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Menschland

Grüne wollen „Deutschland“ aus dem Programm streichen

Über 300 Grünen-Mitglieder und Kandidaten für die kommende Bundestagswahl stören sich am Titel des Wahlprogramms „Deutschland. Alles ist drin.“ Deutschland soll gestrichen werden. Im Grundsatzprogramm spielen die Deutschen bereits nicht nur sprachlich, sondern auch politisch keine Rolle mehr.

IMAGO / Leonhard Simon

Der Entwurf des Bundestagswahlprogramms heißt noch „Deutschland. Alles ist drin“. Mehr als 300 Parteimitglieder wollen das Wort Deutschland nun aus dem Titel streichen lassen. Neu ist diese Abneigung nicht, sie wird auch schon im Grundsatzprogramm deutlich.

Der Kampf gegen den Begriff „Deutschland“ hat bei den Grünen Tradition. Das Schlüsselwort des grünen Grundsatzprogramms lautet: Mensch. Insgesamt 243-mal kommt es vor, von der „Präambel“ – „So wie der Mensch die Macht hat, seine Welt zu zerstören, hat er auch die Macht, sie zu einem besseren Ort für alle zu machen“ (Zeile 6) – bis zum Schlusskapitel „Migration und Flucht“, das mit dem Satz endigt: „Unser Ziel ist eine Welt, in der Menschen nicht zur Flucht gezwungen werden“ (Z 3.117). Egal ob Wahl- oder Grundsatzprogramm: Wer ist dann gemeint, wenn es ausschließlich um „Menschen“, also alle menschlichen Bewohner dieses Planeten geht?

Menschen

Was ist der Mensch? Diese – nach Immanuel Kant – Grundfrage der Philosophie beantwortet das Grundsatzprogramm nicht. Es nennt aber viele Menschengruppen, welche die politische Achtung und Beachtung der Grünen haben. Eine Auswahl:

   ● „Menschen mit Rassismuserfahrung

   ● Menschen, die in Deutschland ihren Lebensmittelpunkt haben 

   ● trans*, queer* und nicht binäre Menschen

   ● Menschen, die hier leben

   ● Menschen mit Romani-Hintergrund

   ● ältere und pflegebedürftige Menschen

   ● Menschen, die lange schon arbeitslos sind

   ● Menschen im globalen Süden“

Die Häufigkeit von Mensch im Grundsatzprogramm erinnert an einen religiösen Text, in dem dieses Wort ebenfalls stark auftritt: das Neue Testament. Die Botschaft des Evangeliums richtet sich an alle; „Gott“ bzw. der „Herr“ spricht zu den „Menschen“.  Diese drei Wörter (in der genannten Reihenfolge) sind deshalb die häufigsten  Substantive im Neuen Testament. 

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Das Grundsatzprogramm ist allerdings ein politischer Text: Es geht nicht um das Verhältnis von Gott und Mensch, sondern von Bürger und Staat. Dass die Bürger auch Menschen sind, versteht sich von selbst. Nicht selbstverständlich ist, zu welchem Staat ein Bürger gehört. Im grünen Programm gehören die 23-mal angesprochenen „Bürger*innen“ zum Staat Bundesrepublik Deutschland, sie bilden dessen „Staatsvolk“. Im Grundgesetz wird es deutsches Volk genannt und seine Mitglieder Deutsche.
Deutsche

Sprachlich richtet sich das Grundsatzprogramm der Grünen nicht an die Deutschen (72,7 Millionen), sondern an die Menschen, wobei oft unklar bleibt, ob es „Menschen in Deutschland“ (83,1 Millionen) meint oder „Menschen in der Welt“ (2020: 7,8 Milliarden). Wie soll man zum Beispiel folgenden Programmpunkt interpretieren?

„Es muss sichergestellt werden, dass alle Menschen Zugang zu essenziellen Gütern der Daseinsvorsorge wie Wohnen, Wasser, Strom, gesunder Ernährung, Mobilität und Breitbandanschluss haben.“ (Z 596)

Falls hier „alle Menschen in der Welt“ gemeint ist, wie wollen die deutschen Grünen die Erfüllung dieser Forderung „sicherstellen“?

Die Menschengruppe der Deutschen fehlt im grünen Programm – bis auf eine sprachreflexive Bemerkung:

„Viele [in Deutschland] bezeichnen sich als Deutsche, manche als Neue Deutsche, Schwarze Deutsche, People of Color, Menschen mit Romani-Hintergrund, Polnisch-Deutsche oder Türkisch-Deutsche und vieles mehr.“ (Z 1238)

Der Satz lässt offen, ob „Deutsche“ überhaupt existieren. Es gibt den Namen, allerdings neben vielen anderen Namen. Kurzum: Deutscher, das ist für die Grünen eine mehr oder minder beliebige Selbstbezeichnung. 

Deutschland und deutsch

Nicht nur sprachlich, sondern auch politisch spielen die „Deutschen“ im Grundsatzprogramm keine Rolle. Wie steht es mit den verwandten Wörtern Deutschland und deutsch?

Der Ländername Deutschland kommt insgesamt 25-mal vor und dient als Kurzform für den Staat Bundesrepublik Deutschland: „Das Handwerk ist einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren in Deutschland“ (Z 788), „Deutschlands bestehendes Bündnissystem“, „Deutschland und die EU“ und Ähnliches. An zwei Stellen wird ein wesentliches Merkmal dieses Staates hervorgehoben: „Deutschland ist ein Einwanderungsland“ (Z 304) und „Der Islam gehört selbstverständlich zu Deutschland“ (Z 1297).

