Tichys Einblick
Kein Busserl für Nancy

Was wird aus Faeser?

Die Zukunft von Nancy Faeser ist nach dem 8. Oktober völlig offen. Denn anscheinend unterstützt Olaf Scholz die Spitzenkandidatin nach der Schönbohm-Affäre und der sich abzeichnenden Wahlniederlage in Hessen nicht mehr vorbehaltslos. Eine misslungene Geste zwischen Kanzler und Ministerin zeigt, dass das Verhältnis angespannt ist.

IMAGO / brennweiteffm
Heide Simonis war einmal SPD-Ministerpräsidentin in Schleswig-Holstein. In die Geschichte der Bundesrepublik ist sie nicht wegen ihrer Politik, sondern wegen eines einzelnen Zitates eingegangen: „Und wo bleibe ich dabei?“ Simonis wollte bis zuletzt nicht wahrhaben, dass ihre Zeit vorbei war und wollte ihre rot-grüne Minderheitsregierung von dem Südschleswigschen Wählerverband toleriert wissen. Am Ende erledigte „Pattex-Heide“ ein bis heute unbekannter Abgeordneter aus den eigenen Reihen, der ihr die Stimme versagte.

Eine ganz ähnliche Rolle hat die Fast-Ministerpräsidentin Andrea Ypsilanti eingenommen. Auch ihr ging es vornehmlich um die eigene Zukunft. Weil sie sich einer Großen Koalition mit Roland Koch nicht unterordnen wollte, suchte sie die Stimmen bei der Linkspartei – damals, im Jahr 2008, ein Politikum für die SPD und ihre Wähler. Auch sie scheiterte zuletzt de jure an den versagten Stimmen in den eigenen Reihen; de facto aber vor allem an sich selbst.

Mit Ypsilanti sind wir mitten im hessischen Wahlkampf. Simonis war Ministerpräsidentin, Ypsilanti hatte Aussichten darauf – bei Nancy Faeser liegt aber selbst das in weiter Ferne. Gemein hat sie aber mit den anderen SPD-Frauen, dass ihre Zukunft an der Wahl hängen müsste. Eigentlich. Im Landtagswahlkampf gescheiterte Bundesminister haben nicht den Ruf, nach Berlin zurückzukehren. Andersherum hängen im Bund gescheiterte Landespolitiker in Berlin fest – Stichwort Armin Laschet.

Am Wochenende gab es einen vielsagenden Moment. Auf einer Wahlkampfveranstaltung trat Bundeskanzler Olaf Scholz als Wahlhilfe auf. Scholz will – verbal – schärfere Grenzkontrollen, die Reisefreiheit in Europa dürfe nicht missbraucht werden. Am Ende des Auftritts stimmt Faeser zu und will den SPD-Genossen auf die Wange küssen. Doch Scholz wendet sich im entscheidenen Moment ab. Es gibt eine ganze Reihe von Fotos, die den Moment einfangen, wie Scholz seine Ministerin kalt auflaufen lässt. Am Ende pappen sie Wange an Wange.

Das ist nicht nur ein peinlicher Moment für Faeser für die Fotohistorie. Denn dass Scholz die Innenministerin kalt abblitzen lässt, hat mehrere Symbolebenen. Dass der in Osnabrück geborene und in Hamburg aufgewachsene Kanzler nicht zu den temperamentvollsten Erscheinungen der deutschen Bundespolitik gehört, mag eine Banalität sein. Aber die offensive Ablehnung trifft Faeser. Der Kanzler versucht die Szene wegzulächeln. Faeser dagegen wirkt geknickt.

Es ist der Moment, an dem die Unsicherheit Faesers über ihre eigene Zukunft offen zutage tritt. Sie ist in Baunatal, doch Berlin sitzt ihr im Nacken. Dazu zählt nicht nur die Migrationspolitik, die sie in der Realität anders betreibt, als sie dem Publikum auf dem Marktplatz verkauft. Dazu gehört die gärende Affäre Schönbohm und dessen Abhörung; die Vorladungen vors Plenum; und der Umstand, dass in anderen Legislaturen der Bundesrepublik ein Minister mit so einem Fehlverhalten längst entlassen worden wäre. ZDF-Intendant Norbert Himmler hält in diesem Skandal seine Hand über Jan Böhmermann; und Olaf Scholz hält seine Hand über Nancy Faeser. Noch.

Faeser ist nicht hessische Spitzenkandidatin geworden, weil sie Bundesministerin ist; sondern sie ist Bundesministerin geworden, weil die SPD sich erhoffte, dass Faeser so bis zur Landtagswahl genügend Bekanntheit und Profil gesammelt hat, um in Hessen besser abzuschneiden. In der Tat: Bekanntheit und Profil hat Faeser in den letzten anderthalb Jahren gesammelt. Aber nicht die Form von Bekanntheit und Profil, die in das Amt des Ministerpräsidenten trägt. Die Bürger kennen Faeser mittlerweile. Vielleicht schon zu gut. Womöglich hätte „Nancy Unbekannt“ besser abgeschnitten als die Skandalministerin.

Nun also auch die Simonis-Frage an Faeser: wo wird sie bleiben? Keiner kann es beantworten. Die SPD könnte sich ihrer sanft entledigen, wenn sie in Hessen scheitert und somit den Schönbohm-Skandal nach Wiesbaden auslagern. Aber die alte Methode könnte problematisch werden, weil es ein Eingeständnis würde. Und Fehler zugeben in der Politik und Konsequenzen ziehen? Das vermittelt Schwäche. Andererseits würde eine doppelt angeschlagene Bundesministerin für die Ampel zur Hypothek.

Dass Faeser sich nicht sicher sein kann, dass Scholz sie mit Kusshand in Berlin aufnimmt, hat der Kanzler am Wochenende bewiesen. Sie läuft ihm hinterher. Er lässt sie stehen. Rückendeckung sieht anders aus.

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