Tichys Einblick
Stunde der Wahrheit für Schulz oder Merkel

Saarland-Wahl 1: Merkel – die Kanzlerin der Grünen?

Morgen die Wahl an der Saar, dann Schleswig-Holstein, schließlich Nordrhein-Westfalen: Das Superwahljahr nimmt seinen Lauf. Jetzt zeigt sich, ob Schulz mehr bringt als Jubel und Merkel noch zum Wählerfang taugt. Saarland-Wahl 2 gleich anschließend.

© Steffi Loos/Getty Images

Verkehrte Welt: Während früher die SPD als notorisch zerstritten galt und die CDU als geschlossener Kanzlerwahlverein – im Superwahljahr 2017 ist es anders. 100 Prozent Zustimmung zu Martin Schulz auf dem Parteitag der SPD – und Streit in der Union. Dort versammeln sich die Parteirebellen in unterschiedlichen Gruppen.

Unzufriedenheit mit Merkel

Jetzt rächt sich die offene Missachtung, mit der die CDU-Vorsitzende ihre Partei behandelt, das Abwürgen jeder Diskussion. Aber nicht nur um Stil geht es. Viele Unionsmitglieder beklagen eine schleichende „Linksverschiebung“ der Partei unter Kanzlerin Angela Merkel. Das war Kalkül: Die CDU besetzte „linke“ Themen, um mit einer „asymetrischen Mobilisierung“ bei der SPD deren Anhänger einzuschläfern.
Jetzt hat diese Methode viele eingefleischte CDU-Anhänger so richtig wütend gemacht. Aber nicht wütend auf die SPD, sondern die eigene Partei. Diesmal geht die CDU so zerstritten in das Superwahljahr wie früher nur die SPD.

„Freiheitlich-konservativer Aufbruch in der Union“
CDU-Mitglieder proben Revolte gegen Merkel
Heute, exakt ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl, wollen sich unzufriedene Unionsmitglieder zu einer Basisbewegung zusammenschließen. „Freiheitlich-konservativer Aufbruch in der Union“ (FKA) soll sie heißen, das Startsignal für eine Kurskorrektur der Partei werden. Mechthild Löhr zählt zu den konservativen Netzwerkern in der Partei. Mehr als hundert kleinere oder größere Gruppen, die mit Merkels Kurs unzufrieden seien, zählt sie. Unterstützung bekommt das Projekt des „Freiheitlich-konservativen Aufbruchs“ auch von einer Gruppe von Altstipendiaten der Konrad-Adenauer-Stiftung, die sich „Konrads Erben“ nennen (www.konradserben.de). Prominentester Merkel-Kritiker ist Wolfgang Bosbach. Er hat vor einiger Zeit kritisiert: „Allein der Wunsch, dass in der Union über strittige Themen lebendig diskutiert wird, gilt heutzutage schon als Angriff auf die eigene Parteivorsitzende und Bundeskanzlerin.“

In Bayern gibt es schon länger einen „Konservativen Aufbruch“ (KA), der nach eigenen Angaben 10.000 CSU-Mitglieder in seiner Unterstützerliste hat. Nun versucht die bayerische Gruppe der CDU-Basisbewegung schwesterlich Starthilfe zu geben. Aus Bayern wird gemeldet, dass kaum ein CSU-Mitglied noch Kanzlerinnen-Plakate zu kleben bereit ist.

Und jetzt also auf in den Wahlkampf. Verliert die CDU im Saarland ihre Regierungsmehrheit an die SPD, ist Feuer auf dem Dach der CDU. Das Aufbegehren der Basis ist schiere Verzweiflung – und Neubeginn: Ein Neubeginn für eine CDU ohne Merkel.

Der Trauermarsch der CDU

Wahlen sind Stimmungsfragen. Wer verzagt ist, verliert. Und die CDU ist verzagt, und nicht zu knapp. Denn das Saarland zählt nicht viel innerhalb der Partei, und Schleswig-Holstein, wo im Mai gewählt wird, ist ohnehin verloren. Aber auch im wichtigen Bundesland NRW ist CDU-Kandidat Armin Laschet dabei, das schier Unmögliche zu schaffen: Gegen die total abgewirtschaftete Rot-Grüne Landesregierung zu verlieren. Die Wahlumfragen sehen ihn und seine Union im freien Fall und die SPD im kräftigen Aufwind von 30 auf 40 Prozent. Durch Fakten ist das nicht gedeckt – NRW buchstäblich sozial abgehängt. Aber Laschet und die CDU sind nicht die Rettung. Landtagswahlen sind immer auch Probewahlen für den Bundestag. Und der Wind aus Berlin bläst den Christdemokraten in Düsseldorf scharf in´s Gesicht. Der NRW-CDU geht jedes eigene Profil ab und der Kandidat gilt als Bauchredner-Puppe der Kanzlerin. Annegret Kramp-Karrenbauer zählt im Saarland als verlässliche Ja-Sagerin aus dem Dunstkreis der Kanzlerin.

Schulz statt Merkel – der grüne Drachen-Töter

Verliert Kramp-Karrenbauer, dann gilt das als verheerendes Startsignal. Klar, was dann beginnt: Die Kritiker in der Partei werden dafür verantwortlich gemacht werden. Merkel und ihre Büchsenspanner werden so von ihren Fehlern ablenken wollen. Einheit wird erzwungen – Frustration allerdings weiter befeuert. Denn immer weniger CDU-Mitglieder glauben noch daran, dass mit Merkel Wahlen zu gewinnen seien. Die Wähler marschieren am liebsten hinter der Blaskapelle der Sieger her. Die CDU bläst den Trauermarsch, die SPD die Siegerfanfaren. Die klingen lustiger. Merkel muss die Tonart ändern – oder verliert.

