Tichys Einblick
Der Minister und die Visionen:

Wer glaubt eigentlich noch Robert Habeck?

In Schwedt erlebte man am Mittwoch ein Wunder, in Habecks Kopf ist Schwedts Zukunft bereits gesichert: die Stadt an der Grenze zu Polen wird so etwas wie das chemischen silikon valley Deutschlands werden, er muss nur noch sagen, so sei es, dann ist es so.

IMAGO/Political Moments

Sicher, die Medien haben Robert Habeck zum beliebtesten Politiker erkoren und wollen ihn zum Bundeskanzler hochschreiben und hochsenden. Dort, wo man Phrasen liebt, wo man – im Grunde aus Autoritätshörigkeit – sich gern von freundlichen und vor allem verständnisvollen Sätzen aus der sich verdüsternden Wirklichkeit tragen lässt, feiert man den Primaklimaminister als Star. Doch in Schwedt nicht.

Dort, wo man täglich mit der Realität zu kämpfen hat, wo man schuftet und die Welt nicht woke und nicht grün ist, wo man nicht auf dem Lastenrad über breite Fahrradalleen die wenigen Meter von der Wohnung zum nächsten Bioladen oder zum Late Macchiato Café zurücklegt, wo nicht der Staat verlässlich Geld auf das Konto der NGO überweist, für die man die Welt oder was auch immer rettet, vor allem die Deutschen vom Wohlstand befreit, dort also, wo man hart arbeitet für sein Geld und sich berechtigt Sorgen machen muss, dass man zu Weihnachten noch einen Job hat, dort glaubt wohl kaum jemand den märchenhaften Erzählungen des märchenhaften Ministers aus dem märchenhaften Berlin-Mitte. Im Gegenteil, sie haben ihn am Mittwoch ausgebuht, als er ihnen wieder ein X vor dem U vormachen wollte. Sie wollen nicht – und noch dazu medienwirksam – die dankbare Gekümmertenkulisse für den Kümmererminister abgeben. Sie durchschauen die durchschaubare Inszenierung.

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Ende April hatte Habeck noch stolz verkündet, dass Deutschland bereits jetzt für einen Importstopp russischen Erdöls gerüstet sei. Am 20.03. berichtete die auf grüner Parteilinie sendende ARD: „Deutschland und Katar haben laut Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck eine langfristige Energiepartnerschaft vereinbart. Das sei „großartigerweise“ fest vereinbart worden, sagte Habeck nach einem Treffen mit dem Emir von Katar, Tamim bin Hamad Al Thani, in Doha.“ Am 21.03.2022, einen Tag später, veröffentlichte die FAZ ein Interview mit dem Energieminister von Katar, der zwar von Gesprächen, nichts aber von einer Einigung wusste. Auch gab er zu bedenken, dass Katar langfristige Lieferverträge besäße und daher nicht vor 2026 Erdgas nach Deutschland liefern könnte.

Hatte Habeck seinen Dolmetscher aus Sparsamkeitsgründen, denn mit dem Sparen kennt er sich aus, wie man erfahren durfte, zu Hause gelassen? Ebenfalls wurden die kleineren technischen Probleme, zum Beispiel wie das Flüssiggas nach Deutschland kommt, wie es verarbeitet werden kann, nicht bedacht. Am 11. Mai fanden sich Berichte in den Medien, wonach der Erdgasdeal mit Katar zu platzen drohte, aus der „langfristigen Energiepartnerschaft“ wurde ein Zankapfel.

Drei Monate nach der „großartigerweise“ mit Katar vereinbarten „langfristigen Energiepartnerschaft“ wird Robert Habeck wieder kreativ und gibt wie der Moderator einer Ratgebersendung, die „Frieren mit Robert“ heißen könnte, Tipps, so von Mensch zu Mensch, wie man Erdgas einsparen könnte, tremoliert einen Sparappell nach dem anderen, wie ein Bußprediger eine Verzichtspredigt nach der anderen, während gleichzeitig der Chef der Bundesnetzagentur den Totalausfall russischer Gaslieferungen befürchtet und Habecks Staatssekretär Patrick Graichen, der zuvor dem Think Tank „Agora Energiewende“ vorstand und den Habeck auf diesen Posten hievte, Unternehmen, sich noch vor dem Winter Notstromaggregate anzuschaffen. Man sieht daran, mit welch hoher Kompetenz grüne Think Tanks, die schon zu Merkels Zeiten den energiepolitischen Ton vorgaben, Energiekonzepte entwickeln. Insofern kann man nicht sagen, dass Habeck nichts für das Erbe kann, das er von Peter Altmaier übernahm, im Gegenteil, er hat geerbt, was er schon als Oppositionspolitiker unter der grünaffinen Merkel durchbekommen hat.

