Tichys Einblick
Brandmauer gegen rechts

Der Wählerwille für Mitte-Rechts-Koalitionen nimmt zu

Während in anderen europäischen Ländern Mitte-Rechts-Regierungen inzwischen zum politischen Alltag gehören, hat sich in Deutschland eine Allianz gegen solche Bündnisse herausgebildet, zu der neben Linksliberalen merkwürdigerweise auch der EU-Spitzenkandidat der AfD gehört.

IMAGO / Steinach

Während in zahlreichen EU-Mitgliedsstaaten, wie etwa Österreich, Mitte-Rechts-Bündnisse entweder schon einmal regiert haben oder in einigen dieser Länder, wie Italien, Schweden und Finnland, gerade regieren, erleben wir in Deutschland neuerdings staatlich inszenierte Massenproteste gegen eine vermeintliche Wiederkehr des Nazi-Regimes, weil die rechnerischen Mehrheiten für solche Bündnisse auch hier stetig größer werden. Mit ihnen beschwört eine breite, aus Parteien, Medien, Kirchen, Verbänden und der sogenannten Zivilgesellschaft gebildete Allianz eine „Brandmauer gegen Rechts“, die Mitte-Rechts-Bündnisse auch in Deutschland auf alle Zeit verhindern soll.

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Inzwischen votieren trotz dieser Proteste aber auch in Deutschland immer mehr Wähler für solche Bündnisse. In Umfragen erklären bundesweit rund 20 Prozent von ihnen, bei den nächsten Wahlen für eine Partei stimmen zu wollen, die sich in Gestalt der Alternative für Deutschland (AfD) explizit rechts der Union positioniert. Viele dieser Wähler bekunden gleichzeitig, dass sie sich wünschen, dass die AfD zusammen mit der Union auch Regierungsverantwortung übernimmt. Dabei handelt es sich keineswegs nur um abtrünnig gewordene Unionswähler, sondern auch um ehemalige Wähler anderer etablierter Parteien. Von ihnen allen waren nicht wenige auch schon ins Lager der Nichtwähler abgewandert und insofern für den demokratischen Willensbildungsprozess verloren.

Gleichzeitig gewinnt laut Umfragen auch die Union wieder an Zuspruch bei den Wählern, seit sich die CDU unter ihrem neuen Vorsitzenden Friedrich Merz wieder etwas konservativer positioniert und sich so vom Linkskurs ihrer früheren Vorsitzenden Angela Merkel vorsichtig abwendet. Auch von den laut aktuellen Umfragen bundesweit rund 30 Prozent CDU/CSU-Wählern wünschen sich viele nicht nur in den ostdeutschen Bundesländern eine Koalition mit der AfD anstelle etwaiger Koalitionen mit der SPD, den Grünen oder beiden zusammen. Der von Merz bekundete Flirt mit solchen Koalitionen dürfte die CDU sogar die Stimmen all derjenigen ihrer Wähler kosten, die nicht wollen, dass bei den anstehenden Wahlen in diesem und im nächsten Jahr die SPD und/oder die Grünen mit Hilfe der CDU in Regierungsverantwortung bleiben oder kommen.

Zugleich sind viele der abtrünnigen Unionswähler angesichts einer Alternative, bei der es sich laut deren Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland um einen „gärigen Haufen“ handelt, durchaus bereit, wieder CDU zu wählen, sofern sie sich im bestehenden Parteienspektrum wieder glaubhaft weiter rechts positioniert und sich so gleichzeitig für eine Zusammenarbeit mit der AfD öffnet. Das wissen auch die Wahlstrategen der beiden Unionsparteien, die deswegen derzeit den rechtskonservativen Wählern nicht nur auf dem Gebiet der Asyl- und Migrationspolitik entsprechende Rückkehr- respektive Bleibe-Angebote unterbreiten.

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Diese werden diese Angebote aber vermutlich kaum annehmen, solange sie damit rechnen müssen, dass die Unionsparteien nach einer gewonnenen Wahl mit den Grünen und/oder der SPD koalieren wollen. Sie wären dann nämlich das Papier nicht wert, auf dem sie bislang zum Beispiel im Entwurf des neuen Grundsatzprogramms der CDU niedergeschrieben sind. Zurecht befürchtet wird von vielen abtrünnigen Unionswählern daher für den Fall einer solchen Koalition statt des versprochenen Kurswechsels nach rechts ein Wiederaufleben von Merkels Anpassungskurs an den linksliberalen Zeitgeist, der sich immer illiberaler geriert. Die von ihnen stattdessen gewünschte konservative Wende in Deutschland hätte vor diesem Hintergrund nur eine Chance, wenn die von der Unionsspitze aufrechterhaltene „Brandmauer“ gegen die AfD fiele und so der Weg für eine Mitte-Rechts-Koalition auch in Deutschland frei gemacht würde.