Gute Chancen für Martin Schulz
Grüne, Linke und FDP stehen als Kanzlermacher bereit
Für die SPD sieht die Lage komfortabler aus. Selbst wenn es der Saar-SPD nicht gelingt, stärkste Partei zu werden – für ein sattes Stimmenplus ist Schulz wohl allemal gut. Der CDU gehen gerade die möglichen Koalitionspartner verloren: Grüne und FDP werden es vermutlich nicht über die 5-Prozent-Hürde schaffen; mit der AfD will die CDU nicht. In der Konfrontation Merkel/Schulz geht insbesondere die FDP unter, die zu wenig eigenes Profil und Gewicht entwickelt hat für diesen Schlagabtausch.

So hat die SPD zwei Optionen – mit der CDU eine große Koalition oder mit den von Oskar Lafontaine geführten Linken in ein Vorausbündnis als Modell für Berlin zu wechseln. Damit erhalten die Sozis Rückenwind für den nächsten Wahlkampf, und Schleswig-Holstein können sie kaum verlieren.

Netzwahlkampf der SPD

Außerdem ist die SPD wahlkampftechnisch weit besser aufgestellt als die CDU. Im Netz ist die SPD längst extrem aktiv unterwegs auf Stimmenfang. Gegner schüchtert SPD-Justizminister Maas mit immer neuen Hate-Speech-Kampagnen ein. Linke Hilfstruppen werden mit ca. 100 Mio Steuergeldern von Maas und Familienministerin Manuela Schwesig finanziert. Die CDU unter Generalsekretär Peter Tauber wiederum hat den Anschluß an die Zukunft buchstäblich verpasst. Sie verlässt sich auf die Wahlkampfhilfe einer Agentur, die schon die Pro-TTIP-Kampagne des Bundesverbands der Deutschen Industrie gründlich verpatzt hat und vom Netz viel schwätzt, aber wenig versteht – nur modische Bärte im Gesicht bringen noch keinen Erfolg im Netz oder bei den Wählern. Angela Merkel persönlich bremst die schnelle Entscheidungsfindung, ohne die es im Netz allerdings nichts wird. „Tauber muss die notorische Entscheidungsschwäche der Kanzlerin ausbaden“, sagt resigniert ein CDU-Bundesminister.

Wenn der Geldbeutel wählt – dann servus und tschüss
Wirtschaft und Wohlstand verlieren mit Schulz wie mit Merkel
Dahinter seht ein grundlegendes Missverständnis: Merkel selbst hält sich für unersetzbar – die Krankheit, die alle Mächtigen über kurz oder lang befällt, auch weil sie nach einiger Zeit nur noch von Ja-Sagern umgeben sind. Von Kritik abgeschottet leben sie in einer Traumwelt. Kritiker wie die neuer Gruppen aus der Partei gelten als Nestbeschmutzer. Der CDU-Wahlkampf wird daher auf die Kanzlerin zugeschnitten und ihre Auftritte werden sorgsam konzertiert. Ihr Besuch bei Trump, der G-20-Gipfel – das sind Eckpunkte ihrer Wahlkampfstrategie. Da will sie sich als unersetzliche Weltenretterin präsentieren. Sie ist die große Kapitänin, die das Schiff durch die raue See steuern kann, während Politpirat Schulz unweigerlich zum Scheitern verdammt sei. Diese Sichtweise erinnert unweigerlich an Helmut Kohl – der mit genau dieser Methode an die Polit-Youngster Gerhard Schröder und Joschka Fischer verloren hat. Merkels Wahlkampf ruht auf dem Versprechen: „Sie kennen mich“. Leider antwortet ein Chor inzwischen immer lauter: „Und wie!“.

Die Blindheit der Mächtigen

Merkels Kanzlerschaft wird als Bedrohung wahrgenommen, seit sie wirtschafts- und gesellschaftspolitisch auf SPD-Kurs segelt, in der Migrationskrise die Grenzen bedingungslos öffnete und neuerdings auf die Koalition mit den Grünen setzt: Statt aus der Ablehnung von Marokko, Algerien und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten durch die grün-dominierten Landesregierungen einen Wahlkampfhit zu komponieren, schweigt sie dazu. Damit ist klar: Aus der SPD-Kanzlerin Merkel kann auch eine Kanzlerin werden, die die Geschäfte der Grünen führt, wenn sie nur im Kanzleramt bleiben darf: Sie ist längst die Kanzlerin der Beliebigheit, wenn es nur dem Machterhalt dient. Keine erfreuliche Aussicht, ein Merkel-Kabinett mit Cem Özdemir als Wirtschafts- und Katrin Göring-Eckhardt als Sozialministerin? Merkel schmeckt, was ihre Wähler verschreckt.

Und neuerdings gilt jenen, die von Merkel nicht zur AfD wechseln wollen, Schulz als der Mann, der die giftige Mischung der grünen Merkel-Partei verhindern könnte – ein Ball-Paradox der deutschen Parteienpolitik.

Im Anschluss erscheint eine andere Sicht von Hans-Erich Bilges. Der PR-Berater kennt und schätzt Merkel seit ihren frühen Jahren. Er beschreibt die Linie des CDU-Wahlkampfs, der allein auf Merkel setzt.