Tichys Einblick
In der Sache Tichy ./. Roth

Claudia Roth pöbelt nicht. Sie lässt pöbeln

In eigener Sache schreibt es sich schlecht. Aber wie ist das, wenn eine leibhaftige Bundestags-Vizepräsidentin auf einen Journalisten trifft? Es geht nicht gut aus, aber dient der Wahrheitsfindung.

imago Images/Sven Simon

Ich habe es gewagt, gegen die Bundestagsvizepräsidenten Claudia Roth zu klagen. Ich bin ja Beleidigungen gewohnt, wie jeder, der gelegentlich Zweifel an der Weisheit der Bundesregierung nicht nur leise, sondern mit aufgedrehtem Lautstärkeregler zu äußern wagt. Der damit den Chor stört. Wo doch alle so schön gemeinsam das Loblied singen.

Claudia Roth hat namentlich mich und auch Henryk Broder als „neurechte Plattformen“ bezeichnet, deren Geschäftsmodell auf Hetze und Falschbehauptungen beruht“.  

Man ist ja Kummer gewöhnt. Meinungsfreiheit in Deutschland steigt im Preis, und daran hat ausnahmsweise die EZB keine Schuld. 

Aber als eine der ranghöchsten Repräsentantinnen der Politik, protokollarisch das zweithöchste Staatsamt vertretend, verleumdet Claudia Roth zwei Journalisten. Die Staatsmacht gegen zwei Journalisten – woran erinnert das?

Das zweithöchste Amt gegen zwei Journalisten

Erstaunlicherweise hat das Landgericht Stuttgart persönliches Erscheinen angeordnet; üblicherweise werden solche Verfahren mit ein paar Schriftsätzen erledigt. Ein klein wenig habe ich mich auf die neueste großflächige Blumendekoration in Form der Madame Vize gefreut. Aber Pustekuchen. Sie kam nicht. Sie muss Bundestagspräsident Schäuble vertreten. Sie denkt, sie ist fein raus. Aber sie macht die Sache nur schlimmer: Sie schadet demonstrativ dem Amt durch ihr Benehmen. Sie ist der Typ, der öffentlich pöbelt, aber den Angepöbelten nicht gerne in die Augen schaut. Und so lässt sie sich von einem Anwalt vertreten, der sonst eher für die taz vor Gericht erscheint. Jeder gibt sich eben die ihm gemäße Form. Da dieser Anwalt namens Eisenberg Roth vertritt, muss sie sich auch dessen Auftreten zurechnen lassen: Schmuddelig, lümmelhaft vor Gericht, Zeitung lesend. Nicht, dass mich das stören würde: Aber immerhin tritt der Advokat des protokollarisch zweitwichtigsten Amts auf, das persönlich gerade verhindert ist. Nicht der Anwalt eines Ladendiebs – sondern der Anwalt des Bundestagsvizepräsidenten, der diesmal eine Frau ist. Ich habe mir extra eine passende Krawatte umgelegt – unbequem; aber wenn das Gericht in Robe antritt, bin ich diesen Respekt schuldig. Finde ich. Altmodisch, oder? 

Höfliche Zuschauer sind das böse Volk

Wir werden empfangen von rund 100 Zuschauern. Gesittet, leise. Ich freue mich, als vor der Verhandlung ein Zuschauer sinngemäß sagt: „Danke, dass Sie so tapfer für unsere Freiheit kämpfen“. Diejenigen, die es in den Saal geschafft haben, applaudieren, auch die draußen vor der Tür. Ich bin gerührt. Unsereiner sieht ja meist nur einen Bildschirm, Buchstaben, keine Menschen mehr und freut sich nun.

Der Vorsitzende Richter entschuldigt sich ausgesucht höflich dafür, dass es keinen größeren Saal in Stuttgart gebe und Zuschauer auf dem Boden sitzen oder auf dem Gang warten müssen. Er bittet um gesittetes Auftreten, und dass ab sofort keine Fotos mehr zulässig seien. 

Da kreischt mit Stentorstimme der Anwalt der Bundestagsvize dazwischen: „Die haben hier schon fotografiert!“ Herr Lehrer, ich weiß was! und mit abwertender Geste zum Volk: „Ich lass mich doch von DENEN nicht fotografieren“. Es ist eine herrische Geste. Sie zeigt die Verachtung der Herrschenden für ihr Volk. Ein kühler, höflicher Richter, dem die Öffentlichkeit der Verhandlung wichtig ist – und ein Vertreter des Parlaments, der den Souverän behandelt wie ein Stück Dreck. So geht Demokratie, Frau Roth! Die Stimmung droht zu kippen; unser Anwalt Joachim Steinhöfel rettet sie: „Oh, Herr Eisenberg. Wollte ausgerechnet Sie mal jemand fotografieren? – muss wohl daran liegen, dass sie ein so außergewöhlich attraktiver Mann sind“. 

