Tichys Einblick
Die andere Seite des Krieges

USA drängen die EU, mehr Geld nach Kiew zu überweisen – auch für US-Waffen

Hinter den Kulissen macht die US-Regierung Druck auf die EU, monatlich 3,5 Milliarden Euro an die ukrainische Regierung zu zahlen. Mit dem Geld sollen amerikanische Waffen bezahlt werden. In der deutschen Außenministerin dürfte Washington eine willkommene Ansprechpartnerin gefunden haben.

Außenministerin Annalena Baerbock und Antony Blinken, Aussenminister der Vereinigten Staaten von Amerika, bei der Pressekonferenz vor der Konferenz für globale Ernährungssicherheit im Auswärtigen Amt in Berlin, 24.06.2022

IMAGO / photothek

Am Rande der Uno-Vollversammlung soll es laut Financial Times zu verschiedenen Treffen zwischen Vertretern der EU, der Ukraine und der Biden-Administration gekommen sein. Es ging knallhart um das liebe Geld. Die Financial Times schreibt: „Die USA drängen die EU-Länder, die finanzielle Unterstützung für die Ukraine zu beschleunigen und zu erhöhen, während der IWF neue Wege erkundet, um Bargeld nach Kiew zu schicken.“ Ein US-Beamter, der namentlich ungenannt bleiben wollte, sagte: „Wir wiederholen unseren Aufruf an alle Partner der Ukraine, schneller zu handeln und der Ukraine versprochene Hilfe zu leisten, ihre Zusagen zu erhöhen und der Hilfe in Form von Zuschüssen Vorrang vor Darlehen zu geben.“ Der ukrainische Premierminister Denys Schmyhal hatte bei einem Treffen mit dem Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel, gesagt, dass die Ukraine jeden Monat etwa 3,5 Milliarden Euro von der EU benötigen würde. Das Geld müsse so schnell wie möglich fließen, ob es sich nun um Zuschüsse oder um Darlehen handeln würde, wäre ihm egal. Das sahen auch die US-Vertreter so, allerdings wandten sie ein, die EU sollte die 3,5 Milliarden Euro monatlich nicht als Darlehen auszahlen, sondern als nicht rückzahlbare Zuschüsse. 

Zumal sich die finanzielle Situation der Ukraine verschlechtern könnte, weil der staatlichen Gasversorger der Ukraine, Naftogaz, sich im Rechtsstreit mit Gazprom befindet, da Gazprom die lukrativen Zahlungsansprüche von Naftogaz für die Durchleitung des Erdgases nicht akzeptiert und zu Sanktionen übergehen könnte. Gazprom drohte auf Twitter, die Erdgaslieferungen über die Ukraine nach Europa einzustellen, und verwies auf Rechtsstreitigkeiten mit dem ukrainischen Gasunternehmen Naftogaz. 

Durch die Sabotage an Nord Stream 1 und 2 kommt nun allerdings der Ukraine eine zentrale Rolle in der Belieferung Europas mit russischem Erdgas zu. Die Zerstörung der beiden Erdgaspipelines stärkt die Verhandlungsposition der Ukraine im Rechtsstreit. 

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Die US-Vertreter verlangten laut Bericht, dass die EU der Ukraine 3,5 Milliarden Euro im Monat als nicht rückzahlbare Zuschüsse zur Verfügung stellen, also schenken sollten, im Jahr also 42 Milliarden Euro – und das in einer Zeit, in der Europa in die Rezession stürzt. Die US-Regierung sagte Wirtschaftshilfe in Höhe von 8,5 Milliarden US-Dollar zu und beantragte beim Kongress weitere 4,5 Milliarden Dollar. Was unter Wirtschaftshilfen zu verstehen ist, bleibt unklar. Sicher ist indes, dass amerikanische Firmen von den amerikanischen und den EU-Geldern profitieren werden. Vor allem drangen die US-Vertreter darauf, dass die EU das Geld rasch überweisen solle, zumal und solange die ukrainische Offensive im Süden erfolgreich verlaufe. Mehr noch, die US-Vertreter schlugen vor, dass die EU eine Art Dauerauftrag einrichtet, durch den automatisch die Summe an Kiew überwiesen wird. 

