Tichys Einblick
Trotz 100-Milliarden-Sonderschulden-Paket

Erste Projekte gestrichen: Es geht nichts voran in der Bundeswehr

Bundeskanzler Olaf Scholz marschiert verbal voran, wenn es um die Stärkung der Bundeswehr geht, aber seine überforderte Ministerin Christine Lambrecht kommt nicht hinterher.

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht und SPD-Chefin Saskia Esken mit einem Soldaten des KSK und seinem Spürhund, 24.10.2022

IMAGO / Björn Trotzki
Ist der angeblich ach so hanseatisch nüchterne Bundeskanzler doch nur ein „Wumms“-Sprücheklopfer? Hier 100 Milliarden für die Bundeswehr, dort 200 Milliarden für die Abminderung der Energiekrise. Hier qua Richtlinienkompetenz – von den Medien zum Machtwort hochgejubelt – eine Laufzeitverlängerung für drei AKWs ganze 105 (in Worten: einhundertfünf) Tage. Dort die Vision einer Erweiterung der EU von 27 auf 36. Hier eine „Zeitenwende“-Rede vom 27. Februar 2022 – drei Tage nach Putins Einfall in die Ukraine – mit der Ankündigung, die Bundeswehr zur „am besten ausgestatteten Streitkraft in Europa“ zu machen. Verdrängend dabei, dass es in Europa drei Atommächte gibt, zu denen Deutschland nicht gehört. Nämlich Russland, Großbritannien und Frankreich. Dann auch noch – angeblich am 29. August 2022 von Scholz in Prag eingefädelt – ein Vorschlag eines Raketenschutzschirms über Europa.

Derweil lässt der Kanzler seine Minister eifrig am Umbau Deutschlands zu einer „woken“, queeren, bekifften Ökodiktatur basteln: siehe die Gesetzesvorhaben zum „Selbstbestimmungsgesetz“, zur Freigabe von Cannabis, zum neuen Staatsangehörigkeits- und Aufenthaltsrecht usw.

Aber das ist ein anderes Thema. Jetzt gibt Kanzler Olaf Scholz (SPD) erst mal den militär- und sicherheitspolitischen Macher. Klar, vielleicht erinnert er sich daran, dass er im Verteidigungsfall laut Grundgesetz Artikel 115b Oberbefehlshaber der Bundeswehr wäre. Allerdings hätte er für den hoffentlich nicht eintretenden Fall, dass er Oberbefehlshaber wäre, im Dezember 2021 eine andere „Fachkraft“ zur Verteidigungsministerin machen müssen und nicht eine Christine Lambrecht (SPD), die von Bundeswehr so viel verstand wie eine Ursula von der Leyen (CDU). Aber in dieser Hinsicht hat Scholz ja ein Vorbild: Merkel, die anders als nun ostentativ Scholz 16 Jahre lang mit der Bundeswehr fremdelte.

Scholz’ Zeitenwende in Gefahr – Erste Streichlisten

Scholz will (wollte?) die Bundeswehr also zur „am besten ausgestatteten Streitkraft in Europa“ machen. Alle anderen Aufgaben hätten sich der Priorität einer funktionierenden Landes- und Bündnisverteidigung unterzuordnen, erklärte Scholz jüngst am 15./16. September auf einer Führungskräftetagung in Berlin: „Das ist mein Anspruch als Bundeskanzler. Daran können Sie mich messen.“

Aber es geht nur im Schneckentempo voran. Anschaulich zu besichtigen war das soeben am 26. Oktober, als die Arbeitsgruppe „Sondervermögen“ zusammenkam und ein erstes „Streichkonzert“ veranstaltete. Anlass: Der Bundesrechnungshof hatte massiv Einsprüche erhoben. Die Pläne Lambrechts müssten „grundlegend“ überarbeitet werden.

Aber: wo streichen, wo kürzen? Beim neuen F-35-Kampfjet, der in den USA gekauft werden soll? Oder bei der nächsten Tranche des Eurofighters? Das Heer wird jedenfalls vorerst keinen Nachfolger für den Transportpanzer „Fuchs“ bekommen. Verzichten muss vor allem die Marine:

  • Die Option für das fünfte und sechste Schiff der neuen Fregatte F-126 wird vorerst nicht gezogen.
  • Die bisher vorgesehenen 2,4 Milliarden Euro für den Ersatz der Korvette 130 der ersten Generation werden auf null zusammengestrichen.
  • Das neue Laser-Schutzsystem, mit dem sich U-Boote gegen Bedrohung durch Flugzeuge oder Hubschrauber wehren sollen, wird zwar weiterentwickelt, aber vorerst nicht beschafft.
  • Statt zwölf Flugzeugen sollen nun auch nur noch acht Seefernaufklärer vom Typ P-8 Poseidon gekauft werden. Das Programm wird um 1,9 Milliarden auf 1,2 Milliarden Euro zusammengestrichen.

Für das laufende Jahr jedenfalls wird der Etat des Verteidigungsministeriums von rund 45 auf 50,3 Milliarden Euro erhöht. Zum Nato-„Zwei-Prozent-Ziel“ fehlen aber immer noch gut 20 Milliarden. Und woher kommen die 20 Milliarden? Sie kommen also doch aus den 100 Milliarden. So wird es weitergehen, bis die 100 Milliarden im Jahr 2025 aufgebraucht sind. Und dann? Dann sind keine weiteren 100 Sonder-Milliarden in Sicht, und der Bundestag muss für die Bundeswehr ohne Rückgriff auf ein Sondervermögen (vulgo: Sonderschulden) die für zwei Prozent notwendigen 75 bis 80 Milliarden Jahres-Etat für die Bundeswehr schultern. Eines ist zudem jetzt schon klar: Teuerungsraten und Inflation fressen jetzt schon einen erheblichen Teil der 100 Milliarden auf. 

