Tichys Einblick
Die kölsche Toleranz

Kölner Karneval nur für Geimpfte und Genesene

Beim heutigen Auftakt des Kölner Karnevals am 11.11. gilt in der ganzen Stadt die 2G-Regel. In den Kneipen und Sälen dürfen nur Genesene und Geimpfte feiern. In bestimmten Zonen gilt die Regel auch unter freiem Himmel. Für Anwohner gibt es einen Passierschein – von einem Karnevalsverein.

IMAGO / Future Image

Am „Elften im Elften“ wird in Köln traditionell die Karnevalssession eröffnet. Nach coronabedingter Pause im letzten Jahr freuen sich viele Kölner darauf, endlich wieder Karneval zu feiern. Und damit die Jecken das auch tun können, ohne sich dem Risiko auszusetzen, von einem Ungeimpften infiziert zu werden, werden Letztere vom Feiern ausgeschlossen: nicht nur in Innenräumen, sondern teilweise auch unter freiem Himmel. Die Sperrzonen befinden sich in der Kölner Altstadt und im Kwartier Latäng, wo immer besonders ausgelassen gefeiert wird.

Ausgenommen sind Anwohner sowie Gewerbetreibende und deren Beschäftigte, die sich vorab eine Zugangsberechtigung von der Stadt Köln besorgt haben, oder — jetzt kommt der Clou — von der Willi-Ostermann-Gesellschaft, einem privaten Verein. Die Karnevalsgesellschaft, Veranstalter des Bühnenprogramms am Heumarkt, wurde per Allgemeinverfügung der Stadt Köln dazu ermächtigt, Passierscheine für den Heumarkt und den Altermarkt auszustellen. Die Übertragung hoheitlicher Aufgaben per Allgemeinverfügung auf einen privaten Verein ist aus juristischer Sicht wohl eher fragwürdig.

Großes Fastelovends-Impfen auf dem Heumarkt

Ende August fand eine gemeinsame Impfaktion des Festkomitees Kölner Karneval und der Stadt Köln statt, bei der auch gleich Karten für die Sessionseröffnung am Heumarkt verkauft wurden. Begleitet wurde das „Große Fastelovends-Impfen“ von einem karnevalistischen Rahmenprogramm. „Wer an dem Tag mit der ersten Impfung startet, ist pünktlich zum Elften im Elften durchgeimpft und spart sich somit die PCR-Testung vor einer Karnevalsveranstaltung“, versprach das Festkomitee. Stand der Dinge damals: Mittels PCR-Test negativ Getestete dürften an karnevalistischen Veranstaltungen teilnehmen.

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Nun ist klar: Zumindest beim Sessionsauftakt gilt die 2G-Regel. Was in der folgenden Session und an den Karnevalstagen von Weiberfastnacht bis Aschermittwoch gelten wird, ist noch nicht beschlossen, aber alles deutet auch hier auf die 2G-Regel hin. Oberbürgermeisterin Henriette Reker plädiert unabhängig vom 11.11. für 2G-Plus, also eine Testpflicht auch für Genesene und Gesunde. Das Festkomittee Kölner Karneval hat jedenfalls eine Lösung für die Bands und ihre Roadies, für die Tanzgruppen sowie traditionellen Tanzcorps auf ihren zahlreichen Auftritten gefunden. Es gilt: Wer nicht geimpft oder genesen ist, darf nicht auf die Bühne.

Der Sprecher der Roten Funken sagte laut Kölner Stadtanzeiger dazu: „Kein Problem für uns. Hauptsache, wir können wieder feiern.“ Viele hatten es schon vorher geahnt: Die Hauptsache für den Kölner scheint es, Karneval zu feiern, egal, was es kostet. Dass zig junge Tänzer und Tänzerinnen, Bandmitglieder, Bühnenhelfer, Kellner und Kellnerinnen — kurz: alle, die irgendwie an den Veranstaltungen mitwirken wollen oder müssen — sich impfen lassen müssen, das scheint den Verantwortlichen egal zu sein. Trotz Bedenken wegen Nebenwirkungen und Impfschäden bei nur geringem Schutz, wie sich immer häufiger erweist.„Hauptsache, wir können wieder feiern.“

Zugegeben: In diesen Zeiten, in denen der bayrische Ministerpräsident sogar Kinder von kulturellen Veranstaltungen ausschließen will, ist das ja nichts wirklich Außergewöhnliches. Es geht aber hier um die Domstadt am Rhein, die es sich auf die Fahnen geschrieben hat, ganz besonders tolerant zu sein. Tolerant gegenüber fremden Kulturen, gegenüber allen Religionen, gegenüber LGBTQ und gegenüber jedweden Minderheiten – kurz: tolerant gegenüber allen anders Denkenden und Lebenden.

