Tichys Einblick
Ende der Maskenpflicht?

Karl Lauterbach geht die Pandemie aus

Impfzentren schließen, die Isolationspflicht fällt, Testzentren sind umstritten und die Maskenpflicht im Bus soll weg. Karl Lauterbach geht die Pandemie aus. Der Gesundheitsminister ist damit ein Hemmschuh für die SPD.

IMAGO / Christian Spicker
Spricht Karl Lauterbach (SPD) in diesen Tagen über Corona, wirkt er wie ein Regenmacher, der die Winterwelle herbeibeschwört. Das hatte er zuvor schon mit der Herbstwelle getan. Dann kam die, die Zahlen gingen hoch und trotzdem weigerten sich die Länder, Lauterbachs Maßnahmen anzuwenden. Die Zahlen gingen wieder runter. Von alleine. Und was lange als Verschwörungstheorie galt, zeigt sich in den Zahlen des Herbstes: Es gibt einen Zusammenhang mit dem Wetter. Ist der September außergewöhnlich kalt, gehen die Infektionszahlen hoch. Fällt der Oktober überdurchschnittlich mild aus, gehen sie halt wieder zurück. Ganz ohne 2G und Maskenpflicht in Innenräumen.

Dass sich an der Corona-Politik etwas ändern muss, hat sich mittlerweile auch in der SPD herumgesprochen: Mitte Oktober sagte der rheinland-pfälzische Gesundheitsminister Clemens Hoch gegenüber der Rhein-Zeitung, dass die Isolationspflicht „nicht mehr zeitgemäß“ sei. Wer als Infizierter keine Symptome habe, der solle arbeiten gehen. Die Länder sollten sich darauf einigen, die Isolationspflicht gemeinsam aufzuheben – so der SPD-Minister im Oktober. Aber dem stand Lauterbach im Weg.

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Mit dem Ende der Isolationspflicht beginnt die Rückkehr in die Corona-Rationalität
Dann sind Bayern, Hessen, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein vorgeprescht, haben die Isolationspflicht von sich aus und für sich alleine aufgehoben. Die vier Länder haben das vergangene Woche zusammen verkündet. Sodass sie sich vermutlich abgestimmt haben. In zwei der beteiligten Länder stellt die CDU den Ministerpräsidenten, in einem die CSU und im vierten Land ist die CDU an der Regierung beteiligt. Die Union hat den Ausstieg aus den Corona-Maßnahmen zu einem parteipolitischen Thema gemacht.

Vorneweg geht der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU). In der Pandemie war er ein Hardliner und feierte sich selbst als „Team Vorsicht“. Doch Söder folgt dem Wind und der hat sich gedreht. Der Ministerpräsident hat das Oktoberfest durchgesetzt – obwohl Lauterbach aus Berlin dagegen möpperte. Damit hat Söder prägende Bilder geschaffen. Eines davon lieferten grüne Spitzenpolitiker, die sich beim maskenlosen Feiern fotografieren ließen. Auch die Grünen setzen sich von der Corona-Politik des Gesundheitsministers ab. Deshalb gehört Baden-Württemberg zu den Ländern, die für sich die Isolationspflicht abgeschafft haben.

Es sind vorsichtige Absetzbewegungen. Zum einen vorsichtig, weil den Bürgern fast drei Jahre eingehämmert wurde, der Kampf gegen das Corona-Virus sei das oberste staatliche Ziel. Zum anderen, weil diejenigen in den Irrnissen der Corona-Maßnahmen verhaftet sind, die heute deren Ende fordern. Etwa der Schließung von Kitas und Schulen, von der mittlerweile sogar Lauterbach zugibt, dass sie ein Fehler war. Allen voran Markus Söder hängt unter den neuen Maßnahmen-Gegnern die Verantwortung dafür an.

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Statt das Ende der Maßnahmen zu verkünden, schaffen deren (heutige) Gegner Fakten. So ist Bayern auch bei den Impfzentren vorgeprescht – und schließt sie zum Jahresende. Andere folgen: Schleswig-Holstein halbiert die Zahl seiner Zentren; Nordrhein-Westfalen schließt sie komplett und auch das sozialdemokratisch geführte Saarland baut seine beiden letzten Impfzentren ab Weihnachten zurück. Geimpft wird dann nur noch bei Ärzten. Das Angebot an Impfstoff übersteige derzeit die Nachfrage deutlich, sagt der Sozialdemokrat Hoch der Rhein-Zeitung.

Die Testzentren könnten ebenfalls bald der Vergangenheit angehören. Der baden-württembergische Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) erklärte dem SWR, er halte anlasslose Corona-Tests nicht mehr für angebracht. Er wollte „Bürgertests“ nur noch für vulnerable Gruppen anbieten. Dazu gehören etwa ältere Menschen oder welche mit schweren Vorerkrankungen. Diese Tests sollen dann aber von Ärzten, Apothekern oder Rettungsdiensten durchgeführt werden.

Die Geschichte der Testzentren wird noch aufgearbeitet werden müssen. Auch juristisch. Allein für Baden-Württemberg geht Lucha laut SWR von einem Schaden von mindestens 76 Millionen Euro aus, der durch Abrechnungsbetrug entstanden ist. Die Tagesschau berichtete im September davon, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen zwar 350 Millionen Euro erhalten hätten, um Abrechnungen zu kontrollieren. Doch die Ärzte-Organisationen hätten das Geld anders verwendet: Von 30 Millionen Euro hat die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen laut Tagesschau nur 3 Millionen Euro für den eigentlichen Zweck, die Kontrolle, ausgegeben. Den Rest wolle sie als Reserve für andere Aufgaben behalten. Zwölf Milliarden Euro hat der Bund bereits für „Bürgertests“ ausgegeben. Es dürfte Lauterbach schwerfallen, weiter Geld für dieses Projekt loszuschlagen.

Anfrage zu Corona
Karl Lauterbach hält an seiner Pandemie fest
Aus der eigenen Koalition erhält Lauterbach weiteren Gegenwind. Andrew Ullmann hat gefordert, die Maskenpflicht in Bussen und Bahnen aufzuheben. Er ist gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag. Eine Empfehlung solle die Verpflichtung ersetzen. Zu Ullmann sollte man aber wissen: Kaum einer hat sich so deutlich gegen die Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes ausgesprochen wie er – um dann für die Verschärfung zu stimmen. Nicht nur im Duden steht Gehalt vor Gewissen.

Die nächste Schlacht, die Lauterbach kämpfen muss, ist die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Sie gilt vor allem für Pfleger. Die läuft Ende des Jahres aus. Außer dem Gesundheitsminister will sie keiner mehr so recht. Er spiele nun auf Zeit, wirft ihm das Fachportal Pflegen-Online vor. Auf eine entsprechende Anfrage habe sein Haus geantwortet: „Wir werden es vom Verlauf der Herbst- und Winterwelle abhängig machen, wie wir mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht umgehen.“ Um sich mit der einrichtungsbezogenen Impflicht durchzusetzen, braucht Lauterbach die Winterwelle. Er wird sie weiter beschwören. Denn sonst stehen ihm in Sachen Corona noch einige Niederlagen bevor.

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