Tichys Einblick
Härterer Lockdown?

Die Schlafwandler auf der Überholspur

Sie wollen es wirklich tun: Nochmal verschärfen. Wegen der theoretischen Gefahr des mutierten Virus. Was kann die noch stoppen? Das Land ist über der Belastungsgrenze, und jetzt noch mehr obendrauf?

imago images / photothek

Deutschland wartet auf Lockerungen. Und unsere Regierung will nochmal drastisch verschärfen. Büros dicht, Ausgangssperre. Das deuteten Halbsätze an, die man nicht glauben wollte. Dann berichtete zunächst die Bild aus internen Quellen, mittlerweile verkündete aber Regierungssprecher Seibert offen, dass die Ministerpräsidentenkonferenz auf kommenden Dienstag vorverlegt wird. Dort sollen dann weitere Verschärfungen diskutiert werden. Seibert fordert Unternehmen dazu auf, schon einmal zu prüfen, ob mehr Arbeit von zu Hause aus möglich sei. Was kann man eigentlich überhaupt noch verschärfen? Wie soll die Krankenschwester zur Arbeit kommen, wenn der Öffentliche Nahverkehr dicht ist? Wollen wir wirklich Polizeikontrollen auf den Straßen, die die Ausgangssperren kontrollieren? Eigentlich ist der maximale Lockdown doch schon erreicht. Die Städte sind ohne Einkaufsmöglichkeiten, ohne Theatervorstellungen, Restaurantbesucher und Büro-Insassen nur noch Betonruinen, durch die der Wind pfeift. Töter geht kaum mehr.

Heft 02-2021
Tichys Einblick 02-2021: 2021 - Endlich wieder leben
Die Zahlen auf den Intensivstationen sinken derweil. Wo ist die Begründung für eine Verschärfung? Das mutierte Virus erscheint als Mythos und Rechtfertigung, die sich die Regierenden für ihre falsche Politik suchen. Selbst Dauer-Warner Drosten ist skeptisch. Es gibt keinen Beweis dafür, dass dieses Virus gefährlicher ist als das herkömmliche, und wenn es tatsächlich soviel ansteckender wäre, dann müsste es jetzt – Monate nach dem ersten nachgewiesenen Auftauchen – schon längst in Deutschland sein und die Menschen dahinraffen. Die deutsche Politik bezieht sich auf die steigenden Zahlen in Irland. Aber statt hieraus abzuleiten, dass das Muster-Lockdownland mit seiner harten Strategie gescheitert ist, muss das mutierte Virus natürlich Schuld haben. In Irland sei die Situation „dramatisch“, die Menschen trauten sich nicht mehr auf die Straße, soll Merkel gesagt haben. In Deutschland auch nicht, übrigens. Aber wann war Merkel das letzte Mal in einer Stadt des Landes, das sie regiert?

Natürlich behauptet die irische Regierung, die Mutation sei Schuld – dann trifft sie schließlich keine. Die rationalere Erklärung wäre aber, dass Irland durch einen sehr scharfen Lockdown die Infektionen eben nur verschleppt hat – und nachdem gelockert wurde, gehen die Zahlen durch die Decke. Weil der Lockdown eben auf die lange Bahn nichts bringt. Irgendwo überlebt das Virus, und dann ist es wieder da. Warum übersteigen die Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in Irland die in Großbritannien, wenn die Ursache das „britische Virus“ ist? Schon merkwürdig.

Jetzt könnte man viel darüber spekulieren, was die Politiker sich davon erhoffen, dennoch zu verschärfen, was sie denken und planen. Allein: Sie denken und planen offensichtlich gar nicht. Sie sind nach oben gekommen, weil sie die letzten Jahrzehnte wie Jens Spahn durch die Ortsverbände getingelt sind, um der Freiwilligen Feuerwehr zu erzählen, dass sie die wichtigste Stütze der Gesellschaft ist – und jeweils 15 Minuten später erzählen sie das Gleiche der Polizei, der Gewerkschaft, den Johannitern, der Arbeiterwohlfahrt, dem Arbeiter-Samariter-Bund und schließlich dem Kaninchenzüchterverein. Sie sind weit weg von den Menschen. Nur direkt gewählte Abgeordnete haben noch Rückkopplung, hören Bürgern zu, statt den Kommandos von Fraktions- und Parteispitze blind zu gehorchen. Bezeichnend, dass ihre Zahl bei der nächsten Parlamentsreform zurückgeschnitten werden soll. Damit die Funktionäre uneingeschränkt ihren ideologischen Flausen folgen können.

Und jetzt – obwohl alle Fakten für Lockerungen sprechen – will die Regierung abermals verschärfen. Spiegel, ARD, ZDF & Co. sagen ja schließlich, die Mehrheit wolle es so, ja die Mehrheit verlange es geradezu von ihnen. Gewinner dieser Angststrategie ist Markus Söder. Er ist wirklich der Meinung, es sei eine sinnvolle politische Strategie, einen Strohmann-Dämon in die Luft zu setzen, um sich dann durch möglichst rabiate Maßnahmen im Kampf gegen ihn als Held zu präsentieren. Problem: Bei den Deutschen funktioniert es. Söders Beliebtheitswerte sind ungebrochen hoch, er würde die absolute Mehrheit im Bayerischen Landtag gewinnen, sagen Umfragen, wenn am Sonntag Wahlen wären.

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Aber eine langfristige Strategie kann das nicht sein, denn früher oder später merken die Bürger, dass die Luftnummern nicht funktionieren. Die Zahlen im Hardliner-Freistaat gehören zu den schlechtesten in Deutschland. Er mag ja hart gewesen sein, der Söder, aber gebracht hat es eben nichts. Organisatorisch war die früher hochgelobte bayerische Verwaltung von Test- bis Impfdesaster ein Totalausfall.

Früher oder später wird sich auch beim letzten Lockdown-Verfechter die Einsicht Bahn brechen, dass es wirtschaftlich, psychisch, gesellschaftlich nicht mehr bis zum Sommer auszuhalten ist. Die Corona-Fürsten auf ihrem Egotrip – früher oder später werden sie scheitern. Auf ihrer Corona-Beliebtheitswelle können sie aktuell gut surfen – aber früher oder später kommen die Felsen. Die Regierenden merken das nicht – sie leben in einer hermetisch abgeriegelten Blase, in die nur von Spiegel & Co. Informationen hineingetragen werden. Und draußen bei den Menschen liegt jeder Zweite bereits halbtot im Krankenhaus – oder so ähnlich stellen sie sich das Leben da draußen vor. Und diese ganzen Gastwirte, die pleite gehen – die simulieren doch. Also, mein Beamtengehalt kommt immer pünktlich, wie sieht’s mit deinen Diäten aus? Auch da? Wo soll da ein Problem sein, über das Einzelhändler jammern?

Es ist, als würde jemand einen Jumbo-Jet landen wollen, der die Bedeutung der Knöpfe im Cockpit nicht kennt, und kurz vor der Landebahn das Fahrwerk einfährt. Oder jemand, der ein Atom-U-Boot steuern will, aber nur Seepferdchenabzeichen auf der Badehose statt ein Kapitänspatent im Anzug hat. Hauptsache volle Kraft voraus! Den Hebel kennen sie, und weil es der einzige ist, drücken sie ihn auf volle Pulle. Und deshalb schließen wir Schulen, Nahverkehr, Wirtschaft, einfach alles. Gestorben wird in den Altenheimen. Man könnte sagen: Treffer – genau daneben. Bitte mehr davon auf dieselbe Fehl-Stelle.

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