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Worum es beim sprachlichen Gendern wirklich geht

Gendern oder nicht gendern – das ist heute keine sprachliche Frage mehr, sondern eine politische, aber keine frauenpolitische. Es geht nur noch um Macht, genauer: symbolische Macht im öffentlichen Raum.

picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow
In den ZDF-Nachrichtensendungen hört man neuerdings Wortbildungen wie Mitarbeiter + kurze Pause + innen, Journalist+innen, Lehrer+innen. Gemeint sind nicht weibliche Personengruppen, sondern gemischtgeschlechtliche aus Frauen, Männern und – seit der Änderung des Personenstandsrechts 2018 – „Diversen“. Man nennt das (und ähnliche Verfahren) „gendern“ oder „geschlechtergerechte Sprache“. Aber wozu dient sie? Eine Bilanz aus sprachwissenschaftlicher Sicht.

Der Begriff „Gender“ stammt aus der Sozialwissenschaft und bezeichnet die auf dem biologischen Geschlecht des Menschen (Sexus) aufbauende gesellschaftliche Geschlechterordnung, das „soziale Geschlecht“. Dieses zeige sich in bestimmten geschlechtsspezifischen Handlungs- und Rollenmustern, ihrer Darstellung (Symbolik) und der persönlichen Identität. Wichtigstes Darstellungsmittel für den Menschen ist die natürliche Sprache, und es stellt sich die naheliegende Frage: Wie wird die Geschlechterordnung sprachlich abgebildet?

Sexus, Gender und Genus

Die Sprache kennt viele Wörter mit Geschlechterbezug: Mann, Frau, Dame, Herr, Hausfrau, Hausmann, Männlichkeit, Weiblichkeit usw. Aber aus dem Wortschatz, dessen Umfang und Bedeutung sich laufend ändern, lässt sich keine stabile Geschlechterordnung ableiten. Anders könnte es bei der Grammatik sein, deren Strukturen über lange Zeit konstant bleiben. Es gibt zahlreiche (vor allem indogermanische) Sprachen mit der grammatischen Kategorie „Geschlecht“ (Genus), darunter Deutsch mit drei Genusklassen: Maskulinum (der Mann), Femininum (die Frau) und Neutrum (das Kind). Besteht in solchen „Genussprachen“ – die Mehrzahl hat zwei oder drei Genusklassen, einige über zwanzig (Bantusprachen) – ein Zusammenhang zwischen sprachlichem und biologisch-sozialem Geschlecht?

Grundsätzlich nicht: Dass im Deutschen die Sonne ein Femininum ist und der Mond Maskulinum (im Französischen ist es genau umgekehrt: le soleil bzw. la lune), lässt sich nicht voraussagen, sondern muss erlernt werden. Das Genus ist ein Mittel der grammatischen Wortklassifikation und funktioniert meist unabhängig vom biologischen Sexus und sozialen Gender. Lediglich bei Personenbezeichnungen und einigen Tiernamen besteht die Tendenz, das männliche Geschlecht durch das Maskulinum auszudrücken und das weibliche durch das Femininum: der Koch – die Köchin, der Zeuge – die Zeugin, der Löwe – die Löwin usw. Nun ist in der Kommunikation das Geschlecht der besprochenen Person(en) häufig unbekannt oder irrelevant, und ein eigenes Genus für „männliches und/oder weibliches Geschlecht“ gibt es nicht. Die Sprache verwendet hierfür ein vorhandenes Genus, meist das Maskulinum, das somit auch eine geschlechterübergreifende oder allgemeine (generische) Bedeutung erhält: „Ein unbekannter Täter“ kann deshalb auch eine Frau sein, und „die Zuschauer“ einer Fernsehsendung sind nicht nur Männer.

Generisches Maskulinum

Das „generische Maskulinum“ gilt dem Sprachfeminismus als Hauptbeweis dafür, dass Deutsch eine „Männersprache“ sei, welche die Frauen benachteilige und „unsichtbar“ mache. Eine der Begründerinnen der feministischen Linguistik in Deutschland, Luise Pusch, hält deshalb die Genusregeln der deutschen Grammatik für „ein System struktureller Gewalt gegen Frauen“. Im Umkehrschluss heißt dies: Würden die Deutschen – wie die Mehrheit der Weltbevölkerung – eine genuslose Sprache haben, gäbe es dieses Problem nicht und den Frauen würde es „besser“ gehen.