Allerdings fragt man sich, weshalb man das Ganze nicht vereinfacht und einen Teil der Summe gleich nach Washington transferiert, denn die Ukraine hat alle Waffenlieferungen, die sie aus den USA erhält, zu bezahlen. Und für die Bezahlung der Waffenlieferungen soll nun auch die EU aufkommen. Aus Sicht der US-Rüstungsindustrie und der mit ihr kooperierenden Branchen ist der Krieg in der Ukraine – man muss es leider so zynisch sagen – eine glänzendes Geschäft auf Kosten der europäischen Bürger. Die USA profitieren vom Rüstungsgeschäft und auch von demnächst anfallenden teuren Lieferungen an Frackingas nach der Sprengung von Nord Stream 1 und 2. Der Euro verfällt, der US-Dollar springt in die Höhe. Deutsche Firmen verlassen Deutschland und gehen in die USA.

Bitter könnte man allerdings auch fragen, ob nicht nur Sprengstoff an den Röhren knallte, sondern auch die Sektkorken in der Führungsetage des Bundeswirtschaftsministeriums. Im Mai erst hatte Habecks Staatssekretär Patrick Graichen nämlich die Vertreter der Stadtwerke mit der Aufforderung schockiert, mit den Planungen für den „Rückbau“ des Gas-Netzes jetzt zu beginnen. Mit der Nutzung von Gas sollte unwiderruflich Schluss gemacht werden. Graichen verwies auf den Zeitplan für die Dekarbonisierung der Volkswirtschaft und teilte einem Bericht der Welt zufolge Vertretern der Stadtwerke mit, dass der Betrieb einzelner Heizungen mit klimaneutralem Wasserstoff als Erdgasersatz „Träumerei“ sei. 

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Seltsam, sprachen nicht Habeck und Woidke im Zusammenhang mit der Untertreuhandstellung von Rosneft Deutschland von grünem Wasserstoff als Teil der Zukunft? Graichen begründete jedenfalls den Rückbau mit der Perspektive: „Natürlich ist im Jahr 2045 da kein Gas mehr in den Netzen.“ Der Protest der Branche war erheblich, man schüttelte nur den Kopf über die Realitätsferne der neuen Führung im Bundeswirtschaftsministerium. Michael Riechel, Präsident des DVGW und Chef des Stadtwerkeverbunds Thüga kommentierte Graichens Ansage mit den Worten: „Die jüngsten Aussagen von Staatssekretär Graichen aus dem Bundeswirtschaftsministerium sind an Dreistigkeit und Ignoranz nicht zu überbieten. Die Stadtwerke jetzt aufzufordern, den Rückbau der Gasnetze zu planen, ist grob fahrlässig. Herr Staatssekretär Graichen sollte besser seine ideologischen Scheuklappen ablegen und alle sich bietenden Möglichkeiten zum Gelingen der Energie- und Klimawende nutzen. Es ist bei den Technologien, die wir künftig nutzen sollten, keine Frage des Entweder-Oder, sondern von Sowohl-als-Auch. Nur wenn wir alle Technologieoptionen nutzen – das heißt Wärmepumpe, Fern- und Nahwärmenetze, H2-ready Gaskraftwerke und klimaneutrale Gase in den Bereichen Wärme, Industrie und Verkehr – werden wir die Energie- und Klimawende rechtzeitig schaffen und bezahlbar gestalten.“ Das ist nun vorbei, der von Graichen verordnete Rückbau fand nun zwar etwas schneller als geplant, dafür aber irreversibel als heißer Rückbau statt. Dankten für die Unabhängigkeit von russischem Erdgas nicht erst vor kurzem viele Parteifreunde Robert Habeck? Nun sind wir wirklich „unabhängig“. 

