Tichys Einblick
Rendezvous mit der Wirklichkeit

Integration: Initiative „Wir zusammen“ im Scheitern

Offenkundig erweist sich der Ansatz der bisherigen Bundesregierung und der von ihr ins Leben gerufenen Initiative „Wir zusammen“, Fachkräftebedarfe durch den unbegrenzten Zustrom von Asylbewerbern zu decken, als zum Scheitern verurteilt.

© Getty Images

Unter dem Titel „Wir zusammen schaffen Zukunft. Erfolgreiche Integration von Flüchtlingen in Unternehmen“ luden das Handelsblatt und die Integrationsinitiative der deutschen Wirtschaft „Wir zusammen“ am 04. Oktober zu einer Veranstaltung im Porsche Museum in Stuttgart ein. Im Veranstaltungsflyer wurde den geladenen Unternehmensvertretern versprochen, sie würden auf der Veranstaltung erfahren, „wie auch Ihr Unternehmen von erfolgreicher Integration profitieren wird.“ Wer mit einer solchen Erwartung der Einladung folgte, wurde allerdings eher enttäuscht. Trotzdem lohnte sich der Besuch, weil man anhand der verschiedenen Beiträge ein ebenso informatives wie facettenreiches Bild sowohl von den integrationspolitischen Interessen, Motiven und Ansätzen der beiden Veranstalter wie auch der beteiligten Unternehmen vermittelt bekam.

Eröffnet und moderiert wurde die Veranstaltung vom Ressortleiter Finanzen des Handelsblattes, dem die Integration der „Flüchtlinge” in den Arbeitsmarkt, wie er sagte, eine „Herzensangelegenheit“ ist. Anschließend erläuterten der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrates der Porsche AG und die Sprecherin der Initiative „Wir zusammen“, wie die Initiative entstanden ist und wie sie sich seitdem entwickelt hat. Dabei konnte man unter anderem erfahren, dass die Initiative auf ein Treffen zurückgeht, zu dem die Kanzlerin nach der von ihr verfügten Grenzöffnung im Herbst 2015 einige Unternehmen und Wirtschaftsverbände nach Berlin eingeladen hatte.

Ernüchternde Bilanz

Ziel dieses Treffen war es, Unternehmen und Verbände, die ebenso wenig wie der deutsche Bundestag und die Regierungen der anderen EU-Länder an der Entscheidung über die Aussetzung von Dublin III und des deutschen Asylgesetzes beteiligt gewesen sind, nachträglich dazu zu bewegen, zusätzlich zu der Öffnung der Grenzen nun auch die Türen der Unternehmen für die so zahlreich ins Land geströmten „Flüchtlinge“ zu öffnen. Da die Arbeitgeber diese Arbeitskräfte weder gerufen noch selbst geholt haben, bedarf es offenbar einer speziellen Initiative, um das von der Bundesregierung den „Flüchtlingen“ vor ihrer Flucht gegebene Versprechen, sie dürften in Deutschland arbeiten und auf Dauer bleiben, einzulösen.

Was tun nach der Wahl?
Neustart bei Zuwanderung und Integration
Inzwischen beteiligen sich mehr als zweihundert Unternehmen an der Initiative, darunter so namhafte Firmen wie die Deutsche Lufthansa AG, die Siemens AG, die Hugo Boss AG, die TUI Group, die Sixt GmbH & Co, KG, aber auch zahlreiche wenig bekannte kleine und mittlere Unternehmen. Keine Angaben konnten zu der Frage gemacht werden, wieviele „Flüchtlinge“ die in der Initiative zusammengeschlossenen Firmen inzwischen in Summe beschäftigen. Sie sind nur lose als Netzwerk verbunden, in dem zwar untereinander Informationen ausgetauscht werden oder auch gegenseitige Unterstützung geleistet wird, aber keine systematische Datenerhebung wie etwa bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) stattfindet. Lediglich die Geschäftsführerin der Regionaldirektion Baden-Württemberg der BA konnte daher berichten, dass von den in ihrem Verantwortungsbereich ca. 45.000 als arbeitssuchend gemeldeten „Flüchtlinge“ inzwischen etwa 10% einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen.

