Tichys Einblick
Neue WHO-Daten:

Psychische Erkrankungen durch Corona stark zugenommen

Die Lockdown-Maßnahmen waren weitgehend ineffektiv, haben aber Verheerendes für die mentale Gesundheit der Menschen angerichtet. Weltweit sei die Anzahl an Depressionen und Angststörungen allein 2020 um 25 Prozent gestiegen, meldet die WHO. Daten aus Deutschland unterstreichen diese Entwicklung.

Symbolbild

IMAGO / Bihlmayerfotografie

Seit Beginn der Corona-Maßnahmen und der damit verbundenen sozialen Isolation haben immer mehr Studien und Untersuchungen gezeigt, welchen fatalen Einfluss die politisch verordnete Einsamkeit auf den Zuwachs von psychischen Krankheiten hat. Die Lockdowns haben in Deutschland zu einem Zuwachs an Depressionen, Angstzuständen, Essstörungen, von selbstverletzendem Verhalten und sogar von Suizidversuchen geführt – und das in allen Altersschichten: bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Nun zeigen neue Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO), wie massiv der Anstieg allein im ersten Pandemie-Jahr war: Die Zahl der Depressionen und Angststörungen ist im Jahr 2020 weltweit um 25 Prozent gestiegen.

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Diese Daten gehen aus dem neuen WHO-Bericht über die mentale Gesundheit der Weltbevölkerung hervor. Schon 2019, vor Beginn der Pandemie, mussten demnach fast eine Milliarde Menschen weltweit mit einer psychischen Krankheit leben – das heißt, fast jeder achte Mensch war betroffen. Die WHO definiert eine psychische Krankheit dabei als „bedeutsame Störung der Wahrnehmung, der Emotionsregulation oder des Verhaltens einer Person, die in der Regel mit Stress oder Beeinträchtigungen in wichtigen Funktionsbereichen verbunden ist“. In Deutschland ist laut der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) innerhalb eines Jahres mehr als jeder vierte Erwachsene von einer solchen psychischen Störung betroffen. Die knapp 18 Millionen Erkrankten leiden laut der Fachgesellschaft vor allem unter Angststörungen, Depressionen und Störungen durch Alkohol- oder Medikamentengebrauch.

Nach WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus geht die psychische Gesundheit „mit körperlicher Gesundheit Hand in Hand“ – „Investitionen in die psychische Gesundheit sind Investitionen in ein besseres Leben und eine bessere Zukunft für alle“. Doch genau daran habe es nicht erst seit Beginn der Corona-Pandemie gehapert. Laut WHO wird die mentale Gesundheit seit Jahrzehnten vernachlässigt. Deshalb müssten nun alle Länder mehr tun, um den Betroffenen zu helfen. Als einige der wichtigsten Ursachen für Depressionen nennt die Gesundheitsorganisation etwa sexuellen Missbrauch, Mobbing oder Schikane im Kindesalter – hierbei müsste man aktiv durch soziale Dienste, Unterstützung der Familien mit Problemen sowie durch Programme für soziales und emotionales Lernen in Schulen entgegenwirken.

Und, auch wenn es in dem Bericht nicht explizit erwähnt wird: Solche Hilfemaßnahmen sind nur möglich, wenn die entsprechenden Einrichtungen auch geöffnet sind – während der Corona-Pandemie waren neben den Schulen aber selbst dringend benötigte Jugendhilfeeinrichtungen über lange Zeit geschlossen oder mussten aufgrund von Kontaktbeschränkungen eine Triage an ihren jungen Patienten durchführen – das heißt, sie hatten mehr Anwärter, als sie aufnehmen durften, und mussten deshalb entscheiden, welches Not leidende Kind am dringendsten Hilfe benötigt.