Fast überall in Köln, an Supermarkteingängen, Hotels, Gaststätten und Kneipen sieht man die Regenbogenfarben als Bekenntnis für Toleranz und Vielfalt. An vielen Fenstern und Balkonen hängen Fahnen, auf denen steht „Kein Veedel für Rassismus“, übrig geblieben von einer Aktion gegen die AfD, in der die Kölner aufgerufen wurden, „Flagge zu zeigen: Für ein buntes und solidarisches Köln“. Darauf ist die Kölner Skyline abgebildet: der Kölner Dom, die Hohenzollernbrücke, der Fernsehturm, die Kranhäuser — so, wie man sie kennt. Nun ist auch die Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld abgebildet, von der demnächst wohl aus Gründen der Supertoleranz der Muezzinruf erklingen wird.

Das „supertolerante“ Köln

Man zeigt in Köln also Flagge gegen Diskriminierung von Menschen fremder Kulturen, Herkunft, Religion, sexueller Orientierung. Doch Menschen, die sich aus persönlichen Gründen nicht impfen lassen wollen, werden diskriminiert und ausgegrenzt. Gesunde werden ausgeschlossen – auf den Verdacht hin, dass sie infektiös sein könnten. Sie bekommen noch nicht einmal mehr die Chance, ihre Gesundheit mit einem Negativtest nachzuweisen! Ist das Verlogenheit, Ignoranz oder Dummheit?

Toleranz ist das, wofür sich die Domstadt am Rhein und ihre Bürger auch gern von ihren zahlreichen Bands besingen lassen. „Du bes Kölle, Du bes supertolerant, nimps jeden op d’r Ärm un an de Hand“, so singt Tommy Engel, bis 1994 Sänger der bekannten kölschen Band Bläck Fööss. Scheinbar gehört zu „jeden“ dann wohl doch nicht mehr jeder. Seine Konzerte fanden bereits im September im 2G-Modus statt, durften also nur von geimpften und genesenen Zuschauer besucht werden („Klare Ansage vor Köln-Konzerten: 2G oder 3G? Tommy Engel hat sich längst entschieden“).

Peter Brings, Sänger der gleichnamigen Band Brings, ebenfalls im Karneval erfolgreich, sprach sich für die 2G-Regel bei seinen Konzerten aus und berief sich dabei auf sein Hausrecht. Er plädierte bereits im Sommer für den Ausschluss Ungeimpfter im gesamten Kölner Karneval. Er selbst wolle niemanden zur Impfung zwingen, aber „wegen ein paar Idioten sollen wir dann nicht mehr unser Grundrecht ausüben können?“ („Habe das Hausrecht: Kölschrocker Peter Brings knöpft sich Impfgegner vor). Einen Teil seiner Fans als „Idioten“ zu bezeichnen, das ist schon hart.

„De Höhner“, eine weitere Kölner Band, die über die Stadtgrenzen hinaus bekannt ist, hatte sich schon im April von ihrem Gitarristen getrennt. Die Begründung bei Facebook lautete zunächst: Der Musiker habe auf seinen Social-Media-Plattformen eine „Haltung“ zur Corona-Pandemie veröffentlicht, die nicht der Überzeugung der anderen Band-Mitglieder entspreche. Die Diskussionen seien „ergebnislos“ verlaufen.

Von den Höhnern stammt auch die Hymne des Fußball-Vereins 1. FC Köln, die vor jedem Spiel lauthals, stolz und andächtig von den FC-Fans im Stadion gesungen wird. „Ov jung oder alt – ov ärm oder rich, zesamme simmer stark FC Kölle.“ Ob jung oder alt, ob arm oder reich — man würde gern ergänzen: „Ob geimpft oder nicht.“ Aber auch beim FC Köln gehört ein Teil der Fans nicht mehr dazu. Der Verein hat entschieden: Seit dem zweiten Saison-Heimspiel dürfen nur Geimpfte und Genesene ins Stadion.

Wo führt das alles hin? Wird von Weiberfastnacht bis Aschermittwoch, wenn traditionell viele Veranstaltungen einschließlich der Karnevalsumzüge und natürlich dem Rosenmontagszug unter freiem Himmel stattfinden, ganz Köln zur Sperrzone für Ungeimpfte erklärt? Und werden dann „Passierscheine“ für Anwohner und Beschäftigte ausgestellt von Karnevalsvereinen, die von der Stadt Köln dazu ermächtigt werden? Oder erledigt das gleich das Kölner Dreigestirn? Während der Karnevalssession sind Prinz, Bauer und Jungfrau die offiziellen Regenten über das närrische Volk. Sie könnten dann ja bestimmen, wer mitfeiern darf und wer nicht.

Allerdings musste das Dreigestirn für den 11.11. alle Auftritte absagen: Der Prinz wurde positiv auf Corona getestet – trotz vollständiger Impfung! Laut WDR erklärte der designierte Prinz Sven: „Aber Sicherheit geht vor – auch und gerade im Karneval. Deswegen mein Appell an alle Kölner: Lasst Euch impfen!“

Darauf ein dreifaches Kölle alaaf!

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