Tichys Einblick
Wer gelb gewählt hat, bekommt grün

Lieber ganz schlecht regieren, als gar nicht regieren

Die Einigkeit zwischen Annalena Baerbock und Christian Lindner in der Elefantenrunde war unübersehbar. FDP und Grüne werden die Eckpunkte der Regierungskoalition aushandeln – und dann dürfen Scholz und Laschet für die Besetzung des Kanzleramts vorsprechen.

imago images / Christian Spicker

Beginnen wir mit den Zahlen: Laut vorläufigem amtlichem Endergebnis entfielen auf die SPD 25,7 Prozent der Stimmen. Damit überrundeten sie knapp die Union mit 24,1 Prozent. Die Grünen blieben mit 14,8 Prozent weit hinter ihren auch von den Medien geschürten Erwartungen, gefolgt von der FDP mit 11,5 Prozent und der AfD mit 10,3 Prozent.

Die Amerikaner haben einen treffenden Ausdruck, der besagt, dass der Schwanz mit dem Hund wedelt: wag the dog. Man könnte auf Deutsch den Satz anfügen, dass, wenn die Katze aus dem Haus ist, die Mäuse auf dem Tisch tanzen. Aber die Katze gibt es längst nicht mehr. Wer will in diesen veganen Zeiten noch Katze sein? Nicht einmal Markus Söder. 

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„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
„Es wird erstmal in sehr kleinem Kreis zwischen FDP und Grünen gesprochen werden“, sagte Anton Hofreiter im ARD-„Morgenmagazin“. Gestern Abend schon durfte der Fernsehzuschauer die größte Einigkeit zwischen Annalena Baerbock und Christian Lindner in der Elefantenrunde ohne Elefanten und bei der backfischhaft dahinschmelzenden Caren Miosga zwischen Robert Habeck und Johannes Vogel von der FDP beiwohnen. Eine Einigkeit wie auf einem Vereinigungsparteitag. Dass man bei Johannes Vogel „FDP“ dazu schreiben muss, liegt an der schlichten Tatsache, dass man außer Christian Lindner niemanden aus der FDP kennt. Aus historischen Gründen vielleicht noch Wolfgang Kubicki, der wissentlich oder unwissentlich einige Wähler der FDP getäuscht haben dürfte, denn nicht Kubickis liberaler Kurs, sondern Lindners gelbgrüner Mischmasch bestimmt die FDP. Um es verkürzt zu sagen, wer die FDP wegen Wolfgang Kubicki gewählt hat, hat seine Stimme für Robert Habeck, nein, für Christian Lindner abgegeben, aber beide Politiker sind bis auf den unterschiedlichen Redegestus nicht mehr zu unterscheiden. 

Wag the dog also: FDP und Grüne haben gestern deutlich gemacht, dass sie die Eckpunkte der Regierungskoalition aushandeln werden, danach dürfen sich Olaf Scholz und Armin Laschet um einen Vorsprechtermin bemühen, damit Christian Lindner und Robert Habeck entscheiden, wer unter ihnen Kanzler wird. Übrigens dürfte dieses Procedere der FDP und den Grünen nicht erst am Wahltag eingefallen sein, denn Lindner präsentierte sich in Anne Wills Talkshow vor einer Woche erstaunlich grünenfromm, während Robert Habeck harmonieselig Christian Lindner beisprang und der FDP generös den Gefallen tat, deutlich zu verkünden, dass die Grünen zwecks Regierungsbildung nach der Wahl auch mit der Union reden werden. Bereits vor einer Woche schrieb ich, dass Christian Lindner bei Will so sprach, als habe er sich vorher von Robert Habeck schulen lassen: „Nein, wir brauchen einen Rahmen, den der Staat setzt. Daraus müssen sich die Klimaziele ergeben. Aber auf dem Weg dahin möchte ich gerne Naturwissenschaftlern und Technikern das Vertrauen geben, die wissen, wie wir es konkret machen.“ Robert Habeck hatte selbiges auf dem grünen Parteitag so formuliert, dass die freie Marktwirtschaft zwar wichtig sei, aber nur, wenn der Staat dafür sorge, dass „die großen Kräfte der Märkte, der Marktwirtschaft in die richtige Richtung laufen – und dann brauchen wir alle die Freiheit der Märkte, die Kreativität der Unternehmerinnen und Unternehmer“. 