Aber damit ist der Strang der Verhandlung Tichy ./. Roth vorgegeben. Die Tricks der Bundestagsvize werden sichtbar: Auf Weisung des Gerichts hätten wir ihren Schriftsatz am Freitag vor der Verhandlung erhalten sollen. Nur durch einen Anruf bei Gericht haben wir ihn von dort erst am Dienstag, dem Vortag der Verhandlung erhalten – eigentlich zu kurz, um auf 19 Seiten angemessen zu antworten. Wir haben es trotzdem geschafft, säuberlich fast ein Dutzend dokumentierter Falschbehauptung aus dem Schriftsatz der Bundestagsvize dokumentiert; das TE-Team schafft das aus den Tiefen der Archive herbei. Darf eine Bundestagsvize so tricksen und schwindeln und schriftlich Lügen vortragen lassen? Sie darf. Der Würde ihres Amts entspricht es nicht. Immerhin liest ihr Anwalt flott unseren noch druckerwarmen Text. 

„Ich bin alphabetisiert, für so einen Scheiß brauch ich nicht so lange.“ 

Dieser Mann vertritt die Frau, die Vize des zweithöchsten Amts in der Republik ist, nicht vergessen. Es geht ja nur gegen einen Journalisten, der anderer Meinung ist.

Meinungsfreiheit die sie meinen

Der Rest ist schnell erzählt. Das Gericht stellt sich auf die Seite Roths. Das alles sei Meinungsäußerung. Kurzfristig bin ich verdutzt. Da kämpfen alle gegen Hass und Hetze im Netz, aber wenn Hass und Hetze vom, siehe oben: zweithöchsten Amt verbreitet wird, dann ist es keine? Es ist allerdings eine seltsame Spaltung. Während im Netz praktisch jede polemische Äußerung Hass und Hetze ist – im eigentlichen Presserecht ist sie erlaubt. Das Bundesverfassungsgericht hat die Grenzen extrem weit gezogen. Selbst Roths Büchsenspannerin und Parteifreundin Renate Künast, Mitautorin des von mir angegriffenen Textes, ist ja Opfer von solchen Beleidigungen.

Ein Berliner Gericht hat nun ebenfalls wirklich unangemessene Beschimpfungen als „Meinungsäußerung“ durchgehen lassen. TE hat Künast an dieser Stelle sogar verteidigt; uns liegt am gesitteten Umgang, am demokratischen Diskurs.

Aber die Bundestagsvize nicht. Statt sich zu entschuldigen, lässt sie ihren Anwalt gegen Journalisten geifern, die sich gegen Beschimpfungen wehren, die sie wiederum für sich und ihre Parteifreunde geächtet haben will.

Doppelmoral ist das Amt der Bundestagsvizepräsidentin.

Ich gebe dem Gericht zu bedenken, dass ich nicht primär im Meinungskampf stehe, wie Frau Roth – sie ist Politikerin, ihr Geschäftsmodell ist Stimmenmaximierung und ein Sitz im Bundestag, der mindestens Diäten garantiert – wenn nicht sogar mehr, viel mehr. Ihr Einkommen aus Steuermitteln wird auf 250.000 € nicht viel zu hoch geschätzt. Meine Mitarbeiter und ich müssen dafür die Steuern zahlen, indem wir eine Webseite, Zeitschrift, Bücher produzieren und einen Buchshop betreiben. Und so ein Geschäftsmodell ist also auf „Hetze und Falschbehauptung“ basiert? Das Gericht wird seine Entscheidung Mitte Februar verkünden. Voraussichtlich gegen uns und für eine Bundestagsvizepräsidentin, die Presse- und Meinungsfreiheit als einseitiges Beschimpfungsrecht zu ihren Gunsten interpretiert und sich vor Gericht flegelhaft vertreten läßt.

Würde des Amtes? Pfffff.

Wir werden dann das Urteil auch nutzen können: „DER SPIEGEL“? Ein Geschäftsmodell, auf Hass und Falschbehauptungen beruhend. ARD, ZDF, überhaupt alle, die andere Positionen beziehen? Nicht einzelne Falschbehauptungen, sondern alle beruhen auf dem „Geschäftsmodell von Hass und Hetze“. Wir werden sehen.

Auf der Rückreise lese ich einen Tweet von Norbert Bolz.

„Gegen den kulturellen Bürgerkrieg, das überhitzte Meinungsklima, die Radikalisierungen links und rechts hilft nur der Mut zur Bürgerlichkeit.“

Da stelle ich fest, dass ich im Zug immer noch Krawatte trage.

P.S.: Wie das so ist mit Zeitungen und ihrem Geschäftsmodell, zeigt vorbildlich die Stuttgarter Zeitung. Der Artikel von dessen Redakteur Sascha Maier veranlasste unseren Rechtsanwalt, ihm folgende Mail zu schreiben:

„Sehr geehrter Herr Maier,

ich habe eben Ihren Artikel „Darf Claudia Roth Internetportalen Hetze vorwerfen?“ gelesen. 