Im Unterschied zum Gebrauch einzelner Wörter ändern sich grammatische Strukturen nur sehr langfristig, in Jahrhunderten, und können deshalb auch „von oben“ nicht verändert werden: Caesar non est supra grammaticos, frei übersetzt: „Der Kaiser kann der Grammatik nichts befehlen“, wussten schon die alten Römer. Trotzdem hat die feministische Linguistik und in ihrer Folge die Politik seit vierzig Jahren versucht, das grammatische Genus zu sexualisieren und das generische Maskulinum abzuschaffen. Herausgekommen sind dabei vor allem die aus Stellenanzeigen bekannten Paarformulierungen wie „Wir suchen einen/eine Sachbearbeiter/in, der/die …“, die für den normalen Sprachgebrauch untauglich sind und zudem seit 2018 nach der eigenen Geschlechterlogik Angehörige anderer Geschlechter („Diverse“) diskriminieren. Deshalb heißt es nun, allerdings mit Klammerzusatz, häufig wieder: „Wir suchen einen Sachbearbeiter (m/w/d), der …“.

Die jahrzehntelange öffentliche Forderung und Förderung einer „geschlechtergerechten Sprache“ hat den allgemeinen Sprachgebrauch nicht verändern können. Das Gendern wird außer in einigen Textsorten wie Stellenanzeigen oder Prüfungsordnungen nicht systematisch eingesetzt, sondern nur punktuell, also symbolisch. Systematisches Gendern ergibt sprachlich kaum verständliche Sätze wie folgenden (§ 10 der Allgemeinen Prüfungsordnung der Universität der Bundeswehr München vom 17. 2. 2010):

„Das Protokoll [der Prüfung] wird von einer bzw. einem beisitzenden Prüferin bzw. Prüfer oder von der Beisitzerin bzw. dem Beisitzer geführt und von der bzw. dem beisitzenden Prüferin bzw. Prüfer beziehungsweise Prüferin bzw. Prüfer und Beisitzerin bzw. Beisitzer unterzeichnet“.

Auf dem freien Markt sind solche Texte unverkäuflich. Es gibt keinen Roman und kein Gedicht auf Genderdeutsch. Auch dem Genderanliegen wohlgesinnte Zeitungen verwenden in der Regel weiter das generische Maskulinum: Zum Beispiel wird auf der Titelseite der FAZ, Süddeutschen Zeitung und WELT vom 21. Januar 2021, die hauptsächlich der Amtseinführung des neuen US-Präsidenten Biden gewidmet ist, durchgängig (insgesamt 71-mal) das generische Maskulinum zur Bezeichnung gemischtgeschlechtlicher Personengruppen verwendet: „Präsident für alle Amerikaner“, „wütende Trump-Anhänger“, „Journalisten“, „viele Bürger“, „74 Millionen Wähler“ usw. Die Titelseite ist offensichtlich zu wichtig für gegenderte Formulierungen. Ansonsten kommt in den drei Zeitungen gelegentlich die Paarform (Wähler und Wählerinnen) vor; orthographisch künstliche Formen (WählerInnen, Wähler*innen , Wähler:innen u. Ä.) fehlen.

Die Paarform bietet beim Gendern den Vorteil, dass sie als Anrede (Liebe Kolleginnen und Kollegen) im Sprachgebrauch bereits verankert ist. Andererseits macht sie den Text umständlich und wird deshalb meistens nur dosiert eingesetzt: Man gendert gelegentlich, aber nicht systematisch.

Pseudogenerisches Femininum

Das einfachste Mittel, das generische Maskulinum zu ersetzen, wäre ein generisches Femininum, das ja lexikalisch im Deutschen durchaus vorkommt: Das Sprichwort „In der Nacht sind alle Katzen grau“ bezieht sich auch auf Kater, und ein Brautpaar besteht im Allgemeinen aus Mann + Frau. Grammatisch gibt es aber kein generisches Femininum. Nun kann man Regeln auch bewusst verletzen, konkret: statt des generischen Maskulinum die entsprechende Femininform verwenden, wie es die SüZ (23./24. 1. 2021) im Vorspann eines Interviews mit einer Richterin des Bundesgerichtshofes macht:

„Die Richterin kommt zum Interview in den schmucken Plenarsaal [des Bundesgerichtshofes], wo man Anfang März 2020 beim Presseempfang […] mit Dutzenden Juristen und Journalistinnen zusammensaß.“

Juristen bezeichnet hier Männer und Frauen. Und Journalistinnen? An sich nur Frauen, aber in diesem Kontext sind Männer mitgemeint. Als stilistischer Gag mag dieses pseudogenerische Femininum gefallen, aber in den meisten Kontexten würde es nicht „generisch“ interpretiert werden, sondern geschlechtsspezifisch als „weibliche Person(en)“.