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Das Lob der Freiheit von FDP und Grünen gilt einer Freiheit, die frei von Freiheit ist. Die (Un-)Freien Demokraten sind keine Liberalen, waren es vielleicht noch nie. Lindners Vorschläge treffen sich an diesem Punkt nicht nur mit Habecks Vorstellungen, sondern auch mit J.W. Stalins, der verfügt hatte, dass, wenn die Richtung stimmt, also der „Rahmen“, die Kader alles entscheiden würden – und genau diese Richtung wollen Habeck und Lindner in der sogenannten Klimapolitik, die zu einer Universalpolitik avanciert, vorgeben. Nicht Familien sind wichtig, sondern der „Klimaschutz“. Anne Will fragte daraufhin Robert Habeck: „Hat Christian Lindner mit seinem ‚der Markt regelt es selbst‘ den Stein der Weisen gefunden?“ Robert Habeck verteidigte seinen Koalitionspartner in spe mit der Worten: „Das ist nicht seine Position, so habe ich es auch nicht verstanden. Er sagte, Kreativität des Marktes nutzen und einen klaren rechtlichen Ordnungsrahmen, da würde ich gar nicht widersprechen.“ Schließlich, so Habeck: „Ordnungsrechtlicher Rahmen und Verbote sind das Gleiche. Dass wir uns immer für die Übersetzung ins normale Deutsch rechtfertigen müssen, ist ein Treppenwitz dieses Wahlkampfs.“

Im normalen Deutsch besteht allerdings ein fundamentaler Unterschied zwischen Freiheit und Zwang. Dass dem Grünen-Parteichef dieser Unterschied unbekannt ist, verwundert nicht. Dass auch die FDP diesen Unterschied nicht mehr kennt, eigentlich auch nicht mehr. Robert Habeck, ganz Staatsmann, wollte eine Koalition mit der FDP nicht an der „Rhetorik“ scheitern lassen. Wenn die FDP das Wort „ordnungsrechtlicher Rahmen“ lieber hat als das Wort Verbot, dann heißen Verbote künftig eben „Ordnungsrechtlicher Rahmen.“ Wie die Politik der De-Industrialisierung, der Forschungsverbote und der Wohlstandsvernichtung heißen mag, ist Habeck egal, wo es doch nur auf eines ankommt: „Klimaschutz ist die existenzielle Aufgabe unserer Generation. Wir können keine Koalition eingehen, die nicht den Weg des Paris-Pfads beschreitet.“ 

Einig sind sich Grüne und FDP auch darin, dass alle Dächer in Deutschland künftig voller Solaranlagen sein müssen. Während die Grünen das einfach befehlen wollen – auch auf diesem Weg kann man Eigenheimbesitzer enteignen, weil sie sich nicht die Solardachbelegung leisten können –, kommt die FDP auf den asozialen Einfall, diejenigen, die es sich leisten können, zu entlasten, denn die Idee einer Steuerabschreibung setzt voraus, dass man in der Lage ist, zunächst die 30.000 oder 40.000 Euro zu investieren, bevor man vielleicht 50 Prozent von der Steuer absetzen kann. Die SPD wird vielleicht noch die Idee einbringen, dass wer unter einem bestimmten Jahresverdienst liegt, Beihilfen vom Staat bekommt; leer ausgehen wird die mittlere Mittelschicht, die Familie, die ohnehin der Feind von SPD, FDP und Grünen ist. Die CDU kommt mit der famosen Idee eines zinslosen Kredits der KfW daher, was eine staatlich vorgeschriebene Zwangsverschuldung für Hauseigentümer bedeutet. Nahe sind sich FDP und Grüne auch in ihren antifamilienpolitischen Vorstellungen. 

