Tichys Einblick
Die löchrige Brandmauer

„Solidarität“ ist ein wichtiger Grund für den Aufstieg der AfD

Die Brandmauer gegen die AfD bröckelt. Auch weil immer mehr Menschen befürchten, dass diese Mauer genauso gut sie selbst ausschließen könnte. Die Pandemie hat dafür reichlich Anschauungsmaterial geliefert.

IMAGO / Noah Wedel

Die AfD steht bei 20 Prozent. Tendenz steigend. Verzweifelt sucht das Parteienkartell von Linke bis zur Union nach Gründen für diesen Erfolg. Am liebsten finden sie Antworten in der vermeintlichen Dummheit der AfD-Wähler. Es liege an der Angst der Ostdeutschen vor Veränderung, behauptet Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD). Die AfD-Wähler müssten besser mitgenommen werden, mutmaßen andere. Beiden Erklärungsmustern liegt die Idee zugrunde, dass ein Fünftel der Deutschen einfach nur zu blöd für Linke, SPD, Grüne, FDP und Union sei. Die Arroganz der anderen ist ein Grund für den Erfolg der AfD.

Nun ist Arroganz im privaten Umgang eine unsympathische Eigenschaft. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. In der öffentlichen Debatte ist das eine gefährliche Eigenschaft. Allzumal in der Demokratie. Wer denkt, die Menschen seien einfach nur zu blöd für seine Politik, der wird sich von diesen Menschen nicht bremsen lassen. Auch wenn sie die Mehrheit stellen. Dazu passt ein Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der im Staatsfernsehen davon fabuliert, dass sich der „Klimaschutz“ in chinesischem Führungsstil besser umsetzen lasse.

Freiheit oder Sozialismus
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Einen wichtigen Unterschied gibt es tatsächlich zwischen Westdeutschen und Ostdeutschen. Nach über 70 guten Jahren halten die einen ihre Errungenschaften in Wohlstand und Freiheit für sicher, wenn nicht für unantastbar. Die Ostdeutschen sind da skeptischer. Zu viele leben noch an Saale, Elbe und Oder, die sich gut darin erinnern, wie etwas „Demokratische Republik“ heißen und Andersdenkende in Kellern foltern kann. Sie fürchten sich nicht allgemein vor Veränderungen, wie es ihnen der von ihnen bezahlte Georg Maier (SPD) unterstellt. 34 Jahre nach der selbst erkämpften Freiheit fürchten sie nur manche Veränderungen.

71 Jahre waren sich die Westdeutschen ihrer Freiheit sicher – konnten sie sich nicht vorstellen, dass sie ihnen genommen wird. Dann verkündeten eine Kanzlerin und Candy Crush spielende Ministerpräsidenten Zwangsschließungen, nächtliche Ausgangssperren und ein Verbot, sich mit der Familie zu treffen. In einer Runde, die in der Verfassung gar nicht vorgesehen ist. Ihr Nachfolger kämpfte für die Pflicht, sich einen Stoff verabreichen zu müssen, der nur schlecht getestet war und bei dem sich immer stärker Nebenwirkungen abzeichneten. Die Ruhe in der eigenen Regierung war ihm wichtig. Das eigene Machtgeprahle auch. Nicht aber die Meinung der Bürger. Die muss man halt besser mitnehmen.

In der „Pandemie“ haben Menschen den Staat kennengelernt. Politische Menschen, die wegen eines Betrugsvorwurfs länger in Untersuchungshaft saßen als mancher Kinderschänder und die in Untersuchungshaft blieben, als sich Schwerkriminelle, organisierte Verbrecher ihren Haftantritt selbst aussuchen durften. Der Staat bekämpfte diese Bürger, weil sie ihn als totalitär dargestellt haben – und bewies dabei in der Wahl seiner Mittel nicht gerade das Gegenteil.