Nur einmal hat Deutschland einen geschichtlichen Bezug und meint das deutsche Kaiserreich (1871-1918): „Deutschlands Kolonialvergangenheit ist […] viel zu wenig aufgearbeitet“ (Z 1583). Beim Volksnamen deutsch tritt hingegen die Geschichte in den Vordergrund: Sechs der zehn Belege verweisen auf die „deutsche Vergangenheit“: einer auf die „deutsche Teilung“ (1949-1989), fünf auf die NS-Zeit (1933-1945) mit dem Kernsatz:

„Das Bewusstsein für die Singularität der Verbrechen des deutschen Staates während der nationalsozialistischen Diktatur als universelle Mahnung wachzuhalten und die daraus folgende Verantwortung wahrzunehmen ist vordringliche Aufgabe deutscher Erinnerungskultur.“ (Z 1561)

Außer bei der Erinnerung an die NS-Zeit findet „deutsche Kultur“ im Grundsatzprogramm keine Erwähnung. Die Beherrschung bestimmter Kulturtechniken ist den Grünen aber durchaus ein Anliegen:

„Alle Menschen [in Deutschland], die nicht oder nicht ausreichend lesen, schreiben oder rechnen können, sollen […] spezielle Förderungen haben und diese in Anspruch nehmen können.“ (Z 2014)

Deutsche Kultur und Sprache

Glosse
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Vor der Reichsgründung 1871 bildeten die Deutschen keine politische Nation, sondern eine „Kulturnation“. Diese Kulturnation – 2020 gab die Deutsche Post Sondermarken zum 250. Geburtsjahr des Komponisten Ludwig van Beethoven und des Philosophen Georg Friedrich Wilhelm Hegel heraus – existiert für die Grünen nicht mehr, womit sie politisch nicht allein stehen. Schon 2017 befand die seinerzeitige Integrationsbeauftragte der Bundesregierung: „Eine spezifische deutsche Kultur [ist] jenseits der Sprache schlicht nicht identifizierbar“.

Immerhin: Die deutsche (Kultur)Sprache blieb hier noch erhalten. Allerdings nicht mehr im Text des Grundsatzprogramms. Er ist systematisch auf Genderdeutsch geschrieben und bietet Sprachperlen wie 

„Das freie Unternehmer*innentum, die Gründer*innen und Start-ups sind die Treiber*innen für Innovation“ (Z 823)

                                                       oder

[Wir fordern] ein modernes Staatsbürger*innenschaftsrecht, das mehrere Staatsbürger*innenschaften ermöglicht“ (Z 3048).

Die fast zweihundert gegenderten Konstruktionen (ungegendert bleiben übrigens „Diktatoren“, „Großinvestoren“  und „bürgerorientierte Verwaltung“), die wie Windräder im Text stehen, zeigen eine Gewalttätigkeit gegen die deutsche Sprache, die ganz und gar nicht zum Leitspruch des Grundsatzprogramms passt: „ … zu achten und zu schützen …“.

Unbeachtliche Deutsche?

Achtung und Schutz für die Deutschen findet man im Grundsatzprogramm nicht: sie sind unbeachtlich. An sich müsste aber auch für die Deutschen der Programmsatz gelten: „Die eigene kulturelle, sprachliche und religiöse Identität zu leben, muss gewährleistet sein“ (Z 2709). Die Deutschen wären zudem eine „autochthone Volksgruppe“ und – zumindest nach globalen Maßstäben – „zu schützen und zu fördern “ (Z 1545), weil ihr demographisches Gewicht zurückgeht: 1990 stellten sie 1,39% der Weltbevölkerung, 2019 nur noch 1,07%.

Auch innerhalb Deutschlands nimmt der Anteil der Deutschen ab: von 93 Prozent der Bevölkerung 1990 auf 87 Prozent 2019. Der Altersaufbau zeigt diesen Rückgang deutlicher: Bei den 60-Jährigen ist der Anteil der Deutschen 93 Prozent, bei den 30-Jährigen 78 Prozent.

Peinliches Vorwort:
Robert Habeck hat aus dem Roman „1984“ nichts gelernt
Der Rückgang der deutschen Bevölkerung wäre wesentlich stärker, wenn er nicht durch Zuwachs „von außen“ teilweise ausgeglichen würde: 2019 wurden rund 128.000 Ausländer eingebürgert, und 70.000 Neugeborene stammten aus deutsch-ausländischen Ehen; 39.000 Neugeborene mit ausländischen Eltern erwarben die deutsche Staatsangehörigkeit bei Geburt, weil mindestens ein Elternteil seit acht Jahren in Deutschland seinen rechtmäßigen Aufenthalt hat und eine Niederlassungserlaubnis besitzt. Demographisches Fazit: Das deutsche Staatsvolk hat sich in den letzten drei Jahrzehnten internationalisiert, und das „weltoffene Deutschland“, welches die Grünen fordern, ist unter den Deutschen bereits Wirklichkeit.

„Weltoffenheit“ heißt allerdings nicht, dass Deutschland zum globalen Menschenstandort wird, sozusagen Menschland. Es ist das Land der Deutschen, ein Staat mit Grenzen, die „zu achten und zu schützen“ sind, damit es das Land der Deutschen bleibt.

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Ist das grüne Grundsatzprogramm mit seiner Nichtbeachtung der Deutschen ein Sonderfall in der Parteienlandschaft ? Sprachlich nicht: Im CDU/CSU-Regierungsprogramm 2017 – 2021 (72 Seiten mit 2.995 Zeilen) kommen die Deutschen auch kaum mehr vor, nämlich dreimal.

Die Deutschen finden eben bei den zukünftigen schwarz-grünen Koalitionären nicht mehr statt.

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