Aufschlussreicher als diese Zahlen waren auf der Veranstaltung Informationen, die von den Vertretern der vier vorgestellten „Best-Practice-Beispiele“ zu ihren jeweiligen Ansätzen der Integration in Arbeit präsentiert wurden. So war vom Leiter der Berufsbildung der Porsche AG zu erfahren, daß bei einer Gesamtzahl von etwa 600 Auszubildenden insgesamt elf „Flüchtlinge“ inzwischen einen Ausbildungsplatz mit dem Ziel erhalten haben, sie anschließend auch im Unternehmen weiter zu beschäftigen. Weitere „Flüchtlinge“ werden seit 2017 allerdings nur noch mit dem Ziel ausgebildet, sie nicht zu übernehmen, sondern anschließend an andere Unternehmen zu vermitteln. Das Unternehmen will damit dem Eindruck in der eigenen Belegschaft entgegenwirken, „Flüchtlinge“ würden gegenüber anderen Bewerbern aufgrund ihres Schicksals bevorzugt eingestellt.

Scheitern sprachlich, fachlich und kulturell

Bei Porsche bewerben sich jedes Jahr zahlreiche junge Leute aus Deutschland und Europa um eine Ausbildung, aus denen das Unternehmen frei auswählen kann. Sie beherrschen nicht nur bestens die deutsche Sprache und weitere europäische Fremdsprachen, sondern verfügen insgesamt über ausgezeichnete schulische Abschlüsse. Gegen diese Wettbewerber haben „Flüchtlinge“ aufgrund ihrer sprachlichen wie fachlichen Defizite dem Ausbildungsleiter zufolge nur geringe bis gar keine Chancen auf einen Ausbildungsplatz – es sei denn, man würde ihnen seitens des Unternehmens gleichsam einen „Flüchtlingsbonus“ einräumen. Dies lehnt die Unternehmensleitung aus guten Gründen jedoch ab. Sie stellt ihre Ausbildungsaktivitäten für „Flüchtlinge“ gleichwohl vorerst nicht ein, sondern testet mit derzeit fünfzehn weiteren Auszubildenden aus den Hauptfluchtländern die Möglichkeit, sie für kleinere Handwerksbetriebe zu qualifizieren. Ob dieser Ansatz von Erfolg gekrönt sein wird, konnte der Ausbildungsleiter noch nicht sagen.

Das Gespenst der Überalterung
Demografischer Wandel und Armutsmigration
Mit ähnlich gelagerten Aktivitäten im Bereich duale Ausbildung hat das zweite „Best-Practice-Beispiel“, die Voith GmbH aus Heidenheim, keine sonderlich guten Erfahrungen gemacht. Das Unternehmen plante 2016 für acht „Flüchtlinge“ eine Einstiegsqualifizierung mit dem Ziel, sie 2017 in eine Ausbildung zu bringen. Von den acht Kandidaten haben letztlich lediglich zwei die geplante Ausbildung begonnen, weshalb das Unternehmen das Projekt Einstiegsqualifizierung nicht weiterführen wird. Außerdem wurden bei Voith noch fünf weitere „Flüchtlinge“ eingestellt, die dem Unternehmen über ehrenamtliche Helfer in der Belegschaft vermittelt wurden. Die Leiterin des Personalbereichs wies in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass verschiedentlich das Problem auftrat, dass männliche „Flüchtlinge” die Weisungen weiblicher Vorgesetzter nicht akzeptieren wollten. Ihrem Wunsch, sie männlichen Vorgesetzten zu unterstellen, ist das Unternehmen nicht nachgekommen.
Anzeige

