Tichys Einblick
Sexismus-Debatte um Sommerhit

Die Empörung über „Layla“ ist künstlich – die Gegen-Empörung ist es nicht

Ganz Deutschland debattiert über ein eigentlich völlig harmloses Schlagerlied. Doch die Welle an inszenierter Empörung und echter Gegen-Empörung zeigt: Die Mehrheit der Deutschen will sich das Feiern nicht von Neo-Puritanern verderben lassen.

Screenshot via YouTube / Summerfield Records

Am Montag besuchte ich mit ein paar Freunden ein Schützenfest auf dem Dorf. Es wurde getrunken, getanzt, gesungen und gelacht. Und wie immer auf Schützenfesten galt auch hier: Je später der Abend, desto „schlechter“ die Musik. Ich schreibe „schlechter“ – als hätte ich nicht Arm in Arm mit meinen Freundinnen und Freunden im Zelt gestanden und mitgegrölt. Dass Ballermann-Musik oft niveaulos und gerade deswegen auch witzig ist, ist eigentlich nichts Neues. Von „Joana (du geile Sau)“ über „dicke Titten, Kartoffelsalat“ bis zu „Ich verkaufe meinen Körper“ – die Liste mit sexualisierten, anzüglichen Party-Schlagern ist lang und auch alt, wenn man an Klassiker wie „Skandal im Sperrbezirk“ denkt.

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Doch ausgerechnet Volksfestveranstalter haben plötzlich ein Problem mit dieser Musik: Erst in Würzburg, dann auf der Rhein-Kirmes in Düsseldorf und jetzt sogar auf dem Oktoberfest in München wird plötzlich der beliebteste Party-Song des Sommers zensiert. Es geht natürlich um „Layla“, den Song, der gerade nicht nur auf Platz 1 der Charts, sondern auch auf Platz 1 der Prioritätenliste der Moralinsauren dieses Landes steht. Ein dumpf-stumpf hämmernder Synthesizer-Sound, der kaum Melodie aufweist. Der Refrain ist dafür gemacht, ihn auch noch mit bierbeschwerter Zunge mitzugrölen: „La-la-la-la-la-la-la-Layla“, gereimt auf „geiler“. Klar: Goethe ist das nicht gerade. Wie auch kein anderes Lied auf solchen Volksfesten. Aber die Empörung ist neu.

„Sexistisch“, „objektifizierend“, „aus der Zeit gefallen“ sei der Song „Layla“, der eine Puffmutter gleichen Namens besingt. Und die seit jeher spaßbefreiten Woke-Brigaden in der Presse springen sofort drauf an: Ein Kommentar im Tagesspiegel stellt fest, das Lied sei „sexistischer Unfug“ und würde „Frauen zu Objekten machen“. Die Berliner Zeitung veröffentlicht sogar direkt eine Liste mit weiteren „problematischen“ Liedern: „Diese Songs sollte niemand hören“. Im Netz ergießt sich derweil eine Welle der Gegen-Empörung. Das alles wirkt wie eine Debatte aus den Tiefen des Sommerlochs – und vielleicht ist es das auch. Aber die Empörung über die Zensur des Liedes ist echt: Die Deutschen laufen Sturm gegen das Verbot „ihres“ Sommerhits.

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Seit Tagen ist der Song das politische Thema im Land. Warum? Denn dass Schlager oft niveaulos sind, ist keine Neuigkeit. Und der Vorwurf der Sexualisierung ist absurd, wo es doch um eine Puffmutter, eine Prostituierte geht, deren Beruf eben Sexarbeit ist. Die Empörung über das Lied ist nicht rational – sie ist vor allem von vorauseilendem Gehorsam gegenüber denen geprägt, die ohnehin unter jedem Stein einen Sexismus-, Rassismus- oder sonstigen -ismus-Skandal finden können, wenn sie ihn nur oft genug umdrehen. Ein Sprecher der Stadt Würzburg sagte, als Veranstalter des Volksfestes habe man den Festzeltbetreiber gebeten, den Song nicht mehr zu spielen. Zuvor hatte ein Medienhaus die Stadt auf den Song aufmerksam gemacht: Öffentliche Kritik hatte es bis dato gar nicht gegeben.

In einem Land, welches als Bordell-Hotspot Europas gilt, ist sie dazu auch noch verlogen: Schätzungen zufolge nehmen jeden Tag eine Million Menschen in Deutschland eine sexuelle Dienstleistung in Anspruch. Doch anstatt das zum Thema zu machen, wird lieber ein harmloser Song zum Thema skandalisiert. Ja: Das Lied ist komplett harmlos. Die bösesten Wörter im Text sind „Puffmama“ oder „Luder“ – beides liegt selbst unter dem Durchschnitt einer durchschnittlichen achten Klasse an deutschen Schulen, was Schimpfwörter angeht. Laut „Layla“-Macher DJ Robin huldigt der Songtext sogar eher einer starken Frau, als Sexismus zu befeuern. „Es geht bei dem Song nicht um eine Prostituierte, es geht um eine Puffmutter. Die passt auf die Prostituierten auf und leitet den Puff. Daher kommt in dem Lied kein Sexismus vor“, meint der Musiker gegenüber der Bild. Den hauptberuflich Empörten ist das freilich egal. Für die modernen Feministen ist Sexarbeit zwar „richtige Arbeit“ und wird als „Empowerment“ gesehen – aber singt man darüber, ist es falsch und frauenfeindlich.

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Gegenüber der Zensur des Liedes ergoss sich in den vergangenen Tage wiederum sowas wie eine Welle der Gegen-Empörung. Es ist zwar bemerkenswert, dass sich die Ablehnung der Deutschen gegenüber den allgegenwärtigen linken Neo-Puritanern nicht etwa an der Beschränkung der akademischen Freiheit oder gecancelten Vorträgen, sondern an der Zensur eines Trinkliedes herauskristallisiert: Aber klar ist, dass die allermeisten Menschen in Deutschland kein Problem mit dem Lied, sondern mit dem moralinsauren Empörungsmob haben. Dass „Layla“ Patz eins der deutschen Charts erobert hat, spricht eigentlich für sich. Im Rahmen der Debatte stiegen die Streaming-Zahlen massiv: Erst vor wenigen Tagen erreichte DJ Robin mit dem Lied über eine Million Hörer in nur 24 Stunden. Die Botschaft der Deutschen scheint klar, wie es schon im Songtext heißt: „Wir lieben dich, Layla“.

Dass im Sommerloch eine solche Debatte hochkochen kann, ist wenig überraschend. Aber sie zeigt eben auch: Die Realität ist nicht Twitter und nicht die woke Redaktionsstube. Auf dem Schützenfest, welches ich am Montag besuchte, standen jedenfalls alle zusammen im Zelt – Männer und Frauen jeden Alters – und besangen die „wunderschöne Layla“.

Die kommt vielleicht sogar vom Sozialamt: Denn Sex gilt als Versicherungsleistung der Krankenkassen. Nach einem schweren Arbeitsunfall kann die Berufsgenossenschaft (BG) zur Kostenübernahme einer »Sexualassistenz« zur Befriedigung der sexuellen Bedürfnisse schwerbehinderter Unfallopfer verpflichtet werden, entschied das Sozialgericht Hannover (Aktenzeichen: S 58 U 134/18 ). Sie könne im Rahmen eines persönlichen Budgets als Leistung zur sozialen Teilhabe gewährt werden, um »das gestörte seelische Befinden des Behinderten« zu verbessern und sein Selbstbewusstsein zu stärken, so die Richter weiter.

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