Geht es nach der deutschen Außenministerin wird der von den USA geforderte Überweisungsmechanismus sicher zügig auf den Weg gebracht werden, denn wie hatte doch die Expertin für die Panzerschlachten des 19. Jahrhunderts vor kurzem erklärt: „Wenn ich den Menschen in der Ukraine das Versprechen gebe: ‚Wir stehen an eurer Seite, so lange, wie ihr uns braucht‘, dann will ich auch liefern. Egal, was meine deutschen Wähler denken: Ich möchte für die Ukraine liefern. Und deshalb ist es für mich immer wichtig, immer sehr offen und eindeutig zu sein. Und das bedeutet, dass ich bei jeder Maßnahme, die ich ergreife, eindeutig machen muss, dass diese Maßnahme so lange hält, wie die Ukraine mich braucht.“ Dafür wurde sie nun vom Time Magazine zu den 100 aufstrebenden Persönlichkeiten der Welt in der Kategorie „Leader“ gewählt. 

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Den Weg dahin ebneten ihr außer den deutschen Wählern, deren Denken und deren Wohlergehen ihr womöglich „egal“ ist, wohl auch ihre Teilnahme am „Young Global Leaders“-Programm des WEF. Zur Begründung zur Wahl Baerbocks für die Auswahl von Time schrieb US-Außenminister Antony Blinken: „Wenn ich darüber nachdenke, was mich in diesen Zeiten optimistisch stimmt, dann ist es eine Partnerin zu haben, die so nahtlos Prinzipien und Pragmatismus vermischt.“ Zumindest ist man in Washington und wohl auch in Davos mit Annalena Baerbock sehr zufrieden, nur eben nicht mit dem Stand der Bezahlung amerikanischer Rüstungsgüter. Ein wenig fordernd kommentierte laut Financial Times ein hochrangiger US-Beamter: „Wir freuen uns auf die Bereitstellung der durch die EU zugesagten Hilfe in Höhe von 5 Mrd. Euro“

Fairerweise muss man hinzufügen, dass ein Sprecher der EU laut Bericht der Financial Times zu bedenken gab, dass Zahlungen an die Ukraine im Einklang mit den Budgetregeln der EU stehen müssten, die sorgfältige Prüfungen erforderlich machten, bevor die Überweisung stattfinden kann. Die Ukraine befindet sich im Korruptionsindex von Transparency aus dem Jahr 2021 von 180 bewerteten Staaten auf Rang 122. Heikel wird die Auszahlung auch deshalb, wenn man bedenkt, dass die EU Ungarn Gelder u.a. auf Grund von Korruptionsvorwürfen vorenthält. Und die Ukraine ist noch nicht einmal Mitglied der EU. Übrigens sieht man auch in den Staaten das Ukraine-Engagement der USA zunehmend kritisch, auch hier fordern Kongressabgeordnete stärkere Kontrollen einzurichten. 

Wie im Krieg treffen auch in jeder Politik unterschiedliche Interessen aufeinander. Es ist wichtig darauf hinzuweisen, weil das bedeutende Werk „Vom Kriege“ von Carl von Clausewitz sicher nicht auf Baerbocks Lektüreliste gestanden hat, in dem es heißt, dass die Politik die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist. So steht bei Clausewitz als Überschrift: „Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.“ Und etwas ausführlicher: „Der Krieg ist nichts als eine Fortsetzung des politischen Verkehrs mit Einmischung anderer Mittel, um damit zugleich zu behaupten, daß dieser politische Verkehr durch den Krieg selbst nicht aufhört, nicht in etwas anderes verwandelt wird, sondern daß er in seinem Wesen fortbesteht, wie auch die Mittel gestaltet sein mögen, deren er sich bedient.“ Das Wesen des Krieges ist also politisch, auch wenn er mit den Mitteln der Gewalt ausgetragen wird. Im Mittelpunkt einer realistischen Politik stehen die Interessen derjenigen, für die man Politik machen sollte, die Wähler, deren Denken einer Außenministerin nicht „egal“ sein darf, denn woran sollte sich die Außenpolitik eines Staates orientieren, wenn nicht an den Interessen des Staates und seiner Bürger. Deutschland muss – die Rezession und eine Inflation von mehr als 8 Prozent vor Augen – seine Interessen formulieren, und die sind etwas anderes als zwar wohltönende, aber im Kern blinde Gefolgschaft. Wir sollen und wollen der Ukraine helfen, aber im Rahmen des möglichen. 

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