Tichys Einblick
Sinkende Zustimmung auch inhouse

Scholz hat die SPD im Nacken

Die Sozialdemokraten hadern mit ihrem Kanzler. Die Umfragewerte sind so schlecht, dass Olaf Scholz mit rasant wachsender Kritik aus den eigenen Reihen konfrontiert ist. Sein empathiefreier Führungsstil verprellt mittlerweile auch die eigenen Anhänger. Und Boris Pistorius schweigt sich schon mal warm.

IMAGO
„Der Kanzler wird sich zurückkämpfen in diesem Jahr.“ SPD-Chef Lars Klingbeil sagt, was man als SPD-Chef halt so sagt, wenn die Gefechtslage schlecht ist und die eigenen Fußtruppen unruhig werden. Auf gerade noch 13 Prozent bringen es die Sozialdemokraten in der jüngsten INSA-Umfrage. Der Partei, die den Regierungschef im viertgrößten Industriestaat der Welt stellt, gehen die Wähler in Scharen von der Fahne.

Kanzlerbonus nannten die Meinungsforscher früher den Effekt, der einer Partei Stimmen bescherte – einfach nur deshalb, weil ihr Mann das Bundeskabinett anführt. Mit Olaf Scholz ist für die SPD daraus ein Kanzlermalus geworden. Es kommt deshalb nicht völlig überraschend, dass derzeit recht viele Sozialdemokraten von Kanzlerdämmerung sprechen.

„Die Menschen wollen Orientierung in einer immer komplexeren Welt. Diese Orientierung muss der Kanzler geben.“ So wird Olaf Scholz öffentlich von Matthias Miersch angezählt. Einer breiteren Öffentlichkeit dürfte der Mann unbekannt sein, im sozialdemokratischen Kosmos ist er aber eine Hausnummer: stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Bundestag, Mitglied im Parteivorstand – und vor allem Sprecher der einflussreichen Parlamentarischen Linken (PL) in der SPD.

Wie das so ist in der Politik: Nicht die Proteste auf den Straßen, sondern die Zirkel in den Hinterzimmern werden für den Machterhalt des Olaf Scholz zunehmend bedrohlich – vor allem, weil sich mittlerweile Hinz und Kunz trauen, den Kanzler unverblümt öffentlich anzuschießen:

  • „Bei den Menschen vor Ort erntet die Ampel nur noch Kopfschütteln“, sagt der Hannoveraner Regionspräsident Steffen Krach.
  • „Die gefährliche Abwärtsdynamik zu durchbrechen, kann am Ende nur dem Kanzler gelingen“, sagt Juso-Chef Philipp Türmer.
  • „In Krisen braucht eine Gesellschaft einen Kanzler, der eine Richtung vorgibt und Vertrauen in die Regierung schafft. Das gelingt Herrn Scholz nur selten“, sagt Kevin Hönicke, Vorstandsmitglied der SPD Berlin.

Hinter nur noch notdürftig vorgehaltener Hand schimpfen mittlerweile selbst Sozis aus der ersten Reihe – die auch nach sozialdemokratischem Selbstverständnis eigentlich zur Loyalität verpflichtet sind – über ihren Vormann. „Die Dramatik der Lage kommt im Kanzleramt am wenigsten an“, sagt einer. Scholz flüchte sich in „Schönfärberei“, klagt ein anderer. Nach den Wahlen in Sachsen und Thüringen am 1. September müsse er befürchten, „infrage gestellt zu werden“.

