Tichys Einblick
Serie "Wo kommst Du her?"

Die unverzichtbare Frage für fast jedes interessante Gespräch mit Unbekannten

Ein Nicht-Dialekt-Sprecher und im Saarland Aufgewachsener weiß, dass die Frage der Herkunft nicht nur den Geburtsort betrifft. Diese Frage bei Einwanderern oder ihren Nachkommen als potenziell rassistisch zu verpönen, ist nicht antidiskriminierend, sondern Ausdruck eines negativen Menschenbildes.

Kabarettist Gerd Dudenhöfer, alias Heinz Becker (rechts) muss niemand fragen, wo er herkommt: aus dem Saarland natürlich

IMAGO / United Archives
Natürlich galt ich vielen Saarländern als ein „Hergeloffner“. Obwohl ich nicht mal selbst hergelaufen war. Ich bin sogar wie ein echter Saarländer beim Schein der damals noch brennenden Fackel des Brebacher Hüttenwerkes im damaligen Heiliggeist-Krankenhaus in Saarbrücken geboren. Aber meine Eltern waren erst zwei Jahre zuvor ins Saarland gezogen: Ein (Kur-)Pfälzer – über ihren östlichen Nachbarstamm, die „dabbichen Pälzer“, machen die Saarländer erbarmungslose Witze – und eine Westfälin. Jedenfalls kamen meine Eltern aus dem „Reich“, wie Saarländer in den 70er und 80er Jahren noch ganz selbstverständlich den Rest des nichtsaarländischen Deutschland nannten. Ich behielt immer diesen leichten Makel, dass das „Platt“, das ich zu schwätzen mich bemühte, nicht ganz natürlich klang und mir der deftige Wortschatz fehlte, den wirkliche Dialektsprecher mit der Muttermilch aufsaugen.

Meiner Selbstidentifikation tut das aber bis heute keinen Abbruch. Obwohl ich nun seit 29 Jahren nicht mehr im Saarland lebe, antworte ich auf die Frage „Woher kommst du?“ stets „Ich bin Saarländer“. Insofern habe ich durchaus Verständnis dafür, wenn die Nachkommen von Eingewanderten in Deutschland auf die Frage „Woher kommst du?“ erstmal die Stadt oder Region in Deutschland nennen, in der sie aufgewachsen sind.

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Verständnislos bin ich aber für die Empfindlichkeit, mit der heutige Tugendwächter schon das Stellen dieser Frage – geschweige denn der Nachfrage, wo denn die Eltern herstammen – als Indiz der Fremdenfeindschaft darstellen. Das ist nicht nur reichlich konstruiert. Letztlich unterstellen sie, dass der Fragende damit eigentlich sagen will: Geh wieder dahin zurück, wo du herkommst! Zu dieser verallgemeinernden Unterstellung gehört wohl ein ziemlich negatives Menschenbild, jedenfalls von den „weißen“.

Hinter dieser konkreten Unterstellungshaltung und hinter diesem Sprechverbot steht eine politisch-ideologische Agenda des Menschen als Tabula Rasa, der Wunsch nach einem neuen, geschichts- und kulturblinden Menschen – ohne jede Wurzel. Über diesen Wunsch nach Geschichtslosigkeit, der ein zentrales Prinzip der woken Pseudoeliten ist, hat die französische Philosophin Bérénice Levet ein kluges Buch geschrieben.

Doch dieses Verbot der Frage „Woher kommst du?“ ist wie so viele Ge- und Verbote der heutigen Tugendwächter in sich selbst inkonsistent. Es soll zwar eigentlich wie auch andere Ge- und Verbote der Antidiskriminierung und der Herstellung einer absoluten Gerechtigkeit (also unterschiedslosen Gleichheit) dienen. Doch tatsächlich gilt es eben nicht wirklich für alle Menschen. Autochthone Saarländer dürfen autochthone Pfälzer vielleicht weiter „Wo kommsch’ dann du her?“ fragen, ohne für Fremdenfeinde gehalten zu werden. Aber eben die Menschen „of Color“ sollen nicht gefragt werden dürfen. Also wird gerade das antidiskriminierende Sprechverbot wieder zu einem sprachlichen Merkmal der Andersartigkeit. Die Absurdität ist offenkundig.

Mir genügt zur Ergänzung dazu der Hinweis auf die absolute Alltagsuntauglichkeit dieses Sprechverbots. Wer jemals auf Reisen war und den Kontakt zu den Einheimischen nicht vollständig scheute, weiß, dass wohl kaum ein halbwegs interessantes Gespräch mit bisher Unbekannten ohne diese Frage „Woher kommst du?“ und eine halbwegs aussagekräftigen Antwort darauf auskommen kann. Geht es nicht immer bei solchen Gesprächen letztlich darum, zu erfahren, wer der andere ist?

Natürlich fragte der Taxi-Fahrer, der mich von Shiraz nach Persepolis brachte, woher ich komme. Und als ich „Germany“ sagte, erzählte er mir in etwas eingerostetem Deutsch, dass er Goethe und Nietzsche gelesen hat, aber das Mullah-Regime ihn aus politischen Gründen aus seinem Lehrerberuf verbannte und er nun Taxifahren muss, um sich und seine Familie zu ernähren. Es war vielleicht das beeindruckendste Gespräch mit einem fremden Menschen, das ich je hatte. Hätte ich ihm auf seine Frage nach dem Vorbild eines woken Buches sagen sollen, „dass das die falsche Frage ist“, und er mich stattdessen fragen sollte, „welche Musik, welche Düfte, welches Essen“ ich liebe?

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