Das war einmal geplant

Die folgenden Anschaffungen sollten – Stand: Frühsommer 2022 – erfolgen:

  • Ein großer „Brocken“ sind die überfälligen Ausgaben für eine hinreichende Munitions- und Ersatzteilbevorratung; hier geht es um 20 Milliarden. Denn: Die Bundeswehr hat für den Verteidigungsfall nur für zwei Tage Munition!
  • Für eine hinreichende Schutzausrüstung (Helme, Westen, Nachtsichtgeräte) sind 10 Milliarden zu veranschlagen.
  • Für 35 Stück des US-Kampfjets F-35A (Stückpreis je rund 100 Millionen) sind 3,5 Milliarden zu veranschlagen. 
  • 60 Stück des CH-47 Chinook Transporthubschrauber sollen angeschafft werden und sind schon bestellt. Kostenpunkt: circa 6 Milliarden Euro.
  • 15 atomwaffenfähige Eurofighter sollen neu für ECR (Electronic Combat and Reconnaissance = Bekämpfung von Radarsystemen) angeschafft werden. Auch hier geht es vermutlich um einen 2- bis 3-Milliarden-Betrag.
  • Kostspielig ist und bleibt das deutsch-französisch-spanische Kampfjetprojekt FCAS (Future Combat Air System). Hier handelt es sich um einen Kampfflieger, der 2040 (!) einsatzfähig sein soll.
  • Fünf gewünschte neue Korvetten K130 schlagen mit 2 Milliarden zu Buche. Notwendig wären zur Sicherung von Nord- und Ostsee zwei weitere U-Boote für rund 1,5 Milliarden.
  • 4 neue Tanker für die Marine kosten 2 Milliarden.
  • Laut „Ampel“-Koalitionsvertrag sollen Drohnen angeschafft werden. 
  • Die überfällige Digitalisierung der Kommunikationssysteme kostet 3 Milliarden.
  • Noch keineswegs mitkalkuliert sind die Kosten, die für neue Kasernen (die Bundeswehr soll um 20.000 Mann wachsen) und für die Renovierung von Kasernen zu veranschlagen sind. Auch hier geht es wohl um zweistellige Milliardenbeträge.
  • Ebenfalls einzukalkulieren wäre der bis 2025 geplante Aufwuchs der Bundeswehr von einer Personalstärke von 183.000 auf 203.000. Hier geht es bestimmt auch um 3 Milliarden (jährlich!).

Unbeantwortet bleibt zudem die Frage, wie sich Deutschland zukünftig gegen eine Form von Krieg rüsten will, der längst die herkömmlichen „Kriege zu Land, Wasser und Luft“ überschritten hat. Stichwort: Cyber-Krieg.

Das Problem ist das Beschaffungswesen

Ein großes Problem harrt immer noch der praktischen Lösung, auch wenn der Bundestag am 7. Juli ein Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz (BwBBG) verabschiedet hat: Die Bundeswehr leidet seit Jahren unter einem aufgeblähten und lahmen Beschaffungswesen. Zuständig für das Beschaffungswesen ist eine Monsterbehörde mit dem Namen „Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr“ (BAAINBw). Das BAAINBw ist verantwortlich für die Ausstattung der Bundeswehr mit Technik, Gerätschaften und Ausrüstungsartikeln – sozusagen vom Klopapier bis zum Kampfjet.

Kritiker sagen, das BAAINBw arbeite ineffektiv, es sei der Inbegriff deutscher Bürokratie. Geleitet wird die Behörde von einer „zivilen“ Präsidentin, von einer „zivilen“ Vizepräsidentin und einem Militär-Vizepräsidenten im Range eines Generalmajors. 10 Stabsstellen und 10 Abteilungen gibt es. Dienststellen sitzen außer in der Zentrale in Koblenz an 116 Dienstorten.

Zur Ehrenrettung des BAAINBw muss man aber auch sagen, dass es die Politik und die Truppe selbst dem Amt nicht immer leicht macht. Denn kaum ist ein Auftrag einmal erteilt, werden immer neue Anforderungen nachgeschoben, wie ein Hubschrauber, Schiff oder Flugzeug ausgestattet und gestaltet sein muss (Stichwort: „Goldrandlösungen“). Außerdem tut sich das Amt schwer, das notwenige Fachpersonal anzuwerben. Mehrere hundert Dienstposten sind unbesetzt, weil es vor allem an Ingenieuren, Juristen und Ökonomen fehlt.

Es ist jedenfalls eine Herkulesarbeit, die die Politik und die Spitze des Verteidigungsministeriums vor sich haben. Implizit stellt sich damit aber auch die Frage, ob die Spitze des Verteidigungsministeriums richtig besetzt ist.

F-35 Kampfjet, CH-47 Chinook Transporthubschrauber, U-Boot-Jäger P-8A Poseidon: alles schnell verfügbar, weil im Ausland eingekauft. Aber: Über aller Eile, mit der solche Einkäufe getätigt werden, bleiben nötige Reformen des maroden Beschaffungswesens aus. Denn: „Wer im fremden Regal einkauft, anstatt zu entwickeln, der lässt die heimische Industrie verkümmern“, heißt es aus der Branche.