Tichys Einblick
Nato als (Ver-)Einiger?

Neuauflage: Die europäische Armee – eine nie geborene

Nun sind die Krisensymptome der EU in vielen Bereichen – noch – größer geworden. Nachdem die gemeinsame Währung sich eher als Instabilitätsfaktor erweist und fundamentalste Grenzsicherung an den EU-Außengrenzen nicht machbar zu sein scheint, braucht es nun erneut die europäische Armee.

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Da ist sie wieder, die europäische Armee oder die Armee der Europäer. Immer wenn etwas in der EU schiefgeht, taucht sie auf. So z.B. auch 2007, als zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge im europäischen Berlin eine Erklärung der Staats-und Regierungschefs erfolgen sollte, die im Vorfeld sogar den Begriff „europäische Verfassung“ in die Öffentlichkeit spülte, um als Berliner Erklärung zu enden, die angab, die EU bis 2009 auf eine „erneuerte gemeinsame Grundlage“ stellen zu wollen. Kurz vor dem Gipfel, als der Verfassungsansatz starb, erlebte die europäische Armee ihre Wiedergeburt. Die Kanzlerin erklärte durch die BILD-Zeitung: „In der EU selbst müssen wir einer gemeinsamen europäischen Armee näher kommen“.

Nun sind die Krisensymptome der EU in vielen Bereichen – noch – größer geworden. Nachdem die gemeinsame Währung sich eher als Instabilitätsfaktor erweist und fundamentalste Grenzsicherung an den EU-Außengrenzen nicht machbar zu sein scheint, braucht es nun erneut die europäische Armee. Der französische Staatspräsident stößt es in’s Horn und die deutsche Bundeskanzlerin erkennt ihren Ansatz von 2007. Dazu wirft sich die deutsche Verteidigungsministerin, die lieber von der „Armee der Europäer“ spricht, nun ins Feuer und erklärt den Menschen in der FAZ, „warum es eine europäische Armee braucht und warum die Nato-Partner keine Angst haben sollten.“ Stichwort: Europäische Verteidigungsunion (EVU).

Nachdem die europäische Verteidigungsgemeinschaft 1954 an Frankreich scheiterte und die Bundeswehr dann im Rahmen der und unter stärkster militärischer Einbindung in die NATO aufgebaut wurde, fragt man sich, wo da nun der „Funke Hoffnung“ bleibt, den z.B. Wolfgang Herles hier bei TE an dieser Phantom-Armee festmachte und dann verharmlosend davon sprach, dass „bei allen Schwierigkeiten im Detail: eine gemeinsame Armee“ ein sinnvolles Ziel ist und bleibt. Man fragt sich, was es nicht noch alles für „sinnvolle Ziele“ für Europa und die Welt gibt? Aber vor allem wäre zu klären, was das denn für „Details“ sind, die da nun noch im Raum stehen?

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In einem Deutschland, in dem Eltern nicht einmal darüber entscheiden dürfen, ob ihr Kind bei einem Tag der offenen Tür der Bundeswehr eine Waffe in die Hand nehmen darf, sollen zunächst ein paar beliebige Stichworte als Beispiele für „Details“ genügen:

Verfügungsgewalt über Atomwaffen, Auslegung der europäischen Arbeitszeit-verordnung, soldatische Beteiligungsrechte, militärisches Disziplinar-und Strafrecht, geostrategische Interessenbereiche, Aufgabe verfassungsmäßiger Souveränitäts-rechte oder einfach nur die Sprache, die im Krieg – jenseits von relativ zeitunab-hängigen, polyglotten, freiformulierenden und übersetzungsprogrammunterstützten Schreibtischarbeitern – eine entscheidende Rolle spielt.

Der Blick in die NATO

Nach dieser Kostprobe von Kleinigkeiten wäre als Fallbeispiel in die NATO zu blicken, um weitere Detailfragen zu identifizieren:

Wie effektiv und effizient ist diese Organisation der nun 29 Alliierten nach fast 70 Jahren und was brächte eine europäische Armee an Verbesserungen? Was wäre z.B. die Rolle der EU im NATO-Rat als Herrin einer (teil)europäischen Armee zusammen mit Griechenland und der Türkei bzw. wahrscheinlich komplementär zu Griechenland und im (wachsenden?) Gegensatz zur Türkei? Wie ist Deutschland mit seiner Kultur der militärischen Zurückhaltung einzuordnen, das damit selbst in der NATO weit mehr im Abseits steht als das erst vor kurzem in die militärische Organisation zurückgekehrte Frankreich – wie jüngst bei den Luftangriffen in Syrien zu beobachten. Könnte diese deutsche Haltung ein Hemmschuh für den Einsatz noch größerer Teile der in Europa verfügbaren Kräfte werden?