Auch handwerkliche Fehler werden Scholz und seinen Leuten angekreidet. Das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts hat Zweifel am bisher wichtigsten Pfund des Kanzlers genährt: seiner Sachkompetenz. Und über die Kürzungspläne für die Bauern – die dann zu den größten Protesten der deutschen Nachkriegsgeschichte führten – schüttelt man in der SPD-Bundestagsfraktion entgeistert den Kopf: „Wie kann man wegen eines so läppischen Betrags die gesamte Landwirtschaft gegen sich aufbringen?“

Zunehmend kritisch beäugt wird auch das Scholz-Team. Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt werden viele handwerkliche Fehler angelastet. Seine Hauptaufgabe, Gesetze akribisch vorzubereiten und Fehler vorab zu entfernen, erfülle er nicht. Außerdem stimme er sich viel zu wenig mit der Fraktion ab. In SPD-Kreisen wird der Schmäh kolportiert, Scholz habe mit Schmidt, seinem Wirtschaftsberater Jörg Kukies und seinem Sprecher Steffen Hebestreit eine „Boygroup um sich versammelt, die ihn noch toller findet als er sich selbst“.

Nun haben es SPD-Kanzler traditionell nicht leicht mit ihrem eigenen Laden. Willy Brandt war von den ständigen internen Scharmützeln mit seinem Bundestags-Fraktionsvorsitzenden (und Parteilinken) Herbert Wehner so geschwächt, dass er über die Affäre um den DDR-Spion Günter Guillaume stürzte. Helmut Schmidt wurde entgegen der Legende nicht von der FDP aus dem Amt gejagt, sondern maßgeblich von der eigenen Parteilinken, die ihm den NATO-Doppelbeschluss nicht verzeihen wollte. Und Gerhard Schröder konnte sich nach seiner „Agenda 2010“ – wieder gegen die eigene Parteilinke – auch nur halten, weil er Neuwahlen ansetzte (die ihn dann letztlich doch noch aus dem Amt spülten).

Gerade deshalb ist der laute Unmut aus der Partei ein ernstes Alarmzeichen. Und allein im vergangenen Jahr sind satte 15.000 Menschen aus der SPD ausgetreten. Die Partei hat jetzt noch etwa 365.000 Mitglieder. Nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 waren es fast eine Million.

Doch dass Scholz deswegen an seiner Politik, an seiner Kommunikation oder gar an sich selbst irgendetwas ändert, glauben weder Freund noch Feind. Kürzlich traf sich der Kanzler zu einer dreistündigen Aussprache mit der SPD-Bundestagsfraktion. Die Unterredung hat das Verhältnis aber nicht verbessert, eher im Gegenteil. Frustriert resümiert ein Teilnehmer, im Kanzleramt scheine man weder Umfragen noch Bauernproteste wahrnehmen zu wollen.

Offenbar erliege Scholz dem Irrtum, er habe die letzte Bundestagswahl gewonnen, sagt ein alter SPD-Strippenzieher. In Wahrheit aber habe der CDU-Kandidat Armin Laschet durch seine desaströsen Auftritte die Wahl verloren. Scholz sei praktisch ohne eigenes Zutun Kanzler geworden. Jetzt wolle er allem Anschein nach ohne eigenes Zutun Kanzler bleiben. Das werde schiefgehen.

Bekanntermaßen ist Olaf Scholz stur. Druck will er aus Prinzip nicht nachgeben – erst recht nicht in Personalfragen. Vor allem deshalb ist eine derart schwache Figur wie Nancy Faeser noch Innenministerin. Vor allem deshalb hielt der Kanzler quälend lange an der heillos überforderten Verteidigungsministerin Christine Lambrecht fest.

Deren Nachfolger Boris Pistorius macht seit seinem Amtsantritt eine gute Figur. Machtpolitisch hat sich für den Kanzler der Wechsel im Verteidigungsministerium also nicht gelohnt. Eine schwache (und deshalb ihm ergebene) Ministerin ist weg, stattdessen hat er sich nicht nur einen starken Minister eingehandelt, sondern sogar einen potenziellen Konkurrenten: Schon bringen nämlich Scholz-Kritiker den neuen Verteidigungsminister als Reservekanzler ins Spiel.

Pistorius selbst schweigt zu all dem. Alles andere wäre auch ausnehmend unklug: Derzeit läuft es ja sowieso in seine Richtung, da kann jeder zur Schau getragene Ehrgeiz nur schaden.

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