Tichys Einblick
Mit allen Mitteln

Der Impfpflicht-Zombie: Wie der Impfzwang heute durch den Bundestag getrickst werden soll

Mit einem aberwitzigen Kuhhandel, manipulierter Abstimmungsreihenfolge und versteckten Klauseln im Antrag soll der Impfzwang doch noch durch den Bundestag gedrückt werden. Für Lauterbach und Scholz steht am heutigen Donnerstag viel auf dem Spiel.

IMAGO / photothek

Ein Zombie läuft durch Berlin. Denn an diesem Donnerstag soll über ein Vorhaben abgestimmt werden, das eigentlich schon tot geglaubt schien: die Impfpflicht. Erst versprachen alle Politiker hoch und heilig, dass sie nicht kommen würde – dann setzten sie sich, von Friedrich Merz bis Olaf Scholz, doch dafür ein. Eine Impfpflicht ab 18 Jahren wollte man durchsetzen – dieses Vorhaben ist nun Geschichte, so scheint es zumindest. Denn mit Omikron und der Entwicklung der Infektionszahlen sowie dem unrühmlichen Kollaps der Impfpflicht in Österreich schienen den Impfpflicht-Befürwortern die Argumente auszugehen.

Eine Polemik
„Impf“zwang „nur“ für über 60 oder 70
Von vielen Entwürfen der verschiedenen Abgeordnetengruppen steht jetzt nur noch einer. Gesundheitsminister Lauterbach zeigte sich am Dienstag zunächst noch zuversichtlich, „dass wir am Donnerstag die allgemeine Impfpflicht beschließen werden“. Doch die Realität sieht anders aus. Die Befürworter der Impfpflicht haben sich auf die Linie „Impfpflicht ab 60“ zurückgezogen, eine parlamentarische Mehrheit selbst dafür scheint unsicher. Dass die Impfquote bei den über 60-Jährigen mit fast 89 Prozent extrem hoch ist, stört bei dem Vorhaben nicht – es geht nicht um Gesundheit, sondern darum, am Ende doch irgendeine Impfpflicht beschlossen zu haben.

Dazu passt auch, dass laut Gesetzesentwurf eine verpflichtende Beratung zur Impfung durchgesetzt werden soll – ein Zwangswerbegespräch für alle Ungeimpften ab 18 Jahren. Als hätten sich die Bürger in über einem Jahr Impfkampagne nicht schon ausreichend informieren können – als würden diejenigen, die jetzt noch ungeimpft sind, sich von einem staatlich angeordneten Beratungsgespräch überzeugen lassen.

Dieser sinnlose Aktionismus dient weder der Impfkampagne noch der Gesundheit der Menschen – sondern ist Selbstzweck. Ganz in Ruhe will man die Ungeimpften unter 60 Jahren eben nicht lassen. Deswegen haben die Impfpflicht-Befürworter auch die Impfpflicht ab 18 im Gesetz versteckt. Die ist nämlich keinesfalls vom Tisch – auch, wenn der Titel des Antrags etwas anderes suggeriert. So heißt es in Paragraph 20 b des Entwurfs, dass der Bundestag ab September 2022 eben doch eine solche Ausweitung auf alle Erwachsenen beschließen könne, wenn „vorliegende wissenschaftliche Erkenntnisse“ und die Einschätzung der Bundesregierung dies nahelegen würden.

Aus ihrem Rückzugsgefecht heraus bereiten die Impfpflicht-Befürworter schon wieder die Offensive vor: Mit der nächsten Corona-Welle im Herbst soll auch der Angriff auf die Grundrechte ausgeweitet werden. Gelten würden die Impfpflicht-Bestimmungen des Gesetzes bis Ende 2023, mit möglicher Verlängerung um ein Jahr.

