Tichys Einblick
Rückabwicklung des 19. Jahrhunderts

Hamburg: Chinas neuer Pachthafen in Europa?

Ein chinesischer Staatskonzern will sich in Hamburg einkaufen – der Kanzler hilft mit. Alles nur Hysterie? Offensichtlich arbeitet Peking daran, einen europäischen Hafen nach dem anderen aufzukaufen. Die Strategie erinnert an vergangene europäische Konzepte im Kolonialismus: Hamburgs strahlende Zukunft als neues Kiautschou?

IMAGO / photothek

„Das Reich des Himmels besitzt alle Dinge im Überfluss und es fehlt ihm kein Gut innerhalb seiner eigenen Grenzen. Es gibt daher keinen Grund, Erzeugnisse von ausländischen Barbaren im Austausch für unsere eigenen Waren zu importieren.“

So lautete einst die Antwort des chinesischen Kaisers auf das Gesuch der britischen Delegation von George Macartney im Jahr 1792. Europa dominierte bereits die Weltmeere, doch China war immer noch die unangefochtene wirtschaftliche Führungsmacht. Als führende Exportmacht hatte das Reich der Mitte kein Interesse an Importwaren. China war ein bestimmender Manufakturstandort, der Produkte wie Porzellan, Lackkunst, Seide und Tee verkaufte. Die Handelsbilanz war dank der strikten Bezahlung gegen Edelmetall positiv, während die europäischen Nationen sich über den Abfluss von Silber nach Fernost beklagten.

Das ganze 19. Jahrhundert kann daher als Niederringung der chinesischen Vorherrschaft im Handel und Gewerbe verstanden werden. In zwei Kriegen öffneten die Briten die chinesischen Märkte gewaltsam. Mit Pachthäfen sicherten sie sich den Zugang, um China mit Opium zu fluten. Andere Kolonialmächte zogen nach. Das Deutsche Kaiserreich zog 1898 mit einem erzwungenen Pachtvertrag nach. Mit Tsingtau besaß Deutschland als aufstrebende Industrie- und Handelsmacht einen eigenen Hafen im Reich der Mitte. Bekanntestes Relikt ist die im Jahr 1903 eröffnete und bis heute bestehende Brauerei.

Liegt ein Verkauf wirklich im deutschen Interesse?

Tempi passati! Heute will sich China in Hamburg einkaufen – und Bundeskanzler Olaf Scholz hilft eifrig mit. Eine Dokumentation der Sendung Panorama erfasst auf überraschend kritische Weise, dass die Zukunft des Hafens eine politische Bombe ist. Sechs Bundesminister stellen sich gegen die Ambitionen des chinesischen Reeders COSCO, doch das Bundeskanzleramt versucht eine Kabinettsentscheidung hinauszuzögern, bis die Frist vorbei und der Aufkauf von Anteilen abgeschlossene Sache ist. Man könnte historische Vergleiche oder die Furcht vor dem Einfluss eines autoritären Regimes als Hysterie abtun. Nun ist aber der BND, der ebenfalls vor dem Verkauf kritischer Infrastruktur warnte, in letzter Zeit nicht wegen hysterischer Rückmeldung zu jedem gesellschaftlichen Thema aufgefallen.

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Dass die ganze Sache schon seit dem Frühjahr bekannt war und auch die Europäische Union damals warnte, hatte damals noch keine Sprengkraft. Obwohl auch damals das sensible Thema des Verkaufs kritischer Infrastruktur als Hypothek in kommenden globalen Konflikten – schon damals stand Russland in der Ukraine – auf der Tagesordnung stand, entfaltete es erst seine Wirkkraft, als NDR und WDR sich der Sache annahmen. Die Hintergründe dafür, insbesondere auch die Angriffe auf Olaf Scholz, dürften sich erst später herauskristallisieren. Doch auch aus der Warte der unschlüssigen Konservativen sollte der Fall deswegen nicht unbeachtet bleiben.

