Tichys Einblick
Warum Frankreich ganz nah ist

Gelbe Westen: finden sich in jedem Auto

Paris – das ist ganz nah. Gelbwesten zeigen sich auch hierzulande, zum Beispiel, wenn es um die Mobilität geht. Was heute in Frankreichs Hauptstadt passiert, kann morgen in Berlin seine Fortsetzung finden. In Stuttgart zeigt sich bereits, das auch in deutschen Autos durchaus gelbe Westen zu finden sind.

Demonstration in Stuttgart am 2. Februar 2019

THOMAS KIENZLE/AFP/Getty Images

Die Champs Elysées haben sich die Demonstranten ganz gezielt ausgesucht. Die Bilder brennender Häuser, von Rauchschwaden und einem Hagel von Pflastersteinen vor dem Arc de Triomphe: diese Bilder schmerzen einem französischen Patrioten sehr. Sich dem Ehrenmal für den unbekannten Soldaten im Arc de Triomphe auch nur unangemessen zu nähern: ein Sakrileg bis vor kurzem. – Vorbei, alles vorbei. Die Weihestätte war im Dezember bereits Ziel von Angriffen und musste auch jetzt massiv geschützt werden. Die Wut vieler Franzosen über den mangelnden Willen zur Veränderung und die ökonomische Misere ist so groß, dass sie die Symbole der Grande Nation – den Glanz der Prachtstraße ebenso wie das benachbarte Kriegerdenkmal – ganz gezielt zu schänden versuchen.

Die Preise für Treibstoff waren der Ausgangspunkt für die Gewaltausbrüche in Frankreich – also die Angst um die eigene Mobilität und den sozialen Status. Die ökonomische Lage im Lande ist unerfreulich, die ländlichen Gebiete bleiben massiv hinter dem Fortschritt in den Städten zurück und Macron zeigt sich nach anfänglich volkstümlicher Attitude längst als Angehöriger der École-nationale-Kaste, die seit Jahrzehnten in Frankreich die Macht innehat.

Konkreter Anlass für die Gewaltorgie vom 16. März war das Ende einer zweimonatigen Serie von „Bürgerdialogen“, die Emmanuel Macron durchgeführt hatte und die aus Sicht der „Gelbwesten“ nur leere Worte brachte, nur ein Wahlkampftrick waren. In einem Online-Aufruf war der vergangene Samstag zu einem „Ultimatum“ ausgerufen worden. Zugleich wird nun klar, warum die Gelbwesten-Bewegung in den letzten Wochen scheinbar an Schwung verloren hatte – eine beträchtliche Zahl von Protestwilligen hatte dem Präsidenten offenbar die Chance geben wollen, die Bürgerdialoge erfolgreich zu gestalten. Die erste Quittung dafür, dass dies nicht gelang, erlebten am vergangenen Samstag die Bürger von Paris.

Wenn es dann erst losgegangen ist mit der Eskalation, die sich aus der augenscheinlichen Erfolglosigkeit einer Protestbewegung ergibt, machen die Demonstranten dann recht schnell eine unangenehme Bekanntschaft. Verstärkung ist ja prinzipiell willkommen, und spät erst wird erkennbar, wenn eine Spezies reisender Söldner in Sachen Gewalt tätig wird: wenn die ersten Häuser brennen. Auffällig ist dabei, dass es sich um linke und linksextreme Gewalt handelt, um die aus dem tatsächlichen oder vorgeschobenen Geist des Sozialismius handelt. Auch in Paris wurden gezielt Lokale, Geschäfte und Örtlichkeiten verwüstet, von denen man wusste oder vermutete, das sie vom „Establishment“ bevorzugt aufgesucht werden. Es geht hier um einen Kampf gegen „das Kapital“. Unklar blieb auch in Paris, einen wie großen Anteil die sozialistischen Söldner hatten.

Frankreich ist keine Insel

Um die wirkliche Stärke der Gelbwesten etwas genauer einordnen, lohnt ein Blick über die Grenzen Frankreichs hinaus. In Spanien zum Beispiel fand zeitgleich mit den gewalttätigen Protesten des Samstags eine gewaltige Demonstration von Katalanen für die Unabhängigkeit ihres Landes statt, und das mitten in Madrid – wie in Frankreich versucht hier eine große Gruppe in der Bevölkerung, mit einem ihr wichtigen Anliegen Gehör bei den Regierenden zu finden: die Katalanen. Auch in Deutschland, beim östlichen Nachbarn der Franzosen, rumort es. Was hierzulande befürchtet wird, ist in Frankreich bereits harte Realität. Und so versorgen  sich die Leute, die für alle Lagen gerüstet sein wollen, mit Gelben Westen – auch hierzulande.

Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Wie in Frankreich fühlen hierzulande Millionen, dass an ihnen vorbeiregiert wird: in der Migrationsfrage, beim Diesel, bei der Energiewende, bei der Not im Alter, beim Wohnen. Es darf vermutet werden, dass zwischen Flensburg und Friedrichshafen vor allem deswegen bislang keine Gewalt ausbrach, weil die wirtschaftliche Lage für die Meisten außergewöhnlich gut ist. Was wiederum den Schluss zulässt, dass auch in Deutschland die Gelbwesten zwischen Brandenburger Tor und Neuer Wache gesichtet werden könnten – etwa, weil die Autoindustrie aufgrund des medialen und juristischen Trommelfeuers aus dem In- und Ausland und dessen Folgen in die Knie geht. Und massenhaft Jobs verloren gehen.

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Auch die reisenden Gewalttäter, die jetzt in Paris ihre Fratze zeigten, werden nach Deutschland kommen, wenn hierzulande die Geldquellen versiegen oder auch nur ein wenig schwächer sprudeln sollten. Der G-20-Gipfel in Hamburg hat einen Anfang dessen, was möglich ist, deutlich aufgezeigt. Leichtes Spiel werden die Gewalttäter dabei aufgrund einer großen Bigotterie in vielen Parteizentralen und den öffentlich-rechtlichen Medien haben: Demonstranten, die hierzulande mild lächelnd geschont werden, müssen nur ins Ausland reisen, um zu Gewaltverbrechern gestempelt zu werden. Es würde jedenfalls nicht überraschen, wenn im Hambacher Forst einige Baumhäuser verwaist waren, während in Paris die Steine flogen.

Die Gelbwesten-Bewegung in Frankreich wie in Deutschland gründet sich auf echte Sorgen, nicht auf Gewalt. Dafür spricht auch, dass sie in Stuttgart ihren ersten regelmäßigen deutschen Auftritt hat, Woche für Woche. Denn im Stuttgarter Rathaus wurde aus dem berechtigten Anliegen der Luftreinheit ein kommunaler Bürgerkrieg gegen große Teile der Bürgerschaft. Stuttgart zeichnet sich nicht nur seine besondere Lage in einem Talkessel aus, sondern auch durch ein starke und höchst innovative Firmenstruktur der Autoindustrie. Hier wird exemplarisch deutlich, wie stark Deutschland vom Autobau und der Mobilität abhängt. Wo viele Bürger also Angst um ihre sozialen Errungenschaften – ja, um ihre wirtschaftliche Existenz – haben, wenn es einen innenpolitischen Krieg gegen das Auto gibt, der von einer bestimmten politischen Richtung aus geführt wird. Womit sich der Kreis hinüber nach Frankreich schließt. Von Stuttgart aus ist man in wenigen Autostunden in Paris. Umgekehrt geht’s genauso schnell.