Einst sagte die FDP tapfer: Lieber nicht regieren, als schlecht regieren. Die grün-rechtlichen Medien stimmten darüber ein Wutgeheul an. Daraus hat Christian Lindner gelernt. Seine Devise lautet nun: Lieber ganz schlecht regieren, als gar nicht regieren. Wobei Christian Lindner regieren in diesem Fall mit reagieren verwechselt. 

Für die CDU wäre es am besten, keine Regierungsbeteiligung anzustreben und sich in der Opposition zu reformieren. Aber man darf berechtigte Zweifel anmelden, dass die Erneuerung mit einem Spitzenpersonal von Tobias Hans bis Daniel Günther gelingt.

Die Union hat zwei schwere strategische Fehler begangen – und verharrt in ihnen, indem sie zwei linken und linksliberalen Mobilisierungsideologien bedingungslos und gläubig folgt: der vom Rechtsruck in der Gesellschaft und der Klimaapokalyptik. In beiden Fällen erledigten sie und erledigen sie weiterhin das Geschäft der Linken und Linksliberalen. Eine Union, die weiter den linken und grünen Ideologen hinterhertrottet und sich willig zu deren Handlanger macht, wird sich selbst erledigen.

Museumsstück Christdemokraten
Das endgültige Ende der Bonner Republik
Die Flammenschrift leuchtet seit geraumer Zeit an der Wand des Adenauer-Hauses, doch man ist damit beschäftigt, immer neue grüne Aufsteller vor die Wand mit der Flammenschrift zu schieben. Das C im Parteinamen könnte in der Union doch einmal dazu ermuntern, in die Bibel zu schauen – und zwar ins Buch Daniel, in dem es heißt: „So aber lautet die Schrift, die dort geschrieben steht: „Mene mene tekel u-parsin. Und sie bedeutet dies: Mene, das ist, Gott hat dein Königtum gezählt und beendet. Tekel, das ist, man hat dich auf der Waage gewogen und zu leicht befunden. Parsin, das ist, dein Reich ist zerteilt und den Medern und Persern gegeben.“

Die Union wird derzeit gewogen – und sie weiß es nicht. Markus Söder delirierte in der Elefantenrunde ohne Elefanten darüber, dass sie alle, womit er wohl Christian Lindner, Robert Habeck, Annalena Baerbock und Armin Laschet meinte, doch einer Generation angehörten und sie gemeinsam das Land reformieren und erneuern könnten, da müsse man sich nicht im Kleinklein verlieren. Fast hätte er noch das Lied angestimmt: „Wir sind die junge Garde des Proletariats“, das Lieblingslied der Greise im Politbüro der SED. Nichts jedoch ist abgeschmackter, als ein ältlicher Jugendwahn, der seine Opfer in kurze Hosen zwängt. 

Der Wähler hat die Union als zu leicht befunden. Sie hat noch eine, allerdings mühevolle Chance, noch eine Wiegung in der Opposition vor sich. Sollte sie diese nicht nutzen und weiter das Geschäft der Linken und Grünen betreiben, dann darf man getrost aus Johann Wolfgang von Goethes „Faust“ zitieren: „Alles was entsteht, Ist wert, dass es zugrunde geht.“ Das Auseinanderfallen der Union wird politische Kräfte freisetzen. Erfüllt die Union nicht ihre Aufgabe, werden sich andere Kräfte finden. 

Trotz Richtlinienkompetenz steht zu befürchten, dass der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland zum Frühstücksdirektor einer grünen Koalition aus FDP und Grünen wird. 

„Wag the dog“ heißt übrigens auch ein ziemlich guter amerikanischer Film mit Robert de Niro, Dustin Hoffman und Anne Heche in den Hauptrollen, in dem ein Hollywood-Produzent einen Krieg im fernen Albanien erfindet und medial inszeniert, um vor der Wahl das Bekanntwerden einer Affäre des Präsidentschaftskandidaten zu vertuschen. Man fühlt sich in den mediengestützten Inszenierungen der Klimaapokalyptiker an diesen Film erinnert.