Tichys Einblick
Buchmesse als Treffen der Ideologiewerker

Steinmeier verhöhnt die Friedliche Revolution und damit die Ostdeutschen

Schilder hoch für die Ampel-Koalition, hieß es auf der Leipziger Buchmesse, gegen die jeder Schriftstellerkongress der DDR kritischer war. Einzig der Bundespräsident übertrumpfte die Darbietung mit seiner Geschichtsvergessenheit und einem kruden Vergleich.

IMAGO

Um es vorweg zu sagen, um die Literatur geht es bei dieser Buchmesse in Leipzig nicht. Die Buchmesse hat ihre Freiheit und Pluralität verloren, sie wurde zu einem weiteren, diesmal sitzenden Aufmarsch für die Regierung im Kampf „gegen Rechts“, also dagegen, wo man noch am ehesten in unseren Tagen Literatur finden kann, brutal umfunktioniert. Kritik sollen nur noch die Kritiker der Regierung erfahren, Kritik und möglichst Ausgrenzung, während die Regierung zu loben ist. Für die Kritiker wird zunehmend der Verfassungsschutz zuständig, der von der Ampel zu einer politischen Polizei umgebaut wird. Den Grad an freiwilliger Gleichschaltung der Literatur, der heute zu beobachten ist, erlebte man in der DDR nicht. Jeder Schriftstellerkongress der DDR war kritischer als diese Ampel-Veranstaltungen mit willigen Literaten.

Auf der Eröffnungsveranstaltung im Gewandhaus in Leipzig am Mittwoch, zu der wieder ein paar Leute gegen Israel protestierten und der Bundeskanzler wie üblich eine Banalität an die andere reihte, ging es vor allem darum, dass sich die Kulturschaffenden eindrucksvoll zur weisen Politik der Ampel-Regierung bekennen. Zu diesem Zweck hatte man vorsorglich kleine Transparente auf die Stühle gelegt, auf denen stand: „Demokratie wählen. Jetzt.“ Aber eigentlich lautete der Spruch: „Ampel wählen. Immer.“ Denn die weiße Schrift leuchtete vor dem grünen, roten, gelben und pinken Hintergrund. Weder schwarz noch blau kamen als Hintergründe vor. Die Botschaft war eindeutig. Auf ein Zeichen hoben fast alle Teilnehmer der Akklamationsveranstaltung für die Ampel gehorsam die Transparente hoch – und in diesem seligen Ampel-Moment entstand mitten in Leipzig das Gefühl, als sei man in Peking und als habe sich der chinesische Volkskongress versammelt.

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Aufmärsche der Grünen gegen Demokratie und Meinungsfreiheit
Wer dort das Schild hob, hat sich von der Demokratie verabschiedet. Der machte sich zum Diener der Ampel. Wer dort das Schild hob, für den ist frei nach Lenin Literatur nur noch als Parteiliteratur möglich. Lustig war, dass Sachsens Ministerpräsident Kretschmer vergnügt wie Bolle das Schild zu seiner Abwahl im Herbst in den Ampel-Himmel reckte und sich zur FDP bekannte, für grün gebrach es ihm dann doch wohl an Mut. Obwohl er mit den Grünen zum Schaden Sachsens regiert.

Doch die eigentliche Schande von Leipzig und der Messe erfolgte am nächsten Tag. Man könnte es auch als Merkels späte Rache an denen, die 1989 gegen die Staatsgewalt demonstrierten, sehen. Im Spätsommer und im Herbst 1989 demonstrierten immer mehr Menschen gegen die Regierung der DDR für Freiheit und Demokratie. Anfangs wussten die ersten, die mutig gegen die Staatsgewalt auf die Straßen gingen, nicht, ob sowjetische Panzer wieder rollen würden. Anfangs kam es zu Verhaftungen, anfangs wusste niemand, ob die Staatsführung Armee und Polizei einsetzt.