Denn es greift derzeit ein Narrativ um sich. Es erklärt die Gegner der chinesischen Übernahme zu emotional und ideologisch vernagelten Akteuren. Das mag auch teilweise zutreffen: Mit Sicherheit spielt für einige Aktivisten der grünen Seite die ideologische Konfrontation mit dem autoritären Regime eine größere Rolle als die eigentlichen deutschen Interessen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck: „Wir müssen die Handelspolitik auch als neues Machtinstrument begreifen, auch als Solidaritätsinstrument begreifen.“ Das solche Gedankengänge nachrangig sind und auch in der harten Politik immer waren, muss an dieser Stelle nicht erörtert werden.

COSCO: Keine gewöhnliche Firma

Die Frage bleibt dabei offen, was die deutschen Interessen sind. Auch der Bau der beiden Nord-Stream-Pipelines galt als virulentes deutsches Interesse. Diese waren aber nur nötig, weil man zu diesem Zeitpunkt Energiesicherheit als nachrangig einstufte. Aufgrund der bereits unter dem von Gerhard Schröder angesetzten Atomausstieg brauchte man Alternativen. Im Rückblick stellt sich jedoch heraus, dass das eigentliche Interesse Deutschlands hätte sein müssen, seine energetische Unabhängigkeit zu bewahren, um international nicht erpressbar zu sein.

Auf einem sehr ähnlichen Blatt steht der Umgang mit den chinesischen Investoren in Hamburg: Kurzfristig und womöglich sogar mittelfristig hat das Geschäft mit Sicherheit seinen Reiz. Langfristig sieht das freilich anders aus. Der Fehler beginnt damit, die Reederei COSCO (China Ocean Shipping Company) als gewöhnliche Firma einordnen zu wollen. Das ist sie nicht. Zum Ersten handelt es sich um einen Koloss auf dem Weltmarkt: Die Reederei ist mit 1.413 Schiffen die größte der Welt. Zum Zweiten ist sie als Staatskonzern ein direktes Kind der Kommunistischen Partei Chinas und damit Instrument der Staatsführung zur Durchsetzung chinesischer Eigeninteressen, sowohl wirtschaftlich wie politisch.

Misstrauen aus deutschem Eigeninteresse sollte gegenüber Staatskonzernen aller größeren Mächte gelten. Bei einer Privatfirma mag man noch darüber streiten. Aber ist es ratsam, einen bedeutenden Handelspunkt an die ausführende Hand eines fremden Staates abzugeben, der wirtschaftlich, militärisch und demographisch in jeder Hinsicht überlegen ist? Bereits für das Römische Imperium bestimmend war: Da, wo es einmal seine Straßen schlug, ging es auch nicht so schnell wieder weg. Dasselbe galt auch für die europäischen Kolonialmächte. Die Portugiesen hissten ihre Flagge 1510 über Goa – und kapitulierten erst 1961 beim Angriff einer weit überlegenen indischen Übermacht.

Die Chinesen kopieren die Tricks der Europäer aus der Frühen Neuzeit

Man sollte sich dabei vor Augen führen, dass viele der europäischen Kolonien nicht immer auf Eroberung, denn auf der Gründung von Handelsniederlassungen durch Privileg und schleichender Übernahme des Ortes fußten, bis es zur Einverleibung ins Kolonialreich nur noch ein formaler Schritt war. Die chinesische Geschichte ist reich an Beispielen, bei denen chinesische Händler allein aufgrund ihrer massenhaften Präsenz die Handelsströme Ostasiens steuerten. Obwohl das Alte China keine Kolonien im engeren Sinne besaß, fungierten seine Kaufleute als lebendige Kolonie in den wichtigsten außerchinesischen Städten.

