Tichys Einblick
CDU: Richtungskorrektur oder nicht

Starten sie oder warten sie?

Ist sich die CDU der Grundsatzentscheidungen bewusst, die in der Wahl des Parteivorsitzenden vor ihr steht?

Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Historische Prozesse werden oft von Zeitgenossen verkannt, die Zeichen der Zeit, die man nicht mit gelegentlichen Irrlichtern verwechseln darf, auch. Keine der agierenden Parteien hat den tiefen und grundsätzlichen Paradigmenwechsel auch nur ansatzweise begriffen, in dem sich Deutschland, aber auch Europa und Nordamerika befinden. Politik findet nach wie vor als business as usual statt. Es geht stattdessen schlicht um die Frage, ob es Deutschland gelingt, den Anschluss an die Zukunft zu finden, oder ob der Abstieg beginnt. Lakonisch könnte man sagen, die Weltgeschichte ist ein auf und ab, nur haben die Bürger dieses Landes ein Mitspracherecht.

Die Lawine rollt
Merkel kündigt ihr eigenes Dogma von der Untrennbarkeit von Kanzlerschaft und Parteivorsitz
Als 1989 in der DDR das Volk auf die Straße ging, nahm der Protest Dimensionen an, der schließlich die Parteioberen dazu brachte, in einer panischen Reaktion den Generalsekretär Erich Honecker abzulösen. Der neue Generalsekretär Egon Krenz trat vor die Kamera und sagte, dass die Partei die Wende eingeleitet habe. Der Realitätsverlust erreichte damit ein kabarettistisches Ausmaß, denn die Partei konnte zu diesem Zeitpunkt nichts mehr ein- noch ausleiten, ihr waren die Handlungsoptionen abhanden gekommen, weil sie erstens zu spät, zweitens unangemessen und drittens in Verkennung der Lage operierte. Allerdings standen ihr keinen anderen Handlungsmöglichkeiten offen, weil sie aus ihrer Denk-und Betrachtungstradition nicht herausfand.

Der heutige Tag ist in seiner politischen Dimension weit vom Jahr 1989 entfernt, es  geht auch nicht um die Beendigung einer Diktatur, sondern um einen Wechsel, wie er zum Wesen unserer Demokratie gehört, doch wird in der CDU anscheinend der Ernst der Lage verkannt. Die Parteivorsitzende Angela Merkel tritt zurück, um den Weg für einen Neuanfang der Partei zu öffnen. Gleichzeitig hält sie am Amt der Bundeskanzlerin fest, weil sie der Meinung ist, dass die Bundesregierung eine sehr gute Arbeit leistet, was nur nicht auffalle, weil sie in der „Arbeitskultur“ ein schlechtes Bild abliefere und deshalb niemand die Erfolge der Koalition sähe. Sie distanzierte sich ausdrücklich vom Begriff des Vermittlungsproblems, weil das Problem viel tiefer reiche, nur ist der Begriff „Arbeitskultur“ nicht weniger ein Pappkamerad als das Wort vom Vermittlungsproblem. Wieder wagt man sich nicht an die Analyse der Prozesse, die das Land in Turbulenzen stürzen, sondern erfindet brav ein neues Wörtchen. Glaubt die Bundeskanzlerin allen Ernstes, dass die Probleme gelöst wären und die Spaltung überwunden würde, wenn die Bundesminister öfter lächelten und sich parteiübergreifend innig lobten. Vielleicht würden gemeinsame Urlaubsfahrten helfen?

Notizen nach Hessen
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Die oft strapazierte Auseinandersetzung zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer wurden von einer unkritischen Presse sehr im Merkelschen Sinne als persönliche Animositäten beschrieben, als ob es nicht in Wahrheit um eine unterschiedliche Bewertung objektiver Prozesse und Konzepte ginge. Nichts wird besser, wenn nicht endlich die Objektivität der Krise anerkannt wird. Im Gegenteil, es entsteht der deprimierende Eindruck, dass die Bundeskanzlerin die politischen Auseinandersetzungen zu sehr auf einer persönlichen Ebene wahrnimmt und nicht mehr den Zustand des Landes sieht. Demzufolge wird sie sich auch als Parteivorsitzende nicht noch einmal zur Wahl stellen, nicht weil sie sich persönlich verantwortlich fühlt, sie hat ja auch nichts falsch gemacht, kann ja auch nicht erkennen, was sie hätte besser machen können, sondern sie trifft die Verantwortung „qua Amt“, weil sie nun mal dieses Amt hat. Von Amtswegen muss sie die Verantwortung übernehmen, nicht sie ist verantwortlich, sondern das Amt ist schuld. Man gewinnt den Eindruck, als würde sich mehr um Sprachregelungen, die immer abstruser werden, bemüht, als um die Analyse und Lösung von Problemen, schon allein deshalb, weil es bestimmte Probleme gar nicht geben dürfte.

Das Rennen für die Wahl zum Parteivorsitzenden ist eröffnet. Annegret Kramp-Karrenbauer erklärte ihre Absicht zu kandidieren, auch Jens Spahn. Weder die eine, noch die andere Kandidatur überrascht. Weder über die eine, noch über den anderen lässt sich wirklich etwas sagen. Spahn gilt als konservativ, wobei die Betonung auf „gilt“ liegt,  denn er befürwortete das von den Grünen hegemonisierte Projekt Jamaika und bewunderte Jürgen Trittin als „coole Socke“. Das muss man als Konservativer erst einmal hinbekommen. Über Annegret Kramp-Karrenbauer lässt sich nur sagen, dass sie geschickt ist. Die Frage ist schließlich, ob man Positionen bezieht, weil sie einen persönlich weiterbringen, oder bringt man sich persönlich ein, um Positionen in Politik umzusetzen.

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Aufmerken lässt, dass auch Friedrich Merz seinen Hut in den Ring wirft, der einstige Hoffnungsträger der Konservativen, der die Konservativen und die Partei im Stich gelassen und vor Merkel gekniffen hatte. Merz sitzt nicht nur in mehreren Aufsichtsräten, sondern ist auch für den größten amerikanischen Vermögensverwalter, für Black Rock tätig. Seine europapolitischen Vorstellungen spiegeln aus meiner Sicht nicht deutsche Interessen wieder. Aus welcher Perspektive sieht er Deutschland?

Würde die CDU Friedrich Merz zum Parteivorsitzenden wählen, dann könnte es sein, dass sie für den Mann votierte, der vor über einem Jahrzehnt die große Politik verlassen hatte und der er möglicherweise nicht mehr ist. Sie würden ihren Traum wählen, die Zeit zurückdrehen zu können. Das kann die CDU nicht. Sie braucht einen Neuanfang, eine Frau oder einen Mann, der die Zeichen der Zeit erkennt und die Zukunft noch vor sich hat. Sie hat keine Zeit zu warten, sie muss durchstarten. Es ist Zeit für eine konservative Wende hin zur Wirklichkeit.