Je größer die rechnerischen Mehrheiten von Union und AfD werden und je mehr sie sich, wie derzeit schon in den meisten ostdeutschen Bundesländern, auch in den westdeutschen Bundesländern und damit bundesweit der 50-Prozent-Marke nähern und diese sogar übersteigen, desto mehr wird der Druck innerhalb der beiden Unionsparteien zunehmen, dass dieser Weg endlich eingeschlagen wird. Schon heute werden daher vor allem in den ostdeutschen Landesverbänden der CDU die Stimmen immer lauter, die angesichts zu erwartender Wahlergebnisse eine Zusammenarbeit mit der AfD einer Allparteien-Koalition gegen sie vorziehen wollen. Friedrich Merz und Carsten Linnemann haben daher immer mehr Mühe, ihr Verbot aller Zusammenarbeit mit der AfD innerparteilich aufrechtzuerhalten, nachdem inzwischen ein wachsender Teil der Unionswähler eine solche Zusammenarbeit will.

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Ob und wie es zu einer solchen Zusammenarbeit kommen wird, hängt allerdings nicht nur von den zukünftigen Wahlergebnissen und den beiden Unionsparteien, sondern ebenso von der AfD ab. Da die Mehrzahl auch ihrer Wähler für Mitte-Rechts-Koalitionen ist, steht auch die AfD-Führung unter Druck, diesen Wunsch zu erfüllen. Die beiden AfD-Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla streben daher Koalitionen mit der Union an, um nach dem Vorbild anderer rechtspopulistischer Parteien in Europa auch in Deutschland auf Landes- wie auf Bundesebene handlungsfähige Mitte-Rechts-Regierungen zu bilden. Diese Strategie ist in der AfD aber nicht unumstritten, folgt man zum Beispiel den Ausführungen ihres derzeitigen Spitzenkandidaten für die Europawahlen, Maximilian Krah.

In seinem im letzten Jahr veröffentlichten Manifest mit dem Titel „Politik von rechts“ präsentiert sich Krah seinen Lesern als einer der strategischen Vordenker seiner Partei. Als solcher knüpft er an die Vertreter eines ebenso modernisierungskritischen wie demokratiefeindlichen Rechts-Konservativismus des frühen zwanzigsten Jahrhunderts an, allen voran an einen ihrer wichtigsten Theoretiker, Carl Schmitt. Unter Rückgriff auf dessen Theorie des Politischen erklärt er die heutigen „linksliberalen Eliten“ und deren parteipolitischen Repräsentanten zu Feinden, mit denen keinerlei Interessenausgleich möglich sei.

Damit lässt es Krah aber nicht bewenden. Denn „wer zur Entscheidung unfähig ist und sich der Konsequenz der Feindzuschreibung dadurch entziehen will, indem er auf andere, weitere Feinde verweist und damit aus der letztlich manichäischen Freund-Feind-Scheidung eine große Wolke des Ungefähren macht, ist politikunfähig“. Gemünzt ist dieser Vorwurf auf die „Mainstream-Konservativen“, die sich angesichts von Anfeindungen des woken Linksliberalismus durch das autoritär regierte Russland oder das kommunistisch regierte China nicht trauen, dieser „Autoimmunkrankheit, durch die der Westen sich selbst zerstört“, den innenpolitischen Krieg zu erklären.

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Als Bündnispartner für eine zu diesem Krieg bereite politische Rechte kommen die konservativen Parteien laut Krah daher nicht in Frage. Koalitionen mit CDU und CSU will er nicht anstreben und allenfalls eingehen, wenn die AfD im Bund mindestens zwanzig Prozent der Wähler hinter sich vereint. Erst dann sei sie gegebenenfalls stark genug, um in einer Koalition mit der Union seine Vorstellungen von rechter Politik kompromisslos durchzusetzen. Darunter lehnt Krah alle Zusammenarbeit ab, von der er grundsätzlich fürchtet, dass sie keinen radikalen politischen Systemwechsel in seinem Sinne erlaube. Er missachtet damit nicht nur den Willen der meisten AfD-Wähler, sondern stellt sich auch gegen die beiden Vorsitzenden seiner Partei, die dem per Stimmzettel zum Ausdruck gebrachten Willen ihrer Wähler, wie es sich für Demokraten gehört, anders als Krah Folge leisten wollen.

Wie einflussreich diese Haltung innerhalb der AfD ist, wird man spätestens sehen, wenn sich bei den kommenden Landtagswahlen in Ostdeutschland tatsächlich rechnerische Mehrheiten für stabile Mitte-Rechts-Koalitionen ergeben sollten, die entweder von der CDU oder der AfD als jeweils stärkste Fraktion angeführt werden müssten. Der CDU dürfte es dann äußerst schwerfallen, ihren Wählern eine Allparteien-Koalition zu verkaufen, die diese mehrheitlich nicht wollen. Und die AfD müsste sich gleichermaßen entscheiden, ob sie Krahs fundamentalistischem Verdikt gegen die „Mainstream-Konservativen“ folgt und eine Koalition unter Führung der CDU gegen den erklärten Willen ihrer Wähler ablehnt.

Folgt sie Krah nicht, dann hätte sie zum ersten Mal in ihrer inzwischen mehr als zehnjährigen Geschichte den praktischen Beweis anzutreten, dass sie mehr kann als nur gegen die linksliberale (woke) Politik Widerstand zu leisten. Ob sie beim Regieren bei den Wählern dann weiterhin reüssiert, würde sich wie derzeit bei den im Bund nach langer Zeit wieder regierenden Grünen zeigen, denen inzwischen bei den Europawahlen eine Halbierung droht. Dafür haben wir ja die Demokratie.

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