Tichys Einblick
Sozialdemagogie

Das „selbstbestimmte Leben“ nach Bundesarbeitsminister Hubertus Heil

Heils Konzeption des „selbstbestimmten Lebens“ widerspricht jeglicher ökonomischen Logik und ist sozialdemagogisch auf den Stimmenfang derer angelegt, die sich bestens in der Langzeitarbeitslosigkeit eingerichtet haben. Deren Geschäftsmodell steht seit Jahren fest: Hartz und schwarz.

IMAGO / Mike Schmidt

Die mutigste Sozialreform unter dem sozialdemokratischen Bundeskanzler Schröder, der Politikwechsel gegenüber Langzeitarbeitslosen, wird nun von der Ampelkoalition unter Führung ihres Arbeitsministers Heil durch eine weit größere Reform abgeschafft. Das bisher geltende Prinzip, wonach Vermögen bei der Prüfung der Bedürftigkeit berücksichtigt wird und die Unwilligkeit bei der Zuweisung von Arbeitsplätzen mit Entzug der Förderung quittiert wird, soll vollständig aufgegeben werden.

Die Bundesagentur für Arbeit hat noch unter ihrem damaligen Chef Scheele, einem Sozialdemokraten Hamburger Schule, vor so viel Großzügigkeit dringend gewarnt. Es half nichts.

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Arbeitsminister Heil hielt an seiner Konzeption des „selbstbestimmten Lebens“ fest. Danach sollen Langzeitarbeitslose, die insbesondere mangels schulischer und beruflicher Qualifikationen bislang keine Stelle gefunden haben, selbst dann weiter in den Genuss der nunmehr Bürgergeld getauften Hartz-Förderung kommen, wenn sie sich nicht sofort nach Eintritt der Arbeitslosigkeit um eine Neuanstellung unter Anleitung der Bundesagentur für Arbeit bemühen. Sie dürfen sogar Terminen zur Arbeitsvermittlung in einer Frist, die man „Vertrauensjahr“ nennt, fernbleiben, ohne dass sie auf ihre Form des selbstbestimmten Lebens, zu Lasten der Steuerzahler, verzichten müssen.

Die CDU/CSU-Opposition machte in dieser Angelegenheit ein miserables Bild. Sie möchte in der Tat lediglich erreichen, dass die Vertrauenszeit modifiziert und Sanktionen bei der Nichtaufnahme von Arbeitsmöglichkeiten beibehalten bleiben. Im Vermittlungsausschuss ist nun ein Kompromiss herausgekommen, zumal Herr Merz bereits mit seiner Christenunion die Erhöhung der Hartz-Bezüge gutgeheißen hat.

Der Diskurs des sozialistischen Arbeitsministers Heil widerspricht jeglicher ökonomischen Logik und ist sozialdemagogisch auf den Stimmenfang derer angelegt, die sich bestens in der Langzeitarbeitslosigkeit eingerichtet haben. Deren Geschäftsmodell eines selbstbestimmten Lebens steht seit Jahren fest:

Hartz und Schwarz

Sie fahren dabei nicht schlecht, jedenfalls besser als diejenigen, die einer gering bezahlten, regulären und sozialabgabenpflichtigen Arbeit nachgehen, und auf diese Weise die Trittbrettfahrer des Sozialstaats mitfinanzieren. Heil argumentiert, man müsse den Leuten eine Chance geben, eine neue Berufs- oder Schulqualifikation in der Vertrauenszeit zu erwerben.

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Dieser Minister negiert die Realität. Wer mangels Schul- und Berufsqualifikation langzeitarbeitslos ist, wird nur in ganz seltenen Fällen das nachholen, was er in seinem bisherigen Leben versäumt hat. In vielen Fällen will er es auch gar nicht, weil es für ihn sehr viel bequemer ist, sich in dem Geschäftsmodell von „Hartz und Schwarz“ weiterhin einzunisten. Im Übrigen ist es eine gefährliche Illusion zu suggerieren, Arbeitslose mit geringer Qualifikation hätten einen Anspruch darauf, so gefördert zu werden, dass sie den Job ihres Lebens finden werden. Der Arbeitsmarkt stellt in Hülle und Fülle Jobs zur Verfügung. Dies gilt insbesondere für Tätigkeiten, die eine flexible Dienstleistungsmentalität verlangen.