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Es ist ebenfalls noch gar nicht so lange her, dass Robert Habeck und seine Parteifreundin Annalena Baerbock den Erdölboykott des sechsten Sanktionspakets unterstützten. Wirtschaftsminister Habeck tönte sogar nach dem Treffen mit der polnischen Energieministerin, Anna Moskwa, in Warschau. „Heute kann ich sagen, dass ein Embargo handhabbar für Deutschland geworden ist.“ Zur Begründung gab er an, dass der Anteil russischer Erdöl-Importe nur noch bei zwölf Prozent läge. Die Zahlen für den Monat Mai belegen jedoch, dass der Anteil des russischen Erdöls unter den Importen mehr als doppelt so hoch, statt bei 12 Prozent bei 27,8 Prozent liegt.

Jens Spahn, der inzwischen nicht mehr Gesundheits-, sondern Energieexperte der Union ist, was nichts Gutes hoffen lässt, spottet: „Die von Wirtschaftsminister Habeck vor Wochen verkündete Reduktion der Abhängigkeit bei Rohöl auf zwölf Prozent war offenbar eher eine spontane Schätzung.“

Die Grünen liegen zwar mit ihrer Politik falsch, doch die FDP liegt nicht nur falsch, sie macht sich obendrein noch lächerlich, wenn ihr energiepolitischer Sprecher Michael Kruse allen Ernstes kommentiert: „Die Europäische Union hat ein weitreichendes Ölembargo gegenüber Russland beschlossen, das schnellstmöglich vollzogen werden muss. Deutschland hat hier eine Vorbildfunktion“. Der FDP geht es nicht schnell genug damit, dass in Deutschland das Licht ausgeht. Niemand wird übrigens diesem Vorbild folgen, statt zum Vorbild wird man so zum Außenseiter. Das einzige, was dann noch leuchten kann, wird die Klimabilanz sein – obwohl bei massenhafter Nutzung von Notstromaggregaten, wie sie Habecks Klima- und Windradvordenker Patrick Craichen vorschlägt, wird wohl auch die Klimabilanz dunkel werden. Aber Kruse weiß natürlich sehr praktischen Rat: „Dieser Sommer muss dafür genutzt werden, unsere Öl- Importstruktur dauerhaft von Russland unabhängig zu machen“. Folgt man dem FDP-Politiker, darf man wohl darauf hoffen, dass im September massenhaft Erdöl aus der Nordsee sprudeln und die russischen Importe ersetzen wird.

Bei Allah, kann man im Koran lesen, ist schließlich nichts unmöglich, wenn er sagt: es sei, dann ist es. Außerdem ist die Lage bei Lichte besehen, zumindest solange Licht da ist, nicht so schlecht, denn, so hat ein weiterer grüner Vordenker, Winfried Kretschmann aus Baden-Württemberg, klargestellt: „Wir haben eine Gasmangellage und erstmal keine Strommangellage. Atomkraftwerke produzieren bekanntlich Strom – und kein Gas.“ Frei nach Kretschmann produzieren dann Gaskraftwerke Gas?

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In Schwedt wird Robert Habeck nach seinem von Buhrufen begleiteten Statement erwidert: „Sie haben nichts Glaubenswertes gesagt.“ Habeck hatte nämlich versprochen, dass die Raffinerie in Schwedt mit Erdöl, das aus dem Hafen Rostock über eine Pipeline nach Schwedt gepumpt wird, in Betreib gehalten wird, solange man Erdöl noch benötigt. Und dann setzt Robert Habeck zum Träumen an und schwärmte plötzlich von den Flächen in Schwedt, wo er innovative Firmen die bspw. grünen Wasserstoff herstellen, ansiedeln will. So erlebt man in Schwedt am Mittwoch ein Wunder, in Habecks Kopf ist Schwedts Zukunft bereits gesichert: die Stadt an der Grenze zu Polen wird so etwas wie das chemischen silikon valley Deutschlands werden, er muss nur noch sagen, so sei es, dann ist es so. Laut Medienberichten hatte er den Schwedter Beschäftigten garantiert, dass sie ihre Jobs behalten. Doch wirklich sagte er nur, dass er garantiert, dass der Raffineriebetrieb mit neu aufzutreibenden und teureren Öl aufrecht erhalten werden soll. Er sagte nicht wird, sondern soll. In Schwedt hat er nur garantiert, dass er eine Idee, eine Vision hat, nicht aber, dass unter allen Umständen jeder dort seinen Arbeitsplatz behalten kann.

Zumindest dürfen die Deutschen dabei sein und mit vor Frost klappernden Zähnen applaudieren, wenn Robert Habeck völlig neue Wirtschöpfungsketten erfindet und eine ethische Wirtschaft kreiert, er muss nur sagen, so sei es, dann ist es so.

Vor zwei Jahren hatte am 8. Juni 2020 der damalige Oppositionspolitiker Robert Habeck in der Sendung „Hart aber fair“ seine Freude darüber zum Ausdruck gebracht, wie leicht es ist, Krisen und existentielle Verwerfungen auszulösen: „Wer hätte gedacht, dass wir die ganze Wirtschaft lahmlegen, weil wir Werte … vor ökonomische Kreisläufe stellen.“ Aus Ideologie wird Wertschöpfung, aus Utopie Wirklichkeit – und in Deutschland werden Träume wahr.

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