Tichys Einblick
"Fehlbesetzung" Anne Spiegel

Grüne Familienministerin kämpft um ihre politische Zukunft nach Versagen in Ahr-Flutkatastrophe

Bundesfamilienministerin Anne Spiegel hat sich drei Stunden vorm rheinland-pfälzischen Landtag verteidigt: Als Umweltministerin dort habe sie während der Flutkatastrophe an der Ahr nicht versagt – ihr politisches Überleben ist eine Frage der Arithmetik.

picture alliance/dpa | Arne Dedert

Die rheinland-pfälzischen Grünen veranstalten an diesem Samstag einen Landesparteitag. Größtenteils digital. Weil sich die Grünen wegen ihrer Vergangenheit in den Bürgerinitiativen als eine besondere Partei sehen wollen, heißt der Parteitag Delegiertenversammlung. Aber längst ist er als Parteitag das, was er bei SPD, CDU oder FDP auch ist: durch und durch orchestriert. Wenn es überhaupt noch Kritiker gibt, werden sie so eingerahmt, dass am Ende nicht sie die Beiträge in SWR und Zeitungen bestimmen. Nicht der Text entscheidet, so die dahinter stehende Logik, sondern die Überschrift.

Flutkatastrophe verschlafen
Ministerin Anne Spiegel war während der Flut vor allem um ihr Image besorgt
Vom Parteitag hat Anne Spiegel nichts zu fürchten. Im Netz wird sie als „Fehlbesetzung“ bezeichnet, ihre Partei kennt für sie kein böses Wort. Vom Untersuchungsausschuss im Landtag hatte Spiegel auch nichts zu fürchten. Dabei kann sich die einstige Landesministerin auf zwei Faktoren verlassen: zum einen auf eine Landespresse, die sich als Begleitjournalismus versteht, statt Finger in Wunden zu legen, geschweige denn Wunden aufzureißen. Zum anderen auf die Opposition der CDU. Die ist seit über fünf Jahren eingekeilt von Ampel und AfD. In dem Interessenkonflikt, der daraus entsteht, ist es den Christdemokraten wichtiger, nicht den Rechten zu ähneln, als die Regierung hart zu stellen: „Zuständigkeiten werden hin- und hergeschoben, niemand sieht sich in der Verantwortung. Die Ampelregierung hat in der Krise versagt“, bilanziert CDU-Obmann Dirk Herber den dreistündigen Auftritt der ehemaligen Landesministerin.

Druck baut das nicht auf. Die rheinland-pfälzische CDU scheitert in schöner Beständigkeit an der Aufgabe, die Schwächen der Regierung Malu Dreyers (SPD) auf den Punkt zu bringen. Im Falle der Ahr-Katatstrophe bedeutet das:

  1. Das Land hat die Bevölkerung nicht so stark vor der Gefahr gewarnt, wie das möglich gewesen wäre. Im Gegenteil. Am Nachmittag des 14. Juli hat das rheinland-pfälzische Umweltministerium eine Pressemitteilung herausgegeben, in der es hieß, dass „kein Extremhochwasser“ zu erwarten war. Gut eine Stunde später hat Staatssekretär Erwin Manz (Grüne) gewusst, dass diese Aussage ein gefährlicher Fehler war. Regierungstreu wie der SWR ist, verbreitete er diesen Irrtum beziehungsweise warnte die Menschen an der Ahr eben nicht vor dem, was ihnen bevorsteht. Manz meinte, es genüge, den Fehler einen Tag später zu korrigieren. Doch da waren schon über 100 Menschen gestorben. Wie viele von ihnen könnten noch leben, wenn Manz anders entschieden hätte? CDU und Landespresse ersparen ihm diese Frage.
  2. Spiegel war in der Nacht nicht erreichbar. Sie sagt vor dem Ausschuss, sie habe nicht gewusst, wie dramatisch sich die Situation an der Ahr entwickelt. Das hält sie für eine Entschuldigung. Aber es ist der Beleg für ihre Unfähigkeit, Verantwortung zu übernehmen: Wenn die Pegelstände steigen, muss der oder die für die Meldung der Pegelstände Verantwortliche erreichbar sein und darf nicht abtauchen. Und wer ein Haus mit Verantwortung führen will, der muss es so organisieren, dass er in Notfällen erreichbar ist. Vor allem, wenn es um Leben und Tod geht. Das gilt für eine Sie genauso wie für einen Er. Allemal, wenn sie wie Spiegel die Gleichstellung zu einer ihren wichtigsten politischen Anliegen macht.
  3. Spiegel sorgte sich um ihr Image mehr als um die Lage an der Ahr und ihren Nebenflüssen. Dass es so war, belegt das Protokoll der internen Beratung, das Focus und FAZ aus dem Umweltministerium heraus öffentlich gemacht haben. Schon die Tatsache, dass Mitarbeiter diese SMS-Nachrichten weitergegeben haben, zeigt, dass dieses Ministerium nicht so geschlossen hinter der Ministerin steht, wie es die Grünen nach außen inszenieren.

Auch die künftige Kommunikations-Strategie machte das Protokoll öffentlich. Alle müssten einfach behaupten. Spiegel hätte ja gewarnt. Immerhin diese Strategie ist nachhaltig und wird vom Parteitag befolgt. Spiegel selbst hat sich krank gemeldet. So erklärt der grüne Obmann im Ausschuss, Carl-Bernhard von Heusinger, in Spiegels Sinne schon vorab: „Es wurde erneut bestätigt, dass die Flutwarnungen rechtzeitig und ohne Abstriche vor Ort bei den Katastrophenschutzbehörden waren… Ministerin Spiegel warnte zusätzlich am Katastrophentag in ihrer Plenarrede öffentlich und eindringlich vor der sich zuspitzenden und gefährlichen Lage in der Eifel.“ Die Pressemitteilung, die so fatal wirkte, lässt Heusinger aus. Auch dass sie wider besseren Wissens nicht korrigiert wurde. Angesichts von Medien und Presse in Rheinland-Pfalz dürfte dieses Schweigen über den peinlichen Punkt zur gemeinsamen Haltung werden.

keine Entschuldigung bei Opfern
Familienministerin Spiegel versucht, die Flut-Affäre auszusitzen
Bliebe noch die Bundespartei. Doch auch von der Seite hat Spiegel kein Unbill zu erwarten. Im grünen Haus ist sie wie ein Pfeiler an einer statisch sensiblen Stelle: Die Frauenpartei tut sich schwer damit, genug ministrable Frauen zu präsentieren. So blieb die heutige Umweltministerin Steffi Lemke in der Führungsreserve, obwohl sie 2013 in der Organisation des Wahlkampfs episch versagte.

Vor allem aber gilt Spiegel in den Grünen als Linke. Was früher Fundis und Realos waren, sind heute Linke und Liberale in der Partei. Nur dass die heutigen Linken und ehemaligen Fundis deutlich mehr Mitglieder stellen als potenzielles Führungspersonal – was die Besetzung kompliziert macht. Eine linke Frau in der Regierung auszutauschen, wäre da eine heikle Aufgabe. Da ist den Verantwortlichen der Preis schlicht zu hoch angesichts des zu erwartenden Ertrags: Als Bundesfamilienministerin ist Spiegel bisher vor allem mit banalen Forderungen aufgefallen wie der, dass Stiefeltern künftig Bonuseltern heißen sollen. Oder dass Männer die Hälfte des Hausputzes übernehmen. Für Menschenleben ist eine Bundesfamilienministerin nicht verantwortlich. Dann kann das, so das grüne Kalkül, sogar Anne Spiegel das machen.

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