Die Robert Bosch Stiftung als drittes „Best-Practice-Beispiel“ beschäftigt selbst nur in geringem Umfang „Flüchtlinge“, fördert aber in großem Umfang Modellprojekte zur Qualifizierung und Integration von „Flüchtlingen“. Ihre Geschäftsführerin betonte auf der Veranstaltung, wie dringend erforderlich es sei, dass sich noch mehr Unternehmen an den diversen Aktivitäten der Stiftung beteiligen. Besonders wichtig sei es, den „Flüchtlingen“ seitens der Unternehmen Mentoren zur Seite zu stellen, die ihnen dabei helfen, sich in der deutschen Arbeits- und Lebenswelt zurecht zu finden. Der erforderliche Betreuungsaufwand sei erheblich. So hätten etwa 30 Prozent der von der Bosch Stiftung betreuten „Flüchtlinge“ deutliche Schwierigkeiten, die deutsche Sprache zu erlernen. Sie bräuchten deswegen mehr Unterstützung bei der täglichen Anwendung der in den Sprachkursen erlernten Kenntnisse. Hinzu kämen erhebliche Schwächen beim Rechnen, weshalb eine Verlängerung der Schulpflicht für „Flüchtlinge“ bis zum fünfundzwanzigsten Lebensjahr erforderlich sei. Derlei Erfahrungen wurden von den Vertretern der Porsche AG und der Voith GmbH weitgehend bestätigt, ohne dass sie allerdings den Eindruck erweckten, ihre Unternehmen seien dazu bereit, den schon zusätzlich geleisteten Betreuungsaufwand für „Flüchtlinge“ noch weiter aufstocken oder gar auf Dauer betreiben zu wollen.

Alleinige Perspektive Leiharbeiter

Während insbesondere in den Berichten von Porsche und Voith deutlich wurde, dass  sich anfängliche Erwartungen, mit den „Flüchtlingen“ ließe sich für die beiden Unternehmen ein neues Fachkräftepotential erschließen, nicht bestätigten, zeigte sich der Vertreter des vierten „Best-Practice-Beispiels“, der Vorsitzende der Geschäftsführung der ManpowerGroup Deutschland, hoch zufrieden mit seinen bisherigen Erfahrungen mit dem Einsatz von „Flüchtlingen“ als Leiharbeiter. Er wies darauf hin, dass rund 22 Prozent der mittlerweile in Deutschland beschäftigten „Flüchtlinge“ von Zeitarbeitsfirmen angestellt und an deren Kunden weiter vermittelt wurden. Dort werden sie überwiegend für einfache (Helfer-)Tätigkeiten eingesetzt, für die in aller Regel auch nur geringe deutsche Sprachkenntnisse ausreichen. Den erheblichen zusätzlichen Betreuungsaufwand, etwa zur Klärung behördlicher Themen, den auch der Vertreter dieses Unternehmens bestätigte, nimmt das Unternehmen zu einem großen Teil seinen Kunden ab. Dieser Service erhöht insbesondere bei kleineren und mittleren Unternehmen die Bereitschaft, „Flüchtlinge“ als Leiharbeiter zu beschäftigen.

Gastbeitrag von Thorsten Meyer
Die Mär der Bosse vom Wirtschaftswunder durch Asylbewerber
Versuche, akademisch gebildete „Flüchtlinge“, etwa im IT-Bereich, bei den eigenen Kunden zum Einsatz zu bringen, seien bislang hingegen nur in Ausnahmefällen von Erfolg gekrönt gewesen. Meist reichten die Sprachkompetenzen und erworbenen Fachqualifikationen der „Flüchtlinge“ nicht aus, um die hohen Anforderungen der Kunden zu erfüllen. Gerade der IT-Sektor sei in der Zeitarbeit zwar ein Wachstumsbereich mit Fachkräftemangel. Dieser sei mit „Flüchtlingen“ aber nicht zu beheben. Dieser Erkenntnis widersprachen nur scheinbar die Ausführungen des Inhabers eines Münchner Software-Unternehmens, das für fünf „Flüchtlinge“ zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen hat, die es zuvor gar nicht benötigte. Dies geschah nach Aussage des Inhabers, der eine Art Vorzeigeunternehmer der Initiative „Wir zusammen“ mit direktem Draht ins Bundeskanzleramt ist, aus rein humanitären Gründen ohne jede betriebswirtschaftliche Überlegung. Er betrachtet sich deswegen  als nachahmenswertes Vorbild und beklagte das aus seiner Sicht viele zu geringe humanitäre Engagement der Unternehmen für die Integration. Durch die Unternehmen müsse endlich ein „Ruck“ gehen, der dies ändere.
Kaum welche in Ausbildung

