Tichys Einblick
Scholz’ nächster Wackelkandidat

Karl Lauterbach ist ein Minister auf Bewährung

Für Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wird 2023 zur Bewährungsprobe: Er muss die Pflegeversicherung reformieren, die Kliniken und die Krankenkassen – der Koalitionspartner hilft ihm dabei nicht gerade.

IMAGO / Fotostand
Die Welt des Gesundheitsministers war in Ordnung – bis zum 24. Februar 2022. Er war der Corona-Minister und durfte es auch sein. Doch mit dem Kriegsbeginn in der Ukraine rückte die Pandemie in den Hintergrund. Karl Lauterbach versuchte zwar alles. Er mobilisierte seine Freunde in den Talkshow-Redaktionen, er beschwor in der Bild die „absolute Killervariante“ und ging als eine Art Pharmareferent auf Werbetour für Paxlovid. Doch das Interesse ließ nach. Im Frühjahr fuhr der Gesundheitsminister eine herbe Niederlage im Bundestag ein, als das Parlament sich gegen eine allgemeine Impfpflicht aussprach. Im Spätsommer erkämpfte Lauterbach dann einen letzten Sieg gegen Justizminister Marco Buschmann (FDP), als er die Maßnahmen verlängern ließ. Es könnte ein Pyrrhussieg gewesen sein, wie sich jetzt herausstellt.

Denn Lauterbach demütigte auf der entsprechenden Pressekonferenz den Koalitionspartner, den er jetzt braucht und der in Person von Christian Lindner das Finanzministerium führt. 2023 könnte zum Jahr der Rache der FDP am Maßnahmenminister werden. Denn Lauterbach braucht Geld. In Milliardenhöhe. An mehreren Stellen. Die Pflegeversicherung musste Lauterbach schon im vergangenen Jahr vor der Zahlungsunfähigkeit bewahren. TE berichtete mehrfach.

Bisher hat Lauterbach bei seinen Rettungsaktionen mit Geld aus dem System der Sozialversicherung gearbeitet. Das heißt, er hat Rücklagen aufgebraucht und Schulden auf Rechnung der Kassen gemacht. Doch der so gewonnene Spielraum dürfte 2023 aufgebraucht sein. Das Jahr wird somit zur Bewährungsprobe für den Gesundheitsminister. Denn er muss Reformen vorlegen. Und zwar echte. Dabei wird der Bund kaum zusätzliches Geld in die Sozialversicherung pumpen, wie jetzt das Handelsblatt berichtet hat. Zumindest nicht so viel, wie Lauterbach braucht.

Zwar braucht Lauterbach dringend Geld für seine größten Baustellen: Kliniken, Arzneiversorgung, Krankenkassen und Pflegeversicherung. An der Stelle moniert der Minister, es fehle Geld. Um es dann aber an anderer Stelle mit beiden Händen rauszuwerfen. Der von den Medien gemachte Minister will seinen Freunden unter den Journalisten was bieten – damit die ihn weiter in strahlendes Licht setzen können:

  • 1000 Gesundheitskioske sollen die Krankenkassen aufbauen, als Arzt-Ersatz für Menschen, die nicht zum Arzt gehen wollen.
  • Kliniken will er dafür bezahlen – einfach nur – dass sie da sind. Er wolle das Gesundheitswesen durch diese „Revolution“ entökonomisieren.
  • Die Krankenkassen sollen eine „Unabhängige Patientenberatung“ aufbauen. Wenn der Patient mit dem Arzt unzufrieden ist, aber der Kasse nicht traut – oder umgekehrt –, dann soll diese Stiftung ein Anlaufpunkt für Beratung sein.
  • Medikamente macht Lauterbach künstlich teurer. In Deutschland gebe es zu wenig Arznei, weil die Pharmaindustrie hierzulande nicht genug daran verdiene – sagt der Mann aus Leverkusen.
  • Kinderärzten will Lauterbach zu höheren Einkommen verhelfen, um die Fachrichtung attraktiver zu machen.

