Tichys Einblick
Schöne Aussichten

Steinmeiers Lehrstücke: Ein Präsident als Spalter

Frank-Walter Steinmeier ist zwar der Bundespräsident fast aller etablierten Parteien, aber nicht der Präsident aller Bürger, wie er in seinen jüngsten Auftritten belegt. Steinmeier spaltet das Land.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Schloss Bellevue am 19. Januar 2022

IMAGO / Emmanuele Contini

Ist das (noch) mein Bundespräsident? Eigentlich sollte sich diese Frage verbieten. Jedes unserer bisherigen Staatsoberhäupter hat es zumindest versucht, ein „Präsident für alle“ zu sein. Der eine „Hoch auf dem gelben Wagen“, der andere durch salbungsvolle, aber nutzlose Reden, um wohl die Vergangenheit seiner adeligen Familie zu kaschieren. Der erste traute sich, bei dem allerersten Bundeswehr-Appell den Soldaten noch zuzurufen: „Nun siegt mal schön.“ Ein anderer nannte Banken schonungslos das, was sie sind: „ein Monster“. Leider scheint der gerade jetzt verstummt.

Dafür kam dann einer, der seine eigenen einstigen Landsleute ins Reich von „Dunkeldeutschland“ verwies. Doch der Amtierende in einem Schloss mit dem bezeichnenden Namen „Schöne Aussicht“ lässt das Maß nun überlaufen. Er spaltet das Land auf Teufel komm raus, obwohl er gerne als Christ wahrgenommen werden will. Jetzt, wo alles drauf ankommt, das Volk zu einem „Wir“ zu formen, grenzt er die immer größer werdende Minderheit der Gegner des verpflichtenden Impfens bis zum Aushebeln der Grundrechte gnadenlos aus.

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Und dieser Mann wird wiedergewählt. Wenigstens hat man die Abstimmung vom „Tag des Grundgesetzes“ verlegt auf den 13. Februar. Was für ein Hohn wäre der traditionelle Sonntag gewesen! Er wird gewählt, weil es die stärkste Fraktion in der Bundesversammlung nicht hinbekommt, einen eigenen Kandidaten aufzustellen. CDU und CSU haben die einmalige Chance versäumt, eine Frau aus dem Osten, eine angesehene Bürgerrechtlerin der ersten Stunde zum Beispiel, für die Wahl zu präsentieren.

Stattdessen wählt die CDU just den größten Spalter neben CSU-Söder, den Sachsen Kretschmer, mit der höchsten Stimmenzahl zum Vizevorsitzenden. Alles Beweise für die sterblichen Überreste von ehemals stabilen, unsere Demokratie prägenden Volksparteien. Jetzt heben sie die Hand für einen Mann, der hinter seinem Lächeln ein eiskalter Sozi-Machtpolitiker ist, Israel-hassenden Diktatoren Grußtelegramme nach Teheran schickt und eine Musikkapelle mit dem klingenden Namen „Feine Sahne Fischfilet“ wegen ihres Einsatzes „gegen rechts“ heilig spricht. Dieser Einsatz besteht bei der Band aus Texten wie: „Die Bullenhelme, sie sollen fliegen. Eure Knüppel kriegt ihr in die Fresse rein, und danach schicken wir euch nach Bayern, denn die Ostsee soll frei von Bullen sein.“

Man könnte diese Spalter-Liste unendlich fortsetzen. Sie erreicht in diesen Tagen ihren Höhepunkt. Bei einer „Gesprächsrunde im Schloss Bellevue“ sei er auch „ganz direkt auf die sogenannten Spaziergänge der Gegner der Corona-Maßnahmen“ eingegangen, so Steinmeiers Hofpresse. Zitat: „Wer sich gegen unser Recht stellt und sich mit selbst erklärten Staatsfeinden und verfassungsschutzbekannten Rechtsextremisten gemein macht, der kann sich nicht mehr glaubwürdig auf Demokratie und Freiheit berufen“, sagte er am gestrigen Montag.

