Tichys Einblick
Halbzeitbilanz

Olaf Scholz hat‘s gerne bequem

Der Haushalt steht, die Ampel geht nun ihrer Halbzeit entgegen. Die Erwartungen an die erste Amtszeit von Kanzler Olaf Scholz waren schon nicht hoch – er hat sie trotzdem locker unterboten.

IMAGO/photothek
Annalena Baerbock (Grüne) und Armin Laschet (CDU) sind als Kanzlerkandidaten mit dem Ziel angetreten, Dinge in ihrem Sinn zu verändern. Olaf Scholz (SPD) nicht. Er kandidierte als Vizekanzler von Angela Merkel (CDU). Die eigentliche Botschaft hinter nichtssagenden Slogans wie „Respekt für Dich“ lautete: Alles ist gut, alles soll so bleiben, wählt mich, mit mir verändert sich nichts. Diese Strategie hat funktioniert. Sie hat einen scheinbar aussichtslosen Kandidaten ins Kanzleramt gebracht.

Nur war der Preis dafür recht hoch. Scholz wurde mit dem unterschwelligen Versprechen gewählt, die Merkel-Ära fortzusetzen. Begleitet von einer Medienlandschaft, die 16 Jahre lang diese Ära unkritisch gesehen und entsprechend abgefeiert hat. Die Merkel als „Führerin der freien Welt“ gepriesen und prognostiziert hat, man werde sie einst vermissen – und die angesichts Merkels Politik der offenen Grenzen sogar mit dem Friedensnobelpreis für „Mutti“ gerechnet hat.

Nun musste von einer Sekunde auf die andere umgeschaltet werden. Olaf Scholz, der auf dem Merkel-Ticket Kanzler wurde, musste sagen, dass die Jahre unter der Kanzlerin so verheerend waren, dass seine Politik lange keine Erfolge zeigen werde – ja, gar keine Erfolge zeigen könne. Journalisten, die Merkel 16 Jahre gefeiert und gehuldigt haben, mussten sie auf einen Schlag verdammen. Ausdruck dieses Zwiespalts war eine Dokumentation der ARD, die diese aus dem Programm nehmen musste. Sie war so unkritisch, dass sie unter einem Kanzler Scholz nicht mehr vorzeigbar war.

Das Problem nur: Einen derartigen Twist konnten viele Bürger nicht nachvollziehen. Manche wollten auch nicht. In einer Sekunde von „Alles ist super und soll so bleiben – am besten für immer“ zu „Die Lage ist katastrophal, wir dürfen keinen Stein auf dem anderen lassen“. So gibt es in Deutschland ein breites Spektrum von Bewusstseins-Zuständen, die genau zwischen diesen beiden Extremen schwanken. Scholz‘ größtes Problem: Es gibt zwar sehr viele unterschiedliche Zustände des Bewusstseins über die Lage der Nation – aber in nur sehr wenigen davon wird er als der Mann gesehen, unter dem die Lage besser werde.

Das menschliche Leid an dieser Stelle ausgeblendet: Der Ukraine-Krieg war ein Glücksfall für Olaf Scholz. Der gab ihm den Vorwand, mit seiner ehemaligen Chefin brechen zu können. Half ihm, den Spagat von „Wählt mich, ich bin wie Merkel“ zu „Merkel war furchtbar“ hinzukriegen. Probleme, wie die deutschen Rekord-Strompreise, die verpfuschte Energiewende oder die galoppierende Inflation waren zwar schon vorher da – unter dem Finanzminister Olaf Scholz. Doch nun ließ sich behaupten, das rühre alles vom Krieg her. Der Großteil der deutschen Medien war unkritisch und folgsam genug, diese Erzählung zu übernehmen. Scholz sah die Chance und schien sie zu nutzen, als er das Wort von der „Zeitenwende“ prägte. In der Rede nach Kriegsbeginn – bis heute seine beste Rede.

Doch danach vergab Scholz die Chance. Er wurde wieder der Vizekanzler, der seine Chefin beerbt hat. Unbequeme Dinge packte er nicht an, ließ sie laufen, wie sie liefen. Zeitenwende hin oder her:

  • Der Atomausstieg. Angesichts eines Gas-Lieferanten, der einen Angriffskrieg vom Zaun gebrochen hat, hätte der Ausstieg überdacht werden können und müssen. Doch Scholz wollte sich nicht mit seinem grünem Koalitionspartner anlegen.
  • Eine Wirtschaft, die angesichts wegbrechender Handelspartner bessere Bedingungen gebraucht hat. Er hätte sie liefern können. Doch Scholz wollte seinen Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nicht bloßstellen und ließ zu, dass er Reformen im Gesundheitswesen unterließ und über die Kranken- und Pflegeversicherung Arbeit weiter verteuert hat.
  • Scholz‘ Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) geht weit über die EU-Verordnung hinaus und zwingt Arbeitgeber, die Arbeitszeiten ihrer Belegschaft auf die Minute zu dokumentieren und die Dokumentation per Hand unterschrieben einzureichen.
  • Angesichts des früheren „Fachkräftemangels“, der längst zu einem „Arbeitskräftemangel“ ausgewachsen ist, hätte Scholz die motivieren können, zu arbeiten, die es bisher nicht tun. Stattdessen hat die Ampel die Zuwendungen für Langzeitarbeitslose innerhalb eines Jahres um 25 Prozent erhöht – seitdem steigt die Zahl der Empfänger.
  • In keiner anderen Industrienation ist die Teilzeit so verbreitet wie in Deutschland. Auch weil die Steuer umso härter zuschlägt, je länger man arbeitet. Bestrebungen, das zu ändern unter Olaf Scholz: Null Komma Null.
  • Angesichts der Flüchtlinge aus der Ukraine hätte Scholz darauf drängen können, illegale Einwanderung aus anderen Nationen endlich zu unterbinden. Doch seine Innenministerin Nancy Faeser (SPD) unternahm seither nichts oder das Gegenteil. Migranten, die in anderen EU-Ländern bereits abgewiesen wurden, können nach wie vor nach Deutschland einreisen – egal, welches Vorstrafenregister sie mitbringen.