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Parallelen zu den Genuesen und Venezianern, die lange vor der Eroberung Konstantinopels im Vierten Kreuzzug (1204) bereits den Handel im Byzantinischen Reich kontrollierten, und so den Handel Richtung Italien und Mitteleuropa leiteten, sind evident. Auch die Deutsche Hanse war weniger eine staatliche Verbindung, denn vielmehr ein Netzwerk von Kaufleuten in allen großen Städten des Nord- und Ostseeraums, die aber ihre Schlagkraft nur selten in politische Gewalt umwandelten. Diesen letzten Schritt hat Peking jedoch längst getan. Die ehrlichen Händler von heute, die sich als wohlwollende Firmen darstellen, sind letztlich am langen Faden der Drachenkralle angehängt. In der Frühen Neuzeit kannten die Europäer diese Tricks zu gut, weil sie diese selbst immer wieder, etwa in der Form von Ostindienkompanien, anwandten – auch gegeneinander.

Wer das als historischen Exkurs abtun will, scheint die chinesischen Strategien nicht zu kennen – oder nicht kennen zu wollen. Die „Belt and Road Initiative“ („Neue Seidenstraße“) ist kein neues Projekt der roten Mandarine. Und eigentlich hätten bei den Europäern statt romantischer Verklärungen alle Alarmglocken klingeln müssen: Denn zu den Zeiten, als die Seidenstraße auf ihrem Höhepunkt war, war Europa nicht Profiteur, sondern vor allem Abnehmer chinesischer Produkte. Was das für eine Exportnation wie Deutschland bedeutet, sollte klar sein. In Italien merkte man spätestens während der Corona-Krise, welchen massiven Einfluss China auch politisch auf Rom hatte, weil man sich dort jahrelang eingekauft hatte.

Piräus: Eine Art Neokolonialismus ohne Kanonenboote

Ganz ähnliche Erfahrungen haben auch andere Länder gemacht – insbesondere Griechenland mit Piräus. Auch dort hieß es einst: Der Hafen ist in Gefahr und droht in seiner weltweiten Bedeutung zu verlieren. Hausgemachte Probleme wurden ausgelagert. Die Chinesen stiegen langsam in den Hafen ein (2008) und übernahmen anschließend die Mehrheit (2016). Tatsächlich hat Piräus davon profitiert und zählt wieder zu den TOP-5-Häfen Europas. Doch dafür befindet er sich nunmehr auch zu rund 70 Prozent in Chinas Hand. Zugleich ist dem kleinen Griechenland klar, in welche Abhängigkeit es sich begeben hat. Im Jahr 2018 schreibt die NZZ: „Costas Douzinas, Vorsitzender des aussen- und verteidigungspolitischen Parlamentsausschusses und Syriza-Mitglied, sprach freimütig von einer Art Neokolonialismus ohne Kanonenboote.“

Dass dabei auch kriminellen Netzwerken ein Einfallstor offen steht, die etwa in Piräus mit gefälschter Markenkleidung handeln oder die Mehrwertsteuer prellen, gehört noch zu den unbekannteren Nebenwirkungen. Ironie der Geschichte: Während heute Brüssel Deutschland davor warnt, die Anteile am Hamburger Hafen zu verkaufen, war es ausgerechnet die Europäische Union, die das verschuldete Griechenland dazu drängte, Piräus zu verscherbeln. Anders als in Berlin ist man offenbar wenigstens in Brüssel zur Einsicht gekommen, welchen Bock man dazumal geschossen hat.

Piräus ist nur ein Beispiel von vielen. COSCO und die Schwesterfirma China Merchant haben ihren Einfluss in 14 europäischen Häfen mittlerweile beträchtlich ausgebaut, darunter Adressen wie Marseille, Bilbao, Valencia, Malta und Le Havre. Begonnen hat es stets mit Anteilen an Hafengesellschaften bzw. Terminals. Wer also behauptet, es handele sich „nur“ um ein Terminal, oder dass COSCO bereits seit Jahren in Hamburg handele, sollte den Blick über den Tellerrand werfen und schauen, wie die deutsche Zukunft aussieht. Mit Sicherheit gibt es in Europa noch Unternehmer, Staatsmänner und gewiefte Strategen, die mit dem Drachen tanzen können, um ihn auf Distanz zu halten. Dass es ausgerechnet Deutschland gelingen sollte, wo man doch bereits in der Vergangenheit wegen Blauäugigkeit, Aussicht auf kurzfristige Gewinne oder politischer Überzeugungen Schlüsselgüter und kritische Infrastruktur verschenkt hat, nur, um jetzt auf die rauchenden Trümmer vermeintlicher Wirtschafts- und Energiestrategien zu blicken, ist mehr als fraglich.