Es traf aber auch an und für sich unpolitische Menschen. Kinder, die der Staat von Rodelschlitten ziehen ließ. Jugendliche, welche die Polizei in Wagen durch den Park gehetzt hat, in der Bereitschaft, sie niederzufahren, weil diese keine Masken getragen haben. Frauen, die Polizisten aus dem gleichen Grund härter angefasst haben, als sie sich bei „Männern“, „Männergruppen“, „Messern“, „Jugendlichen“, „Familien“ oder „Großfamilien“ trauen würden. Familien, die mit Bußgeldern überzogen wurden, weil sie Familienmitglieder zu Besuch hatten. Denunziert von einem Nachbarn, der vom Staat zur Denunziation aufgerufen worden war. Ein Staat, der Demonstrationen verbot, die sich gegen seine Politik richteten, während er Demonstrationen dann förderte, wenn sie seinen politischen Zielen entsprachen. Eine Politik, die sich anmaßt, entscheiden zu dürfen, wofür der Bürger eintreten darf. Schließlich muss er besser mitgenommen werden.

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In der „Pandemie“ haben auch unpolitische Menschen gelernt, wie schnell sie zum Außenseiter werden können. Eine falsche Forderung, eine falsche Äußerung, sich einmal nicht mitnehmen lassen – und schon steht man auf der Liste der Ausgestoßenen. Als „Coronaleugner“, „Covidiot“. „Klimaleugner“, „Sexist“, „Putin-Troll“ oder einfach nur als „Nazi“. Der Ausnahmezustand ist beendet. Doch die gesellschaftliche Repression ist zum Normalfall geworden. Wir nähern uns Habecks Idee chinesischer Verhältnisse, um besser regieren zu können für den „Klimaschutz“, gegen Covid, den Hitzetod – oder wie auch immer die Parole des Tages gerade lautet.

Diese Tage sind es die Fans von Rammstein, die eine Kampagne am eigenen Leib erfahren. In der Summe mutmaßlich sind auch sie eher unpolitische Menschen. An der ehemaligen DDR-Punkband mögen sie den soliden, harten Rock. Die spektakuläre Bühnenshow, die ihresgleichen sucht. Oder die provokanten Texte. Gerade in einer angepassten Gesellschaft kann es Spaß machen, während eines Konzerts einfach mal lauthals „Ich will fi…n“ zu grölen.

Die Kampagne gegen Rammstein beruht auf einer Anzeige in Vilnius, welche die Staatsanwaltschaft dort mittlerweile zurückgewiesen hat. Und auf einer Anzeige in Berlin, die auf den Vorwürfen in Vilnius beruht. Aber leben tut die Kampagne von Medien, Politikern und „Kulturschaffenden“, die vor Verständnis übersprudeln, wenn ein „Mann“ ein acht Jahre altes Kind vor den Zug schubst, sich ein „Mann“ mit der Axt im Zug an der Welt rächt oder ein „Messer“ Amok läuft. Die aber gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann gar nicht genug erste Steine zum Werfen finden.

Rammstein ist schon länger Feindbild der woken Linken in Deutschland. Zu hart. Zu männlich. Zu deutsch. Die ehemalige DDR-Punkband steht für alles, was Woke hassen. Fahrt nahm die Abneigung auf, als Rammstein während der Pandemie ein Konzert auf der Münchener Wiesn geben wollten – und sich die Grünen persönlich einschalteten, um das zu verhindern. Mit der selben Presse im Rücken, die jetzt die Unschuldsvemutung als so lästig darstellt, wie sie es in der Pandemie mit der Freiheit gemacht hat.

Versehentlich oder wie oder was
Merz-Wunder vor der Sommerpause: Brandmauer weg!?
Die Brandmauer ist das zentrale Instrument der Kartellparteien im Kampf gegen die AfD. CDU-Chef Friedrich Merz beschwört sie mittlerweile mit einer religiösen Inbrunst, die sonst nur ein Sterbender kurz vor dem Tod kennt. Trotzdem steigt die AfD in den Umfragen, gewinnt Landrats- und Bürgermeisteramt im Osten, wo sich die Menschen angeblich so vor Veränderungen fürchten, dass sie sich nicht mitnehmen lassen.