Am anschaulichsten hat sich Scholz‘ Führungsstil in der Verlängerung der Coronapolitik gezeigt: Damit sein Gesundheitsminister das Gesicht nicht verliert, musste es weiterhin eine Maskenpflicht in Zügen geben. Damit der Koalitionspartner FDP etwas vorweisen kann, musste die Maskenpflicht in Flugzeugen abgeschafft werden. So versuchte eine Regierung, die sich drei Jahre auf „Die Wissenschaft“ berufen hat, ihren Bürgern erklären, dass der Virus in der Bahn zuschlage, aber Flugreisende verschone. Dass die Eingriffe in die Bürgerrechte tatsächlich der Gesundheitsprävention dienen, konnte spätestens da keiner mehr glauben. Doch wenn Scholz sich entscheiden muss zwischen dem Vertrauen in den Staat und der eigenen Bequemlichkeit, dann ordert er noch ein zusätzliches Kissen. Der Herr hat es gerne bequem. Lauterbach war zufrieden, die FDP auch – das reicht Scholz.

Dazu passt das Desaster um die allgemeine Impfpflicht. Scholz wollte sie. Obwohl sich bereits die Berichte über Impfschäden mehrten. Seine Koalitionspartner dazu zwingen wollte der Kanzler aber auch nicht. Also warb er für eine allgemeine Impfpflicht, stand mit seinem Namen dafür – und musste zusehen, wie sie der Bundestag abgelehnt hat. Darauf erklärte Scholz im Fernsehen, die Impfpflicht sei damit vom Tisch. Lauterbach erklärte danach, er werde einen weiteren Anlauf nehmen – Respekt vorm Chef sieht anders aus.

Wie Angela Merkel zuvor hat Olaf Scholz ein Land übernommen, das sich ihn als Kanzler leisten konnte. Anfangs. Einen Sozialdemokraten, der meinte Probleme mit Geld zuschütten zu können: eine unzufriedene Bevölkerung etwa? 30 Milliarden Euro Entlastungspaket. Zack. Die Bundeswehr nicht verteidigungsfähig? 100 Milliarden Euro „Sondervermögen“. Zack. Die Bürger sind immer noch unzufrieden? Nochmal 30 Milliarden Euro Entlastungspaket. Zack. Der Koalitionspartner motzt, es werde zu wenig für den Klimaschutz getan? 60 Milliarden Euro Transformationsfonds. Zack. Die Bürger können sich die fehlgeleitete Energiepolitik der Ampel nicht mehr leisten? 200 Milliarden Euro Doppelwumms. Zack.

Scholz ist in der ersten Hälfte seiner Amtszeit mit Geld so umgegangen, wie eine 16 Jahre alte Milliardärstochter, die an die Kreditkarte ihres Papas gekommen ist. Nun sagt er: Deutschland könne sich keine wahllos gestreuten Investitionen in dieser Größenordnung mehr leisten. Scholz sagt das. Der Mann, der selbst zwei Jahre lang genauso gehandelt hat. Der Kanzler stellt sich sein Zeugnis damit selbst aus: Das Land kann sich seine Politik nicht mehr leisten. Das Land kann sich einen Kanzler Olaf Scholz nicht mehr leisten.

Wenn Scholz nun zum Beginn der zweiten Hälfte einen „Deutschlandpakt“ ausruft, ist das Verzweiflung. Eine letzte PR-Patrone. Mal beiseitegelassen, dass den historischen „Deutschlandpakt“ die NPD und die DVU geschlossen haben. Alle zusammen sollen nun verantworten, was der Kanzler alleine nicht hinbekommt: echte Reformen. Wirksame Reformen – die unbequem sind. Die Arbeit und die Verantwortung für die anderen, das Amt für Olaf Scholz. Er hat’s gerne bequem.

Bisher sieht die Politik Scholz so aus: alles zulassen, was die Partner wollen, damit er es selbst schön bequem hat. Die Grünen wollen höhere CO2-Steuern auf Strom? Kriegen sie. Die Grünen wollen aber auch Subventionen auf den Strompreis? Kriegen sie auch. Wer jetzt einwendet: Es bringt nichts, wenn der Staat an der einen Stelle Geld einnimmt, um es an der gleichen wieder auszugeben, weil dabei massenhaft Geld in der Verwaltung verdunstet, der hat Scholz nicht verstanden: Der Koalitionspartner ist zufrieden, die Verwaltung ist zufrieden – also alle, die ihn umgeben. Das ist Scholz wichtig. Wie’s dem Land geht, ist da zweitrangig.

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