Tichys Einblick
Corona Update 8. Februar

Lauterbach steht unter Öffnungsdruck und die Pfleger-Impfpflicht vor dem Aus

Der Auftritt des Gesundheitsministers vor der Bundespressekonferenz zeigt: Der Gesundheitsminister ist zur Belastung für die Regierung geworden. Nicht erst Söders Weigerung, die Pfleger-Impfpflicht umzusetzen, sondern die Corona-Wirklichkeit offenbart deren Untauglichkeit – und damit die des Ministers.

IMAGO / photothek

Die ersten 100 Tage der neuen Regierung sind noch lange nicht vorbei – dennoch sieht Gesundheitsminister Karl Lauterbach an diesem Dienstagmorgen in der Bundespressekonferenz aus, als würde er den nervenaufreibenden Job schon seit Jahren machen. Die Liste seiner Fehler in dieser kurzen Zeit ist schon lang.

Nachdem der Genesenen-Status-Streich nicht nur große Teile des eigenen Lagers gegen ihn aufbrachte und das RKI völlig diskreditierte, entpuppte sich auch seine Impfstoff-Bestellung als Fehlschlag, die allgemeine Impfpflicht steckt fest, die ersten Bundesländer beginnen jetzt eigenmächtig mit Lockerungen. Doch es ist ausgerechnet Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, der ihm jetzt den entscheidenden Schlag versetzt. Jener Söder, der Lauterbachs Ernennung einst einforderte und mit ihm wie kein zweiter für die härtesten Maßnahmen warb.

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Söder will die Pfleger-Impfpflicht in Bayern einfach nicht umsetzen – sollten weitere Bundesländer folgen, wäre das Debakel komplett. Und CDU-Chef Friedrich Merz hat sich schon auf Söders Seite geschlagen, also CDU-Ministerpräsidenten den Weg freigemacht. Das erste große Vorhaben der Bundesregierung wäre im Sande verlaufen – das wäre ein Rücktrittsgrund.

Auf den ersten Blick ist Söders Vorhaben ungeheuerlich – ein Bundesland, dass ein Gesetz des Bundes einfach verweigert? In der Bundesrepublik ein einmaliger Vorgang, ein Unding. Entsprechend gereizt reagiert Lauterbach: Es sei für die „Politik insgesamt sehr problematisch. Das heißt, dass Gesetze gelten, aber nicht von Ministerpräsidenten umgesetzt werden. Das halte ich für problematisch“ meint er.

Doch die Bundesregierung hat es selbst genau auf dieses Ende angelegt. Bis heute wissen Betroffene und Kliniken nicht, was in gut einem Monat passieren soll. Söder hat die Lücke erkannt und geht zum Angriff über: Weil das Gesetz eine nicht näher definierte „Einzelfallprüfung“ der Gesundheitsämter vorsieht, eröffnet es den Bundesländern die Möglichkeit, fast unbegrenzt Einfluss zunehmen. Und ihnen bleibt auch kaum etwas anderes übrig, denn dieses Gesetz ist tatsächlich wohl undurchführbar.

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Eine gewissenhafte Einzelfallprüfung würde nicht nur die Kapazitäten der Ämter übersteigen – es lagert auch eine politische Entscheidung am Ende auf die Verwaltung aus. Denn kaum ein Pfleger oder Arzt in Deutschland ist wohl unterarbeitet, die Personalsituation ist flächendeckend nicht sonderlich gut. Die Abwägung zwischen Personalknappheit und der Wichtigkeit der Impfung für das Personal ist nie eindeutig – das erfordert immer eine eigene Grundsatz-Abwägung des zuständigen Beamten.

Die Ausarbeitung des Gesetzes erfordert eine politische Anweisung, wie man nun damit umgehen soll soll. Man muss den Ämtern eine Linie an die Hand geben, sonst kann man auch gleich Lose ziehen. Dass Söder hier handelt, kann man ihm kaum vorwerfen – die Probleme sind für alle, die es wissen wollten, seit Monaten bekannt. Doch der Bund ignorierte alle Warnungen einfach.

Und die Entscheidung, hier zunächst keine Betätigungsverbote auszusprechen, ist insbesondere in Bayern angesichts niedriger Impfquoten beim medizinischen Personal eigentlich zwingend. Nach heutigem Stand würde ein solches Gesetz in einer Omikron-Welle wohl auch niemand mehr beschließen. Es ist von vornherein kontraproduktiv.

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Und das ist für Lauterbach der Knackpunkt: Die gegenwärtig voran- getriebene Corona-Politik ist im Prinzip nichts weiter als eine Durchführung der Versprechen, die die Regierung im Corona-Winter gab, gestützt auf ein Meinungsklima der Angst. Damals konnte es nicht grobschlächtig genug sein und für Details hatte keiner Zeit. Jetzt, wo die großspurigen Versprechungen in die Tat umgesetzt werden sollen, hat sich nicht nur die reale Lage, sondern auch die Stimmung gedreht. Die Regierung hat sich weit aus dem Fenster gelehnt – und rutscht jetzt ab.

In der Bundespressekonferenz am Dienstag kommen alle diese Probleme zusammen: Söders Attacken sind Thema, genau wie mit Lockerungen vorpreschende Ministerpräsidenten.

Lauterbach fällt es vor allem deshalb so schwer, hierauf zu reagieren, weil er keine konsequente Linie mehr hat. Die Überlastung der Krankenhäuser ist vom Tisch – das sagen mittlerweile selbst die Verantwortlichen aus der Branche. Omikron ist wenig gefährlich und die Impfung wirkt immer schlechter. Er wechselt die Argumente für die immer gleiche Politik mittlerweile wie Kleidung.

Bis zuletzt war es noch die nächste Welle im Herbst, die da drohe, wegen der man weiterhin eine Impfpflicht brauche. Jetzt sagt er: „Weitere Lockerungen sind nicht vertretbar. 100 bis 150 Tote am Tag sind zuviel“. 100 bis 150 Tote am Tag – das sind deutlich weniger als manche Grippewelle der letzten Jahre brachte.

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Und der neben ihm sitzende RKI-Chef Wieler ist auch mehr Belastung als Hilfe. Selbst die FDP fordert nun seinen Abtritt, die Genesenen-Affäre hat ihn diskreditiert. Lauterbach muss ihm erneut das Vertrauen aussprechen, was in der Politik tendenziell das Gegenteil bedeutet. Wieler entgegnet auf die Vorwürfe, dass er heute Geburtstag habe und er sich nichts schöneres vorstellen könne, als hier zu sitzen. Man sei sich ja auch ans Herz gewachsen. Lauterbach lächelt nachdenklich.

Die Luft ist raus aus der Corona-Mannschaft, die unter so vielen Vorschusslorbeeren startete. Lauterbach geht seit Wochen durch einen Spießrutenlauf und ist selbst zur Belastung geworden. Für Scholz ist es eine Katastrophe – aber auch eine Chance. Wenn er Lauterbach zur rechten Zeit abwirft, ist das die perfekte Vorlage, um sich selbst aus der Affäre zu ziehen. Der Sündenbock wäre gefunden, und Scholz könnte sich zumindest an einem Krisenherd freischwimmen. Er selbst ist für so einen Plan vermutlich noch nicht bereit – die äußeren Umstände könnten es aber bald erzwingen. Ein Kapitel schließt sich.

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