Dass ein solcher Appell Früchte tragen wird, ist freilich nicht zu erwarten. Die auf der Veranstaltung vorgestellten „Best-Practice-Beispiele“ ließen bei den Teilnehmern eher den Eindruck aufkommen, dass die vorgestellten Unternehmen in Hinblick auf die Integrierbarkeit von „Flüchtlingen“ in den Arbeitsmarkt inzwischen ein Rendezvous mit der Wirklichkeit hinter sich haben, das wenig Anlass gibt, den Verheißungen eines qualitativ hochwertigen Beschäftigungswunders durch Masseneinwanderung Glauben zu schenken. Das bestätigt unter anderem auch die Studie einer Studentin der Universität Magdeburg, die in ihrer Masterarbeit an den Beispielen der AGCO GmbH, der Siemens AG und der Daimler AG der Frage nachgegangen ist, wie gut in diesen Unternehmen die Integration von „Flüchtlingen“ in den Ausbildungsmarkt vonstatten geht. Auch in diesen Unternehmen treten weitgehend dieselben Probleme wie in den hier beschriebenen „Best-Practice-Beispielen“ auf, was die Autorin zu der nüchternen Feststellung veranlasst: „Gegenüber der Anzahl der Asylbewerber ist die Anfängerquote im Ausbildungssystem verschwindend gering.“

Rendezvous mit der Wirklichkeit
Angesichts dieser Sachlage ist inzwischen offenkundig, dass der Ansatz der bisherigen Bundesregierung sowie der von ihr ins Leben gerufenen Initiative „Wir zusammen“, Fachkräftebedarfe durch den unbegrenzten Zustrom von Asylbewerbern zu decken, zum Scheitern verurteilt ist. Die Gründe hierfür liegen in der enormen Kluft zwischen den qualifikatorischen Anforderungen eines Hochleistungslandes und den qualifikatorischen Voraussetzungen und Potentialen eines Großteils der „Flüchtlinge“. Sie verkleinert, neudeutsch gesprochen, deren „Employability“, die umso geringer ausfällt, je hochwertiger die Ausbildungs- und Arbeitsplätze sind, welche die Unternehmen anzubieten haben.
Niedriglöhner-Konkurrenz: Konflikte vorprogrammiert

Anders verhält es sich im Niedriglohnbereich, wo für die „Flüchtlinge“ bessere Chancen auf Beschäftigung bestehen. Selbst diejenigen unter ihnen, die über Schul- oder gar Universitätsabschlüsse aus ihren Heimatländern verfügen, sind daher darauf angewiesen, sich für Arbeiten im Niedriglohnsektor zu bewerben. Dort treten sie allerdings in Konkurrenz mit einheimischen Arbeitnehmern und anderen Immigranten, die von den zusätzlichen Wettbewerbern an einem für sie ohnehin schon prekären Arbeitsmarkt alles andere als begeistert sind. „Fremdenfeindliche“ Reaktionen gerade im unteren Drittel der Gesellschaft, sind deswegen durch die derzeitige Politik einer grenzenlosen Zuwanderung regelrecht vorprogrammiert. Dies läßt sich nur dadurch ändern, dass „Flüchtlingen“ für die Dauer ihres vorübergehenden Aufenthalts entweder grundsätzlich verboten wird, in Deutschland zu arbeiten oder dass der Zustrom auf ein für die Unternehmen und ihre einheimischen Mitarbeiter verkraftbares Maß reduziert wird. Dass die derzeit avisierte Jamaika-Koalition dazu in der Lage wäre, diesen Erfordernissen angemessen Rechnung zu tragen, kann wohl  ausgeschlossen werden. Deren designierte Chefin hat jedenfalls erklärt, dass sie angesichts der Ergebnisse der Bundestagswahl keinerlei Grund sieht, an ihrer bisherigen Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik irgend etwas zu ändern.

Quellenhinweis: Niesen, Simone: Integration von Asylbewerbern, anerkannten Flüchtlingen und Geduldeten in Ausbildung. Herausforderungen und Lösungsansätze in ausgewählten Unternehmen. Hamburg 2017


Roland Springer arbeitete als Führungskraft in der Autoindustrie. Er gründete im Jahr 2000 das von ihm geleitete Institut für Innovation und Management. Sein Buch Spurwechsel – Wie Flüchtlingspolitik wirklich gelingt erhalten Sie in unserem Shop www.tichyseinblick.shop