Gendern im ZDF

Im Unterschied zu schriftlich formulierten Texten kommt bei spontan gesprochenen das Gendern kaum vor: Ein Sprecher, der seine Äußerung fast gleichzeitig planen, formulieren und artikulieren muss, hat einfach keine Zeit zum sprachkorrekten Gendern: Ein paar Floskeln wie „Schülerinnen und Schüler“ oder „Lehrerinnen und Lehrer“, das geht noch; aber bei komplizierteren Konstruktionen („Wer hat seine oder ihre Tasche liegengelassen?“) hört die Genderkompetenz auf.

Die Nachrichtensendungen des Fernsehens sind zwar „gesprochen“, aber größtenteils vorformuliert. Es wird ähnlich wie bei Zeitungen nur dosiert gegendert:

Bei ZDF-heute beträgt die Genderquote etwa zehn Prozent, in 90 Prozent der möglichen Fälle steht also das generische Maskulinum. Bevorzugte Genderkonstruktion ist die Paarform. Seit einigen Monaten versucht das ZDF auch die Sternchenform (Arbeitnehmer*innen) lautlich umzusetzen, und zwar durch eine kurze Pause zwischen Wortstamm und Femininendung -innen: Die meisten Journalisten schaffen es aber artikulatorisch nicht, den Sprechfluss kurz zu unterbrechen, und sprechen die Sternchenform wie eine Feminin Plural-Form (Arbeitnehmerinnen) aus. So wird beim Thema Home-Office die Frage gestellt (heute 19. 1. 2021, 19:00):

„Müssen Arbeitgeber das Home-Office ermöglichen oder werden die Arbeitnehmerinnen nur gebeten, das Angebot zu nutzen?“

In der gleichen Sendung kam auch die achtjährige Matilde zu Wort und sagte zum Home-Schooling:

„In der Schule ist es [das Lernen] besser, weil da seh ich meine Freunde, und die Lehrer können mir halt auch mehr erklären, also besser erklären, und dann versteh ich das auch ein bisschen mehr.“

Matilde gendert nicht, sondern verwendet ganz natürlich das generische Maskulinum. Die heute-Redaktion könnte sich Matilde zum Vorbild nehmen und so dem Ratschlag Martin Luthers folgen, bei sprachlichen Problemen „die Mutter im Haus“ zu fragen, „die Kinder auf den Gassen“ und „den gemeinen Mann [die Leute] auf dem Markt“, kurz: das Volk.

Fazit

Für das generische Maskulinum gibt es im Deutschen keine kommunikativ effiziente Ersatzform. Das Gendern, gleichgültig in welcher Form, ist eine Notlösung und hat keine Chance, sich in der Sprachgemeinschaft durchzusetzen. Diese Notlösung kommt aber im öffentlichen (nicht im privaten) Sprachgebrauch inzwischen so häufig vor, dass sich für manche die Frage stellt: Gendern oder nicht gendern?

Wer öffentlich gendert, legt ein sprachliches Bekenntnis ab, vergleichbar dem „Deutschen Gruß“ der nationalsozialistischen Bewegung. Dieser drückte zunächst die Gruppenzugehörigkeit aus, dann, nach der Machtergreifung 1933, die kommunikative Herrschaft im öffentlichen Raum: Wer den Gruß verweigerte, machte sich politisch verdächtig; wer ihn benutzte, war zumindest ein „Mitläufer“. Diese sozialen Zwänge wirken auch heute beim Gendern. Es gibt deshalb zu denken, dass ausgerechnet die KZ-Gedenkstätte Dachau ihre Besucher aktuell mit folgendem Eingangsschild begrüßt:

„Wegen des Coronavirus ist zur Sicherheit der Besucherinnen die KZ- Gedenkstätte Dachau geschlossen.“

Gendern oder nicht gendern – das ist heute keine sprachliche Frage mehr, sondern eine politische, aber keine frauenpolitische. Es geht nur noch um Macht, genauer: symbolische Macht im öffentlichen Raum. Wer hier nicht gendert, also die Grammatik der Sprache Goethes verwendet, muss es sich leisten können oder mit „Sanktionen“ rechnen. Wer übermäßig gendert, riskiert, nicht ernst genommen zu werden; wer ab und zu, als „Mitläufer“ zu gelten. Was tun? Vielleicht sollten die Deutschen eine genuslose Sprache übernehmen  ̶  zum Beispiel Türkisch oder Chinesisch.


Aufruf:
Wider die Spaltung der Sprachnation durch den DUDEN

Darum die Möglichkeit für TE-Leser, die Aktion des „Vereins Deutsche Sprache“ (VDS) per Unterschrift zu unterstützen sowie im privaten und kollegialen Kreis zu verbreiten. Hier der Link:
https://vds-ev.de/allgemein/aufrufe/rettet-die-deutsche-sprache-vor-dem-duden/

Dort findet sich der Text des Aufrufes „Rettet die deutsche Sprache vor dem Duden“ und die Liste der namhaften Erstunterzeichner.