Verkorkst, verwirrt, verspielt 

Doch das ist alles im Konjunktiv: Tatsächlich wird die Luft dünn für die Impfpflicht. „Bei Abstimmung im Parlament ist keinesfalls sicher, ob der Kompromiss eine Mehrheit findet“, schreibt der Stern, der das Gesetz als „Bastard, den so recht niemand wirklich will“, bezeichnet. Hinter den beiden Ursprungsvorschlägen hatten sich zuletzt etwa 240 (Impfpflicht ab 18) bzw. rund 45 Abgeordnete (Impfpflicht ab 50) versammelt. Das reicht nicht sicher für eine Annahme, auch wenn bei der Abstimmung eine einfache Mehrheit genügt.

Es müsste also nicht mindestens die Hälfte aller 736 Abgeordneten dafür stimmen, sondern es wäre genug, wenn von den anwesenden Parlamentariern mehr mit Ja als mit Nein stimmen. Zwar stehen mutmaßlich 285 Befürwortern des Kompromissgesetzes nur 197 Gegner gegenüber: Sicher durch ginge dieses allerdings nur bei Enthaltung der Unionsfraktion. Davon ist aktuell aber nicht auszugehen. Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz und weitere Unionspolitiker hatten bereits angekündigt, dass sie diesmal nicht als Mehrheitsbeschaffer zur Verfügung stünden.

Es handele sich um „verkorkste Kompromisse, die die Koalition machen muss, weil sie sich untereinander nicht einig ist“, so Merz. Dazu kommt, dass die Union mit einem eigenen Antrag zur Abstimmung antritt. „Nehmen Sie an allen Abstimmungen teil, stimmen Sie unserem Antrag zu, lehnen Sie die übrigen Vorlagen ab“, heißt es in einem Schreiben des parlamentarischen Geschäftsführers der Unions-Fraktion, Thorsten Frei, an seine Fraktionskollegen.

Verzweiflung bei Lanz
Quarantäne-Rückzieher, Impfpflicht-Chaos, Zwist mit Parteikollegen: Lauterbach mit dem Rücken zur Wand
 Angesichts dieser schwierigen Situation könnte das Team Impfpflicht sich einen Verfahrenstrick zunutze machen. Der Antrag könnte ans Ende der Abstimmungsreihenfolge gesetzt werden. Üblicherweise wird nach der Tiefe der Eingriffe abgestimmt – die härtesten Anträge zuerst, dann abstufend. Das würde bedeuten, dass der Ü60-Kompromiss als allererstes abgestimmt wird. Die Impfpflichtbefürworter wollen diese Reihenfolge aber umdrehen. Welt-Journalist Benjamin Stibi berichtet, dass genau das mit Koalitionsmehrheit beschlossen werden soll. Die Hoffnung ist wohl, dass so unentschlossene Abgeordnete sich noch in letzter Minute umentscheiden können – und dass mehrere nicht beschlossene Anträge den Druck erhöhen, am Ende doch zumindest irgendetwas zu beschließen.

Die Union befürchtet genau das: „Falls unser Antrag keine Mehrheit findet, sollte dem Impuls widerstanden werden, anderen Vorlagen zuzustimmen, nur damit es irgendein Ergebnis gibt“, schrieb Fraktionsgeschäftsführer Frei deshalb nachdrücklich an seine Kollegen. Das Ganze wird wohl Gegenstand einer Geschäftsordnungsdebatte werden. Dass die Impfpflichtbefürworter auf Psycho-Tricks mit der Tagesordnung zurückgreifen müssen, zeigt, dass sie die Aussichtslosigkeit ihres Vorhabens zu realisieren scheinen. Eine Entwarnung ist das dennoch nicht.

An diesem Donnerstag stimmt der Deutsche Bundestag zum Thema Impfpflicht ab. Das sicher geglaubte Vorhaben wackelt mehr denn je – ausgerechnet Widerstand aus der Unionsfraktion bringt Lauterbach, Dahmen und Co. auf den letzten Metern ins Straucheln.

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