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Es stellt sich auch die Frage, wie man mit einem nicht genehmen amerikanischen Präsidenten des größten NATO-Alliierten umgeht, dessen Kritik an den europäischen Partnern nur das deutlicher und in den Konsequenzen glaubhafter anmahnt, was viele US-Administrationen vor ihm schon formuliert haben? Ist das Niveau, das der damalige Außenminister Steinmeier am Abend der Wahl Trumps öffentlich zeigte und das sich deutlich davon Unterschied wie man sonst als Diplomat z.B. mit und über „lupenreine Demokraten“ in Rußland spricht, dazu geeignet, ein europäisches Teilbündnis in der NATO als Verstärkung zu verkaufen? Insbesondere dann, wenn die Bundeskanzlerin im Mai 2018 nachstieß und erklärte, dass „die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, (…) ein Stück vorbei“ seien. Wie müssen sich wohl die Amerikaner – nicht nur ihr derzeitiger Präsident – fühlen, wenn sie seit Jahrzehnten sehen, wie Europa, und maßgeblich der ständige Export(vize)weltmeister Deutschland, es sich moralisch-finanziell unter dem militärischen Schirm der Amerikaner bequem gemacht haben?

Da verwundert es auch nicht mehr, wenn man z.B. die sicherheitspolitischen Ergebnisse Deutschlands und der EU im westeuropäischen Glacis Ukraine betrachtet und dann schaut, auf wen die Ukraine in ihrer Selbstbehauptung mit allen Mitteln des politischen Instrumentariums, d.h. auch dem militärischen, wirklich zählen kann.

Mit Blick auf die Umsetzung eines Zusammenwachsens von Streitkräften gibt es jedoch positive deutsche Bezugspunkte. Aus historischer Sicht sei auf die Entwicklung der deutschen Armeen seit 1864 verwiesen. Dort waren jedoch die kriegerischen Entscheidungen der Machtfrage unmittelbarer Ausgangspunkt und mit der Nationalstaatsgründung im Rahmen einer Verfassung verbunden. Dabei schaute der Bundesstaat Deutsches Reich auf Subsidiarität bzw. die Vorrechte der Landesfürsten von Bayern bis Mecklenburg. Bayerns Armee blieb im Frieden selbständig. Doch die Gründung der europäischen Nation steht aus bzw. liegt in weiter Ferne. Erneut Angela Merkel im Jahr 2007: „Einen europäischen Bundesstaat wird es auch in 50 Jahren nicht geben, wir werden die Vielfalt der Nationalstaaten behalten.“

Die Deutschen und die Niederländer machen es bereits vor

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Als ein Hoffnungsfünkchen kann die Integration der deutschen und niederländischen Streitkräfte miteinander betrachtet werden. Das niederländische Heer ist mit seinen Brigaden in deutsche Divisionen integriert. Ähnliches geschieht auch bei den Seestreitkräften. Kulturell und sprachlich ist das jedoch ein Sonderfall, was sich auch daran zeigt, dass die einzige niederländische Panzerkompanie zu einem deutschen Bataillon gehört und sein Personal angewiesen ist, auf Deutsch zu arbeiten. Doch der politische aber auch militärische Lackmustest eines schnellen, geschlossenen Einsatzes ist bisher nicht erfolgt. Mit Deutschland als Vormacht ist das wohl auch nicht zu erwarten und den Niederländern wohl nicht unrecht – insbesondere dann, wenn es um Szenarien geht, in denen Kampf- und Schützenpanzer eine Rolle spielen sollen.

Aber genau hier liegt die eigentliche „Einzelheit“ dieses Projektes. Wie ist eine einsatzbereite europäische Armee zu führen und zu gliedern, so dass sie im Einsatz, d.h. im Krieg, bestehen kann und damit auch glaubhaft abschreckt oder zunächst kämpfend Zeit gewinnt, damit andere Mittel der Konfliktlösung Zeit haben, zu wirken bzw. als bessere Alternative erkannt zu werden? Hier lohnt sich ein Blick in die frühe Geschichte der Bundesrepublik als der Ausschuß des Bundestages zur Wiederbewaffnung sich von den militärischen Experten sehr genau erfragte, wie eine kriegstüchtige europäische Armee gegliedert sein müsse, um den Auftrag erfüllen zu können. Dabei spielten auch kulturelle Unterschiede eine Rolle. Von multinational kleinteiligst personell und materiell gemischten Verbänden als politisches Signal und zur kurzfristigen Kostenersparnis war da nicht die Rede.