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Im Kinder- und Jugendhaus „Bolle“ in Berlin-Marzahn zum Beispiel konnten vor Corona täglich bis zu 120 Hilfebedürftige ihrem Familienalltag entfliehen, die Probleme etwas vergessen und mit den anderen Kindern toben, kicken oder bei der Hausaufgabenhilfe mitmachen. Im Mai 2021 waren es dann plötzlich nur noch 50 Kinder im Schichtsystem, aufgeteilt in Fünfergruppen. Vivian Rosen vom zugehörigen Verein Straßenkinder e. V. sagte damals: „Wir mussten täglich neu entscheiden, welche Kinder und Jugendlichen den größten Betreuungsbedarf haben. Eine Art soziale Triage, denn Bedarf haben sie alle.“

Unabhängig von den Corona-Maßnahmen und ihren Folgen sei das Risiko psychischer Krankheiten laut WHO in allen Ländern bei den ärmsten Menschen am größten – sie seien auch die, die gleichzeitig am seltensten behandelt würden. Insgesamt würde aber auch in den entwickelten Ländern nur ein Drittel der depressiven Menschen von Fachkräften behandelt. Was zumindest in Deutschland zu großen Teilen daran liegt, dass die benötigten Behandlungskapazitäten fehlen – das heißt, es gibt nicht annähernd genug Psychotherapie-Plätze für die vielen psychisch schwer angeschlagenen und kranken Menschen. Schon vor Corona mussten viele Patienten Monate warten, bevor sie endlich eine Behandlung beginnen konnten. Ein für die Patienten unzumutbarer Zustand, der sich durch den coronabedingten Anstieg der Fallzahlen in den letzten Jahren weiter verschlimmerte.

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Laut einer Befragung der Universität Leipzig aus dem Jahr 2021 haben sich die Wartezeiten bei Kinder- und Jugendpsychotherapeuten während Corona fast verdoppelt: Vorher betrug die Wartezeit auf einen Therapieplatz im Mittel 14 Wochen, während der Corona-Pandemie waren es durchschnittlich 25 Wochen. In Kinder- und Jugendpsychiatrien kam es zwischenzeitlich sogar zu einer Triage – das heißt: Wer nicht akut suizidgefährdet war, wurde überhaupt nicht mehr aufgenommen. Mehrere Kliniken mussten Patienten früher entlassen und Matratzen auf den Boden legen, weil sie der Zahl der Notfälle anders nicht mehr Herr wurden (TE berichtete).

Eine rbb24-Datenrecherche zeigte im Mai 2022 außerdem, dass die Wartezeiten generell höher sind, als von den Krankenkassen angegeben. Das lange Warten auf einen Psychotherapieplatz sei demnach nicht die Ausnahme, sondern die Regel – mehr als 50 Prozent der Patienten warten mehr als vier Monate nach dem ersten Kontakt auf eine psychotherapeutische Behandlung. Nach meinen eigenen Erfahrungen gibt es sogar Leute, die mehrere Jahre nach einem Platz suchen – die irgendwann aufgeben, weil ihnen krankheitsbedingt die Kraft fehlt weiterzumachen.

Der Anstieg der psychischen Krankheiten im Zuge der Corona-Pandemie ist vor diesem Hintergrund besonders verheerend. Die Corona-Maßnahmen müssen beerdigt werden – und das auch bleiben. Wir brauchen offene Schulen, Universitäten, Arbeitsplätze und Hilfeeinrichtungen. Gerade Kinder sind für eine normale Entwicklung dringend auf einen stabilen Tagesrhytmus, soziale Kontakte und Möglichkeiten, sich auszuprobieren, angewiesen. Sie brauchen Mimik, Gestik und körperliche Zuwendung. All das darf nicht länger oder wieder von irgendwelchen Inzidenzen oder einem Impfstatus abhängen. Sonst setzt sich diese alarmierende Entwicklung fort.


Sollten Sie das Gefühl haben, dass Sie Hilfe benötigen, kontaktieren Sie unbedingt die Telefonseelsorge. Unter der kostenfreien Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 bekommen Sie Hilfe von Beratern, die Ihnen Hilfe bei den nächsten Schritten anbieten können. Hilfsangebote gibt es außerdem bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention. Im Netz gibt es – Beispielsweise bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe – auch ein Forum, in dem sich Betroffene austauschen können.

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