Ob es um das saisonale Spargelstechen geht oder um die Sicherheitsüberprüfung des Gepäcks an Flughäfen, ganz zu schweigen von den vielen gastronomischen Hilfstätigkeiten, die mangels Arbeitsbereitschaft nicht zu besetzen sind: Der Arbeitsmarkt bietet seit Jahren diese Möglichkeiten und bestimmte Branchen, so insbesondere die Gastronomie in der deutschen Provinz, aber auch Dienstleistungsgewerbe wie Gebäudereinigung bieten Arbeitsplätze mit Betätigungsmöglichkeiten, die nicht als attraktiv angesehen sind und daher von den „Arbeitssuchenden“ rundweg abgelehnt werden.

Jenen Arbeitssuchenden angesichts dieser Verweigerungshaltung, die aus sehr ökonomischen Gründen sogar vom Gewerkschaftsbund unterstützt wird, die Aussicht auf ein „selbstbestimmtes Leben“ mit dem neuen Bürgergeld in Aussicht zu stellen, ist Sozialdemagogie pur und schädigt die deutsche Volkswirtschaft. Der DGB, bestens vertreten in der Bundesagentur für Arbeit, stellt sich schützend vor jede Veränderung einer Sozialbürokratie, welche die Arbeitslosigkeit nur perpetuieren, aber nicht abbauen will.

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Den Gewerkschaften liegt sogar daran, die Zahl der Arbeitssuchenden soweit wie möglich zu verknappen, um auf diese Weise ihre Tarifforderungen in den unterschiedlichen Branchen durchsetzen zu können. Gibt es für die Arbeitgeber keine Substitutionsmöglichkeiten beim Angebot der Arbeit, sind sie auf die Kräfte angewiesen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.

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Von den 2,5 Millionen Dauerarbeitslosen können gut und gerne 1,5 Millionen sehr schnell und ohne Schwierigkeiten in Arbeitsverhältnisse gebracht werden, die nur eine Anlernphase erfordern und die Bereitschaft, eine gegebenenfalls nicht hoch angesehene Tätigkeit über einen längeren Zeitraum ausüben zu wollen.

Die Diskussion bei den Pflegekräften hat gezeigt, wie Marktwirtschaft funktioniert: Angesichts der Pandemielasten haben viele Pflegekräfte wegen der unzureichenden Bezahlung den Dienst quittiert. Nun müssen die Arbeitgeber, allen voran die Krankenhäuser, die Löhne erhöhen. Dass in Deutschland nicht schlagartig aus der, wie Marx es nannte, „Reservearmee“ von 2,5 Millionen Dauerarbeitslosen ein paar tausend Frauen und Männer rekrutiert werden können, die an den Flughäfen die Gepäckkontrolle durchführen, ist ein Armutszeugnis der Bundesagentur für Arbeit.

Dass sie sich in solchen Situationen um arbeitswillige Ersatzkräfte aus der Türkei bemühen musste und nicht in der Lage war, entsprechend Druck auf ihre Dauerklienten auszuüben, lässt den Verdacht aufkommen, dass zwischen Bundesagentur für Arbeit und ihren Dauerklienten ein Kartell besteht. Erstaunlich ist, dass die deutschen Arbeitgeberverbände diese Missstände nicht beim Namen nennen und auf die Verantwortlichen, also nicht nur Herrn Heil, sondern auch die Chefin der Bundesagentur, Frau Nahles, mit ihrer Kritik zielen. Wenn nun noch zahllose „Flüchtlinge“ nach Deutschland kommen, wird der Anteil der ausländischen Personen, die unter die Fittiche der Sozialverwaltung gelangen, ohne jemals in den Arbeitsmarkt integriert werden zu können, noch größer werden.

Es scheint, dass mit Heils Reform der Sozialstaat über die Demokratie gesiegt hat. Denn die Mehrheit der Menschen in Deutschland ist augenscheinlich mit diesem System der Plünderung der Leistungsträger zufrieden. Wie lange noch?