus – wirtschaftlicher Sachverstand und wirtschaftliche Erfahrung fehlen vielfach in der Politik. Planungssicherheit ist eine Grundvoraussetzung für Wirtschaft. Genau die fehlt. Politik sollte versuchen, in dieser Lage so viel Planbarkeit wie irgend möglich zu erzeugen. Stattdessen aber: Täglich neue, wöchentlich ganz andere Ideen, die in der Konsequenz zerstörerisch wirken.

Die Forderung nach einem kurzen, harten Lockdown, wie ihn mehrere Ministerpräsidenten der Union und Kanzlerin Merkel befürworten, sehen die meisten SPD-geführten Landesregierungen kritisch. So sei völlig unklar, was ein neuerlicher Lockdown im Detail beinhalten solle, argumentierte der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer sagte zu Laschets Brücken-Lockdown: „Ich halte generell gar nichts davon.“ Man habe in der Bekämpfung der Pandemie alle Instrumente in der Hand, die man gegenwärtig benötige. Trotzdem haben Merkel und ihr Gefolgsmann Norbert Röttgen die Debatte um eine Ausschaltung der Bundesländer losgetreten – ohne sachliche Notwendigkeit: Corona-Politik ist längst zum Instrument parteipolitischer Machtkämpfe geworden – und ruiniert das Land. Denn ohne Öffnungsperspektive wird der Total-Lockdown zur Realität – nicht für das Virus, aber für Wirtschaft und Gesellschaft.

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