Tichys Einblick
Merkel scheitert mit Wahnsinnsmaßnahmen

Neue Verschärfung verhindert – Coronafürsten bremsen sich gegenseitig aus

Die übliche Corona-Gipfel-Einigkeit wurde unerwartet durch einen Anflug von Föderalismus gesprengt. Dass Angela Merkels neue Brechstangen-Maßnahmen nicht durchgingen, liegt aber eher weniger daran, dass die Landeschefs auf einmal vernünftig geworden sind.

imago Images/Reiner Zensen

Laut Grundgesetz ist Deutschland ein demokratischer Bundesstaat – das entnimmt der aufmerksame Beobachter schon dem Namen „Bundesrepublik“. Genau das scheint man in Bundespolitik und Medien jedoch weitgehend vergessen zu haben. Und so herrscht allgemeine Überraschung, dass die Konferenz im Kanzleramt dieses mal nicht zur harmonischen Durchwink-Veranstaltung verkommen ist. Noch bevor Kanzlerin Merkel und Berlins Bürgermeister Müller vor die Presse treten, spricht diese bereits von einem „großen Streit“ und „Riesen-Krach“. Die Ministerpräsidenten proben den Aufstand gegen die Kanzlerin, heißt es. Als ob Dissens zwischen Bund und Ländern in einem föderalen System nicht völlig normal sein sollte. Doch nach Monaten einer Coronapolitik von oben herab ist es in der Tat eine kleine Sensation, dass die Zeit des diktierten Konsens anscheinend vorbei ist.

Das hat wohl auch das Kanzleramt so nicht erwartet. Dort erarbeitete Papiere sahen zunächst radikale Maßnahmen vor. Wenn es nach Merkel gegangen wäre, sollten sich Kinder zum Beispiel mit nur einem Freund treffen dürfen. Selbst Grundschüler sollten jederzeit Maske tragen müssen, auch auf dem Schulhof. Und auch für Erwachsene würde gelten: Wer Erkältungssymptome zeigt, müsste sich direkt in mindestens fünftägige Quarantäne begeben. Eine Woche Isolationsurlaub, weil die Nase läuft: Man merkt, dass viele Politiker und „Experten“ nie in einem Betrieb gearbeitet haben.

Heft 12-2020
Tichys Einblick 12-2020: Lockdown im Kopf
Doch von solchen Plänen haben wohl die Ministerpräsidenten in dieser Form nichts gewusst – und waren dementsprechend brüskiert. Er verstehe nicht, „wie und warum diese Beschlussfassung zustande kam“, hieß es vom nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet. NRW werde keine härteren Maßnahmen mittragen. Sachsens Ministerpräsident Kretschmer kritisiert, die Beschlussvorlage des Kanzleramts habe nichts mit dem zu tun, was man vorher besprochen habe: Diese Art der Beschlussfassung war so nicht abgeklärt. Auch Hamburgs Bürgermeister Tschentscher zeigt sich verärgert: „Ich finde das nicht mehr witzig!“ Unter den Landeschefs gab es in einer gemeinsamen Konferenz keine einzige Unterstützerstimme für das Maßnahmenpaket des Kanzleramts.

„Man muss sich das mal vorstellen – dort sitzen alle Ministerpräsidenten zusammen, seit drei, vier Stunden. Das Papier wird richtig auseinandergenommen, da wird richtig rumgezickt“, kommentiert die Bild-Zeitung. Deren Vize-Chefredakteur Paul Ronzheimer ist „völlig verwirrt“ im Angesicht der im Laufe der letzten 24 Stunden insgesamt drei kommunizierten Kanzleramtspapiere: „Ich frage mich, ob Helge Braun eigentlich weiß, was in seinen eigenen Papieren steht.“

Das ganze als „rumzicken“ zu betiteln, scheint leider angemessen. Noch vor der Pressekonferenz berichten Medien über einen absurden Streit zwischen Berlins Bürgermeister Müller, Chef der Ministerpräsidentenkonferenz, und der Kanzlerin. Merkel, offensichtlich frustriert darüber, dass die Länder ihr die Gefolgschaft verweigern, giftet in Richtung Müller, er würde doch „auch mal durch Berlin gehen“. Müller entgegnet, im Tiergarten habe er „noch keinen mit einer Pizza oder einem Döner nachts gesehen“. „Sie gehen doch Abends auch die langen Schlangen vor dem Lieblingsdöner am Ku’Damm entlang“, meint daraufhin die Kanzlerin. Dieses brillante Döner-Duell unserer Staatsführung ist wahrscheinlich mit gemeint, wenn Merkel anschließend in der Pressekonferenz von „ausführlichen und intensiven Beratungen“ spricht.

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Das Ergebnis dieser ausführlich-intensiven Beratungen? Die Länderchefs zerlegen Merkels Corona-Pläne. Kaum eine Idee des Kanzleramtes schafft es am Ende an den Ministerpräsidenten vorbei. Maskenpflicht in Schulen? Weg. Schnupfenquarantäne? Weg. Ein-Freund-Regelung für Kinder? Weg. Das liegt wahrscheinlich weniger an den Maßnahmen als solchen, sondern eher daran, dass die Länder in deren Ausarbeitung nicht einbezogen wurden. Mancher Ministerpräsident will am Ende doch sein eigener Corona-Fürst bleiben. Und so hat man sich letztendlich auf wenig Konkretes geeinigt. Man will vor allem „appellieren“, richtige Beschlüsse sollen nun erst nächste Woche folgen. Die Bürger seien aufgerufen, ihre Kontakte auf ein Minimum zu beschränken, erklärte Merkel. So solle auf private Feiern gänzlich verzichtet werden, die Kontakte sollten auf einen festen Hausstand begrenzt werden. Dies solle dem Ziel dienen, die Zahl der Neuinfektionen wieder deutlich zu senken.

Markus Söder, der aus München in Sachen Corona seit Monaten schon „die Zügel fester anziehen“ will und schon im Sommer davon sprach, dass die zweite Welle „da sei“, stimmte die Deutschen auf eine Verlängerung und weitere Verschärfung der Anti-Corona-Maßnahmen über das Monatsende hinaus ein. „Ich habe wenig Hoffnung, dass Ende November alles wieder gut ist“, sagte Söder. „Im Zweifel müssen wir auf Sicherheit setzen.“ Die heutigen Beratungen seien „kein großer Wurf“ gewesen. Denn völlig überraschend wurde die Kanzlerin vom Föderalismus erwischt. Dieses mal hat sich mit ihrem absolutistischen Diktieren der Corona-Politik gehörig verrannt. „Das Ding ist abgesoffen“ konstatiert Bild-Reporter Peter Tiede: „Die Volkserziehung ist hier heute gescheitert“.

Doch wenn die Kanzlerin beim nächsten mal auch auf die Egos von Müller und Laschet achtet, wird es wohl wieder wie geölt laufen. Das hat Bayerns MP Söder auch durchblicken lassen: In einer Woche wird man wohl sicher zu einer Einigung kommen. Dieser grundgesetzkonforme Aussetzer in der Corona-Reglementierung wird also hoffentlich ein Einzelfall bleiben – nicht, dass die Länder der Kanzlerin bei der Rettung des Landes nochmal mit ihren blöden verfassungsmäßigen Kompetenzen vor den Karren fahren.

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