Frank-Walter Steinmeier, den Merkel zum Bundespräsidenten gemacht hatte, um Schäuble zu verhindern, spaltet, um die rotgrüne Herrschaft zu verstetigen, das Land. Er verhöhnt die Demonstranten von 1989, wenn er sie dreist mit den heutigen Aufmarschierern gleichsetzt. Oder glaubt dieser Mann, der Mitglied einer Partei ist, der auch einst ein Otto Grotewohl angehörte, dass Erich Honecker oder Erich Mielke 1989 zu den Demonstrationen aufgerufen hatten? Glaubt er das?
Geschichtsvergessen zitierte Steinmeier aus dem Aufruf des Neuen Forums „Wir wollen freie selbstbewusste Menschen, die doch gemeinschaftsbewusst handeln“ und setzte das Zitat in einen falschen Kontext. Doch dem Mann kann geholfen werden, denn den richtigen Kontext lieferte Bärbel Bohley, die das Neue Forum mitbegründet hatte:

„Alle diese Untersuchungen, die gründliche Erforschung der Stasi-Strukturen, der Methoden, mit denen sie gearbeitet haben und immer noch arbeiten, all das wird in die falschen Hände geraten. Man wird diese Strukturen genauestens untersuchen – um sie dann zu übernehmen. Man wird sie ein wenig adaptieren, damit sie zu einer freien westlichen Gesellschaft passen. Man wird die Störer auch nicht unbedingt verhaften. Es gibt feinere Möglichkeiten, jemanden unschädlich zu machen. Aber die geheimen Verbote, das Beobachten, der Argwohn, die Angst, das Isolieren und Ausgrenzen, das Brandmarken und Mundtotmachen derer, die sich nicht anpassen – das wird wiederkommen, glaubt mir. Man wird Einrichtungen schaffen, die viel effektiver arbeiten, viel feiner als die Stasi. Auch das ständige Lügen wird wiederkommen, die Desinformation, der Nebel, in dem alles seine Kontur verliert.“

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Steinmeier verhöhnt die Friedliche Revolution, wenn er die Aufmärsche gegen Rechts, gegen die Demokratie mit den Demonstrationen im Herbst 1989 für die Demokratie gleichsetzt, er verhöhnt die Friedliche Revolution, wenn er sagt: „Das ist doch genau, was unsere Demokratie gerade heute braucht. Sie braucht den Schulterschluss aller Demokratinnen und Demokraten, die in diesem Land leben. Ganz so, wie es die Millionen vorgemacht haben, die in den letzten Monaten auf der Straße waren.“ So sahen übrigens auch Otto Grotewohl und die SED-Oberen den Fackelzug der Freien Deutschen Jugend zur Gründung der DDR 1949, so sah die SED-Führung alljährlich die Aufmärsche zum Republikgeburtstag am 7. Oktober und die Aufmärsche zum 1. Mai als „Schulterschluss aller Demokratinnen und Demokraten“, die im Übrigen auch wie die Teilnehmer an der Eröffnungsveranstaltung am Mittwoch bereits für sie gefertigte Transparente bekamen, die sie dann willig hochhielten.

Denn auch das Politbüro der SED bestand aus glühenden Demokraten, die wie Frank-Walter Steinmeier genau wussten, wer die Demokraten sind, nämlich in der Diktion der Ampel und der Union „die demokratischen Parteien“, in der Realität der DDR die Parteien der Nationalen Front. Fällt es Steinmeier und Co. nicht mehr auf, dass die Demonstrationen der Friedlichen Revolution nicht im Auftrag des Staates, sondern gegen die Diktatur, gegen die Regierung, die keine freien und geheimen Wahlen wollte, gerichtet waren, dass die Teilnehmer nicht für die Regierung, für das Politbüro mit der Unterstützung der Stasi, der FDJ, des DSF, des FDGB etc. demonstrierten?

Steinmeiers Aufmärsche aber stellen das genaue Gegenteil der Demonstrationen von 1989 dar, sie sind der Versuch der Revision der Ereignisse von 1989. Mit Blick auf die Friedliche Revolution verdeutlicht Frank-Walter Steinmeier, ungewollt natürlich, aber dafür umso deutlicher, dass die Aufmärsche nichts anderes als die Konterrevolution darstellen, die Revision von 1989. Das aber haben die Westlinken von Anfang an gewollt. Sie haben allerdings lange dafür gebraucht.


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