Duisburg: Zustände wie in einer Dependance einer niederländischen Ostindienkompanie

Wem der Blick über den bundesrepublikanischen Tellerrand zu weit geht, mag vielleicht auf Duisburg schauen. Auch Deutschlands größter Binnenhafen begrüßt die chinesische Investition und Infiltration. Mittlerweile gibt es dort einen „China-Beauftragten“. Man freut sich über das Wachstum, auch über den zunehmenden Güterverkehr auf den Schienen. Duisburg ist nunmehr Sitz von über 100 chinesischen Unternehmen, es leben 1.300 Chinesen in der Stadt und 2.000 chinesische Studenten sind eingeschrieben. Zitat:

„Die chinesische Community lebt vorwiegend in den Innenstadtlagen, gerade im Stadtteil Neudorf. Das ist ein Stadtteil, der sich zwischen dem Hauptbahnhof, also der Innenstadt und der Universität befindet. Da bilden sich tatsächlich chinesische Strukturen aus. Das sieht man ganz deutlich, wenn man durch den Stadtteil geht. Man sieht viele Menschen aus Asien, chinesische Restaurants und Läden. Das hat sich auch in China schon herumgesprochen.“

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Erinnerungen an die europäischen Händlerquartiere, die wie oben erwähnt den Handel kontrollierten, oder chinesische Pendants in Singapur sind mit Sicherheit rein zufälliger Natur. Die Beschreibung des verzückten China-Beauftragten Markus Teuber deckt sich exakt mit den Berichten europäischer Kaufleute über die arabischen Kaufmannsviertel im indischen Raum, venezianische Händlercontraden in der Levante oder niederländischen Dependancen der Ostindienkompanie.
Die chinesischen Möbelpacker tragen das verbliebene Tafelsilber aus dem europäischen Laden

Es zeichnet sich demnach das Bild einer größeren Übernahme europäischer Häfen ab. Hamburg ist in dieser Konstellation nur ein Mosaikstein. Was hier geschieht, ist nicht weniger als eine Rückabwicklung des 19. Jahrhunderts. Deutschland will einerseits Exportnation sein und spricht vom guten chinesischen Geschäft. Dass aber die Außenhandelsbilanz für Deutschland seit Jahren negativ ausfällt, zeigt, dass die roten Mandarine den Spieß wieder umgedreht haben. Das Silber fließt wieder nach Guangzhou. Und für das traditionell merkantilistisch denkende Reich der Mitte gilt vor allem das. In grenzenloser Naivität glaubt man immer noch, China zum billigen Absatzmarkt machen zu können.

In Wirklichkeit ist China der neue „workshop of the world“ und Europa sein Abnehmer. Zugang zum europäischen Markt schafft man sich dabei vor allem – durch Pachthäfen. Vielleicht als nächstes ungleiche Verträge und eine Reisschnapsbrennerei in Hamburg? Die Ironie der Geschichte kennt keine Grenzen. Vermutlich werden die Chinesen es auch noch schaffen, Hamburg zu einer florierenden Niederlassung zu machen, indes das Deutsche Kaiserreich bis zum Verlust Tsingtaus bei der Kolonie draufzahlten (nicht, dass das eine dauernde Erscheinung deutscher Geschichte wäre).

Zuletzt: Man sollte den Chinesen keinen Vorwurf machen, dass sie das Spiel so gut beherrschen. Wie so oft verliert Europa nicht wegen listiger oder überlegener Gegner, sondern schlicht wegen eigener Schwäche, Naivität – und zweifelhaften Loyalitäten seiner Eliten. Um ein Wort des Historikers David Engels aufzugreifen: Während wir uns noch streiten, tragen die chinesischen Möbelpacker bereits das uns noch verbliebene Tafelsilber aus dem Laden heraus.

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