Nun mögen manche dieser Vorschläge wünschenswert sein. Aber Lauterbach macht sie in einem System, das finanziell bereits an seine Grenzen gestoßen ist. Allein die gesetzlichen Krankenkassen werden in diesem Jahr rund 300 Milliarden Euro für die gesundheitliche Versorgung ausgeben. Das seien fast fünf Prozent mehr als 2022, sagte Ulrike Elsner. Sie steht dem Vorstand des Verbandes der Ersatzkassen vor, zu dem unter anderem die Techniker Krankenkasse (TK) und die Barmer gehören. Die Parole der „Entökonomisierung des Systems“ sei wenig hilfreich, warnt Elsner: „Die Versorgung muss auch bezahlbar bleiben.“

Angesichts der steigenden Ausgaben müsse Lauterbach die Finanzen der Krankenkassen nachhaltig sanieren, sagt Uwe Klemens. Er ist ehrenamtlicher Vorsitzender des Verbandes der Ersatzkassen. Kommen diese Reformen nicht, warnt Klemens vor steigenden Beitragssätzen für das nächste Jahr. Einsparpotenzial gebe es, erinnert Elsner den Minister: Es sei zwar zum Beispiel nicht grundsätzlich verkehrt, Krankenhäuser schon dafür zu bezahlen, dass sie Leistungen grundsätzlich anbieten. Doch dann müssten zuvor Doppelstrukturen abgebaut werden. Zu viele klinische Angebote gebe es vor allem in größeren Ballungsräumen.

Auch in der Pflegeversicherung steigen die Ausgaben. Für die Betroffenen und ihre Angehörigen führt das schon jetzt zu einem dramatischen Preisanstieg: Sie zahlen mittlerweile laut Ersatzkassen im Schnitt monatlich 2411 Euro an Eigenanteilen – vor einem Jahr waren es noch 2183 Euro. Das gilt für Menschen, die ein Jahr im Heim verbringen. Ab dem zweiten Jahr sind es dann „nur“ noch 1955 Euro im Monat – aber auch hier sind die Kosten um 186 Euro im Monat gestiegen. Dabei sei die Pflegeversicherung gegründet worden, um Armutsrisiken zu vermeiden, erinnert Elsner. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, brauche es nun eine „Reform aus einem Guss“.

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Doch Lauterbachs bisherige Strategie lautet: Geld ausgeben. Am liebsten das Geld der anderen. Als im Dezember offenbar wurde, dass es in Deutschland nicht mehr ausreichend Arznei gibt, hob Lauterbach die Rabattverträge zwischen Kassen und Industrie auf. An Medizin mangele es, weil die Pharmaindustrie nicht genug daran verdiene, argumentierte der Sozialdemokrat. Diese Regelung soll nun kommenden Monat in Kraft treten.

Für Olaf Scholz ist Karl Lauterbach gleich mehrfach zum Problemminister geworden. Er ist mit seiner Ausgabenwut die Bresche, über die sich der Koalitionspartner FDP Zugeständnisse erzwingen kann. Und er könnte Ende des Jahres für Schlagzeilen sorgen wie: Kassenbeiträge steigen, Eigenanteile in der Pflege werden höher, Kliniken schließen aus Finanznot oder Beiträge zur Pflegeversicherung steigen. Während der Medienminister dann zeitgleich durch Deutschland fährt und in der für ihn üblichen Selbstverliebtheit Gesundheitskioske eröffnet. Ein Ärzte-Service, für Menschen, die nicht zum Arzt gehen wollen.

Im Gesundheitswesen rechnen viele damit, dass Lauterbach sich an den dringend notwendigen Reformen die Zähne ausbeißen wird. Für den Herbst haben viele ebenso einen Umbau des Kabinetts erwartet. Vor allem, falls Innenministerin Nancy Faeser (SPD) nach Hessen wechseln sollte. Mit dem Wechsel im Verteidigungsministerium musste Scholz aber nun bereits kurzfristig handeln. Lauterbach gleich mit los zu werden stand im Raum, aber das hat der Macht-Taktiker Scholz verworfen.

Aus Gründen: Ein Nachfolger – oder eine Nachfolgerin – würde fast zwangsläufig an Lauterbachs Baustellen scheitern. Also lässt der Kanzler den amtierenden Gesundheitsminister erst einmal einen derartigen Scherbenhaufen anrichten, vor dem ein Nachfolger zwangsläufig besser aussehen muss als der Vorgänger. Genauso wie im Verteidigungsministerium. Karl Lauterbach ist aktuell ein Minister auf Bewährung.

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