Die Brandmauer hatten die Kartellparteien schon hochgezogen, als die AfD noch eine Professoren-Partei war, die sich gegen Angela Merkels (CDU) Euro-Rettung gegründet hatte. Auch die noch junge Partei Bündnis Deutschland muss in Bremen jetzt erleben, wie sie durch eine Brandmauer bekämpft werden soll. Inklusive Kindischem: Dir schüttele ich nicht die Hand.

Die Berliner Mauer hieß im DDR-Jargon „Antifaschistischer Schutzwall“, weil sie den Westen davon abhalten sollte, die sozialistischen Errungenschaften zu klauen. Soweit die Idee. Es ist kein Fall bekannt, in dem ein Westdeutscher erschossen wurde, weil er über die Mauer wollte, um im Osten Bananen zu klauen. In die andere Richtung verbieten sich Witze. Weil hier Sozialisten auf Menschen schießen ließen, die sich partout nicht mitnehmen lassen wollten. Namen und Absichten sind das eine, was aus der Idee wird, das andere.

Die Brandmauer soll die AfD ausgrenzen. Sie von Ressourcen fernhalten. Während sich die Kartellparteien zunehmend neue Posten schaffen, etwa als Sonderbeauftragte, halten sie die AfD von Ämtern weg, die ihr zustehen – etwa denen des Vizepräsidenten in Parlamenten. Auch aus Gremien wie den Rundfunkräten des Staatsfunks soll die Partei rausgehalten werden. Im Kampf gegen Rechts. So die Idee. Zur Sicherung der eigenen Pfründe, so das Ergebnis der Kartellparteien.

Ausgrenzen ist das Ziel der Brandmauer. Doch das funktioniert immer weniger. Nicht, weil sich die AfD geändert hätte. Ihr Thüringer Fraktionschef Björn Höcke ist zum Beispiel durchaus ein Mann, der gute Gründe liefert, ihn politisch abzulehnen – man kann das auch bekämpfen nennen. Sondern weil das Instrument an sich nicht mehr funktioniert. Aus „Solidarität“.

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Es ist keine ideologische „Solidarität“, wie sie früher etwa in der Arbeiterbewegung verbreitet war. Es ist oft genug nicht einmal eine inhaltliche „Solidarität“. Es ist eine „Solidarität“ des Interesses. Sie entsteht aus der Beobachtung: Was die denen antun, könnte mir auch passieren. Es ist jenes Gefühl, an das Pastor Martin Niemöller in seinem berühmten Gedicht „Als sie die Kommunisten holten …“ appellierte.

In der „Pandemie“ haben die Menschen gesehen, wie schnell es einen selbst treffen kann. Wie aus Nena eine rechte Gefahr wird. Eine Staatsfeindin. Wie die Hetzer des Staatsfunks, etwa Jan Böhmermann, öffentlich proklamieren dürfen, dass Stimmen wie die des Virologen Hendrik Streeck nicht mehr gehört werden sollen. Wie Gegner des Staates länger in Untersuchungshaft verschwinden, als manche Kinderschänder für ihre Tat büßen. Das hat auch nicht betroffene Menschen sensibilisiert.

Neben den schlechten Ergebnissen der Ampel ist diese Sensibilisierung, ist diese „Solidarität“ des Interesses ein Grund für den Aufstieg der AfD. Die Brandmauer wird immer weniger als legitimes Mittel im „Kampf gegen Rechts“ gesehen, sondern als Instrument, das eine Gruppe, die über sämtliche Machtmittel verfügt, zum Erhalt eben dieser Machtmittel einsetzt. Ein Mittel, das Sänger und Sängerinnen ebenso treffen kann wie Demonstranten oder rodelnde Kinder. Ob das noch das Mittel ihrer Wahl ist, sollten sich Linke, SPD, Grüne, FDP und Union in einer Demokratie gut überlegen. Wobei Robert Habeck ja schon mal einen Fuß in den Pool gehalten hat, in den er vielleicht einsteigen will.

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