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Man kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Woher bezieht dieser Mann seine Informationen? Sagt ihm denn keiner, wie es da wirklich abläuft auf unzähligen dieser Spaziergänge mit wöchentlich höheren Teilnehmerzahlen? Sagt ihm denn niemand, dass dort überwiegend besorgte Bürger auf der Straße sind, von Ärzten über Pflegepersonal bis zu Lehrern, alt und jung, oder eben Eltern, die Angst um ihre Kinder haben?

Leute, deren Plakate zu 99 Prozent nicht nur irgendwie auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, sondern es verteidigen. Anders als bei jener Demo, bei der Claudia Roth hinter Parolen wie „Deutschland, du mieses Stück Scheiße“ herlief und zur Belohnung Bundestagsvizepräsidentin wurde. Gläubige Menschen mit Rosenkränzen oder tapfere Helden mit Kerzen, die 1989 eine Diktatur, auch eine Meinungsdiktatur erfolgreich gestürzt haben. Die zum Beispiel in der ungeimpftesten Region unseres Landes, meinem geliebten Erzgebirge, die niedrigste Inzidenz und Hospitalisierung haben. Im Sozi-Bremen von Steinmeiers Genossen ist es exakt umgekehrt. Wissen der All- und Altparteien-Kandidat und seine Wähler das alles nicht?!

Stattdessen hieß es bei dem Gespräch mit dem bezeichnenden Titel „Hass und Gewalt in Zeiten der Pandemie“ aus dem Munde des Staatsoberhauptes: „Der ‚Spaziergang‘ hat seine Unschuld verloren… Die rote Linie verläuft genau da, wo Gewalt ins Spiel kommt… Dies gilt auch für die Meinungsfreiheit: Wir brauchen sie, wir schützen sie.“ Ach! Der neue Kanzler hatte wenigstens noch versucht, sich als „Kanzler auch der Ungeimpften“ zu präsentieren. Der Kollege von nebenan versucht das noch nicht einmal.

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Übrigens diskutierte Steinmeier mit einer handverlesenen Jubel-Truppe, wie wir sie auch in den meisten Talkshows vorfinden. Auch eine Form von Meinungsfreiheit, nämlich die Freiheit von (abweichenden) Meinungen. Nur beim vorletzten Mal hatte die präsidiale Regie versagt. Da war ihm eine gut präparierte Lehrerin derart in die Parade gefahren, dass sie zum Star in den Internet-Blogs avancierte. Das sollte sich nicht wiederholen. Also wird „das“ Volk auf ein paar höfische Jubler mit verbalen Winkelementen reduziert. Das hatten wir alles schon mal. Das sollte sich doch nie wiederholen.

Aber vielleicht habe ich da etwas falsch verstanden. Vielleicht gehört solche politische Demenz auch zum Alltag der Herrschenden. Die wissen bekanntlich mit zunehmender Amtsdauer immer weniger, wo und wen sie eigentlich regieren – besser: wem sie dienen sollen.

Wie harmlos war dagegen der legendäre Amtsvorgänger Heinrich Lübke. Der stand auf dem Markplatz in Helmstedt und wusste nicht mehr, wo er war: „Ich begrüße Sie hier in…ähhh…in…..äääääh….“ Und das Volk schrie im anschwellenden Chor: Helmstedt, Helmstedt! Heute ruft es: „Das Maß ist voll. Rettet unsere Kinder aus der Käfighaltung“ oder „Wir stehen zum Grundgesetz“ oder „Freie Impf-Entscheidung“.
Klar, das sind alles Verfassungsfeinde. Deshalb wählen wahre Demokraten in drei Wochen Herrn Steinmeier. Gegenkandidaten würden die Meinungs- und Wahlfreiheit nur stören. Schöne Aussichten für das Schloss Bellevue. Nicht für Deutschland.

Wie hieß es doch so treffend auf TE gestern: „Spazieren ist gut für die Verfassung.“ Und zu Risiken und Nebenwirkungen fragen sie ihren Bundespräsidenten.

P.S.: Während ich das schreibe und dieser Kommentar online geht, kommt die Meldung, dass es mit dem WerteUnion-Vorsitzenden Max Otte doch einen Gegenkandidaten gibt. CDU und CSU haben also wieder ein tolles Thema zur Ablenkung. Maaßen lässt grüßen.