Gestatten Sie mir folgende Hinweise:

  1. Die Überschrift ist unrichtig. Es geht nicht, und das wurde in der Verhandlung auch thematisiert und von mir explizit hervorgehoben, um den Vorwurf der „Hetze“. Das ist eine Meinungsäußerung, die man, soweit keine Schmähung, nicht verbieten kann. Die Frage stellt sich also nicht, die Überschrift ist sachlich falsch und erweckt darüber hinaus den Eindruck, der Kläger wäre gegen diese Äußerung vorgegangen. Das trifft ebenfalls nicht zu. Der Fehler wird im Text wiederholt. Der Unterlassungsantrag richtet sich allein gegen die Tatsachenbehauptung „Geschäftsmodell, das auf Falschbehauptungen“ beruht. Was Roth nicht ansatzweise belegen konnte.
  2. Gestatten Sie mir eine Anmerkung zu dieser Passage, die sich auf Herrn Broder bezieht: „Nach einem Pläuschchen mit dem skandalumwitterten Stuttgarter Ex-Stadtrat Heinrich Fiechtner und einem Selfie mit der für geschäftsunfähig erklärten Fridi Miller, die zuletzt erfolglos für die Präsidentschaft des VfB-Stuttgart kandidiert hatte..“. Herr Broder kennt weder die eine noch die andere Person. Der Umstand, dass er sich höflich gegenüber ihm freundlich begegnenden mutmaßlichen Anhängern verhält, zu zig anderen Personen im Übrigen auch, wird von Ihnen so dargestellt, als bewege er sich bevorzugt im Kreis von Verrückten und Extremisten. Alles andere blenden Sie aus. Sehen Sie das als sachliche Berichterstattung an? Die Antwort interessiert mich persönlich.
  3. Das in Ziff. 2 beschriebene Stilmittel setzen Sie in dieser Passage fort und hier wird es justiziabel. „Roland Tichy und dessen Anwalt Joachim Steinhöfel, zu dessen Klientenkreis auch der Publizist Matthias Matussek und der wegen Volksverhetzung verurteilte, islamfeindliche Schriftsteller Akif Pirinçci zählen.“ Beide Herren gehören seit Jahren nicht zu meinem Klientenkreis, insb. Pirincci habe ich lediglich in einer Sache vertreten. Dort mussten neben diversen deutschen Medien (NDR, ZDF, Zeit usw. usf). auch der Präsident der Bundespressekonferenz eine Unterlassungserlärung abgeben. Stefan Niggemeier hat das Versagen großer Teile der deutschen Medien in der FAZ als „verheerend“ https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/katzen-des-boesen-akif-pirincci-und-die-medien-13886415.html bezeichnet. Jeder hat das Recht auf einen Anwalt, Herr Maier. Und die Meinungsfreiheit gilt auch für irrlichternde Personen wie Pirincci. Ansonsten haben wir mit Pirincci nichts am Hut. Was Sie tun, ist nicht, diesen Kontext zu erwähnen, sondern „Volksverhetzung“. Erneut, um etwas zu insinuieren, was mit sachlicher Berichterstattung nichts zu tun hat. Schade.
  4. „Eisenbergs Mandanten waren unter anderem der Schauspieler Til Schweiger oder die Hacker vom „Chaos Computer Club“. Der Anwalt gehört auch zu den Gründern der linken Tageszeitung „taz“. – Das stimmt wohl. Aber er vertritt Linksextremisten, Islamisten, Mauerschützen und rechtsbeugende Richter, wie er gestern stolz erklärte. Fällt Ihnen etwas auf?

Schade, dass sie die Parteien oder deren Vertreter nicht nach der Verhandlung oder per Mail befragt haben. Die Fehler hätten vermieden werden können. Ich stehe Ihnen gerne für etwaige weitere Fragen zur Verfügung. Es liegt mir fern, Einfluß auf Ihre Bewertungen zu nehmen. Die Fakten sollten aber korrekt sein.

Lediglich in Hinblick auf die Behauptung, Pirincci gehöre zu meinem Mandantenkreis, bitte ich Sie um Korrektur und wäre für eine Bestätigung dankbar. Sie können Ihn gerne, wenn Sie mögen, durch Henryk M. Broder oder Hamed Abdel-Samad ersetzen. Oder durch „Bundestagsabgeordnete aller Parteien“. Oder durch den ZDF-Fernsehrat, früheren Referenten von Cem Özdemir und Bundesvorsitzenden der „Kurdischen Gemeinde in Deutschland e.V.“ (KGD) und Präsident der „Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland“ (BAGIV), Ali Ertan Toprak. Wenn der Klägervertreter keinen Volksverhetzer vertritt (was er nicht tut), sondern einen früheren Referenten eines „Spitzen-Grünen“ mit Migrationshintergrund und wichtigen öffentlichen Ämtern sähe dessen Darstellung – und sie wäre wahrheitsgemäß – gleich ganz anders aus.

Mit freundlichen Grüßen

Joachim Nikolaus Steinhöfel“