Das Rollenverständnis Frankreichs

Wie weit nun der strategische Partner Frankreich mit der „wahren europäischen Armee“ von Präsident Macron wirklich ist, zeigt sich an zwei Beispielen. Die brandneue „VISION STRATEGIQUE” des französischen Generalstabschefs für die französischen Streitkräfte erwähnt weder die NATO, noch die EU, noch irgendeinen verbündeten Staat oder seine Streitkräfte. Général d’armée François Lecointre stellt aber an einer Stelle heraus, dass u.a. europäische Normen („normes civiles, nationales, européennes et internationales.“) ein Risiko für seine Forderungen der positiven Einzigartigkeit („pour une singularité positive“) des französischen Militärs und seiner operationellen Effektivität bedeuten („ces normes présente un risque pour la singularité militaire et in fine pour l’efficacité opérationnelle des armées.“). Europäisches taucht sonst nicht mehr im Text auf.

Dazu sprach Lecointres Vorgänger de Villiers in einer Fernsehdiskussion davon, dass bessere Kooperation, Abstimmung der Kapazitäten und eine gemeinsame strategische Kultur möglich seien, aber keine gemeinsame Armee, in der Frankreichs Militär den Vorbehalten anderer Staaten oder einem gemeinsamen Kommando in Brüssel unterliege. Es sei darauf verwiesen, dass diese Männer zu einer Armee gehören, die seit dem Ende des II. Weltkrieges in vielen erwarteten und unerwarteten Konflikten gekämpft hat, wie z.B. Lecointre 1995 in Sarajewo als Führer des Angriffs auf die Brücke von Vrbanja.

Der Zwiespalt Deutschlands

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Abgesehen davon, wenn man mal deutsche (ehemalige) Generäle in der Öffentlichkeit Stellung beziehen sieht, der Generalinspekteur der Bundeswehr käme ohne die Nennung von NATO und EU in einem derartigen Papier nicht aus. Dazu würde es in der deutschen Öffentlichkeit wohl nicht einhellig begrüßt werden, wenn er für die Soldaten der Bundeswehr eine „militärische Identität“ fordern würde, die z.B. ein sehr spezifisches „Arbeitszeitmodell“ braucht, um die Besonderheiten des Dienens in den Streitkräften zu berücksichtigen oder das Bejahen militärischer Werte („Korpsgeist, Disziplin, Opferbereitschaft, Tapferkeit“) prominent in den Vordergrund stellt. Die kürzlich erfolgte Traditionsauseinandersetzung in und um die Bundeswehr spricht dazu Bände.

Eine Erweiterung dieser Betrachtung um z.B. Italien, Dänemark, Tschechien, Österreich, Polen, Estland, Finnland oder Spanien aber auch Sachaspekte wie z.B. Rüstungswirtschaft bzw. -export steht hier noch aus. Es sei nur noch eins betont. Wie gedenkt man Staaten wie Estland, Lettland, Litauen, Polen oder Rumänien davon zu überzeugen, dass europäische Truppen genau so zuverlässig an ihrer Seite stehen werden wie die der historisch stark geopolitisch ausgerichteten USA und des Vereinigten Königreiches mit ihren als Expeditionsstreitkräften geprägten Armeen? Das ist schwierig, wenn z.B. Umfragen zeigen, dass ein großer Teil der deutschen Bevölkerung selbst im NATO-Rahmen nicht bereit ist, für diese Staaten zu kämpfen oder Frankreich, Spanien und Italien vornehmlich auf das Mittelmeer und Afrika schauen oder z.B. auch Finnland zur EU gehört und sehr vorsichtig agieren muß, wenn es um Konflikte im Ostseeraum oder im Nordmeer geht.

Im Geiste der Subsidiarität scheint daher die NATO das bessere Instrument zu sein, Europa stärker militärisch zu verbinden. Sie hat die USA schon im Boot, hält die Briten darin, ist militärisch-praktisch eingespielt(er) und bietet vielerlei multinationale Kooperationsmöglichkeiten, die auch den Europäern untereinander offen stehen. Allerdings eignet sie sich nicht zum Übertünchen von Krisensymptomen in der EU und zur Schaffung von weiteren EU-Institutionen und Prozessen mit entsprechenden Budgets sowie dem Hang zur Parallelstruktur – und kaum zur Demonstration französischer Führungsansprüche oder spezifisch deutscher militärischer Zurückhaltung.


Dr. Jan Hoffmann ist seit bald dreißig Jahren Soldat. Derzeitiger Dienstgrad Oberstleutnant.


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