Tichys Einblick
Zwölf-Punkte-Papier von Christian Lindner

FDP rudert schon wieder zurück

Die FDP hat mit liberalen Forderungen Staub aufgewirbelt. Journalisten sowie Politiker von SPD und Grünen sehen darin eine „Scheidungsurkunde“ für die Ampel. Doch die FDP rudert schon jetzt zurück.

Christian Lindner beim FDP-Landesparteitag NRW, 13.04.2024

In der Politik gibt es die fatale Tendenz, einem Gegner keine Talente zugestehen zu wollen. Das gilt auch für Christian Lindner. Der FDP-Chef wird derzeit von linken wie von rechten Medien zerrissen. Doch Lindner muss auch Talente haben, sonst hätte er es nicht bis zum Finanzminister geschafft. Zu diesen Talenten gehört die Fähigkeit, sich medial zu inszenieren. Lindner hat ein Zwölf-Punkte-Programm mitentwickelt und am Wochenende in befreundeten Medien lanciert. Andere Medien sprangen drauf an; Politiker aus der Regierung wie aus der Opposition sprachen gar von einem „Lambsdorff-Papier“, das Sprengstoff sei und das Zeug dazu habe, die Ampel zu beenden.

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Ein Coup. Die FDP war endlich mal wieder so im Gespräch, wie sich Lindner das wünscht. Egal, wie sehr man ihn politisch auch ablehnen mag: Mediale Inszenierung kann der FDP-Chef. Sein Problem ist nur die politische Umsetzung. Erst seit zwei Jahren steht Lindner in der Verantwortung, politische Positionen nicht nur zu inszenieren, sondern auch umzusetzen. Und seit zwei Jahren zeigt sich der Finanzminister mit dieser Aufgabe hoffnungslos überfordert. Er mag eine kluge Stimme in der Frage sein, wie liberale Politik aussehen müsste. Doch er ist eine massive Fehlbesetzung in der Umsetzung eben dieser liberalen Politik.

Nun also das Zwölf-Punkte-Papier:
– Die FDP will härtere Strafen für Empfänger von Bürgergeld, wenn sich diese einer Arbeit verweigern. Zack.
– Die FDP will die Rente mti 63 abschaffen. Wumm.
– Die FDP will die Baukosten und bürokratische Auflagen reduzieren, das Lieferkettengesetz aussetzen, die Förderung erneuerbarer Energien beenden, den Solidaritätsbeitrag endgültig abschaffen, steuerliche Vorteile für Überstunden schaffen oder Freibeträge in der Einkommenssteuer erhöhen. Zisch.

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Nur: Wie ernst meint die FDP das alles? Die Partei hat einen großen medialen Coup übers Wochenende gelandet. Medien vergleichen Lindner mit Otto Graf Lambsdorff, der seinerzeit die Koalition mit der SPD platzen ließ. Der Parteivorstand stimmt am Montag dem Papier zu. Jetzt warten alle Journalisten darauf, wie ernst es die FDP damit meint. Und Christian Lindner schickt seinen Generalsekretär Bijan Djir-Sarai in die Pressekonferenz, um es vorzustellen. Flankiert von der Spitzenkandidatin für die Europawahl, Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Christian Lindner hat ein Gespür für politische Gesten, ihm müsste klar sein, dass diese Besetzung ihn als politisches Weichei erscheinen lässt. Lindners Problem ist nur, dass keine Geste stark genug wäre, um davon abzulenken, dass er tatsächlich ein politisches Weichei ist.

Djir-Sarai soll also nun den Journalisten und dem Wahlvolk vermitteln, dass es die FDP mit ihrem Papier durchaus ernst meint. Doch das überfordert ihn. Es muss ihn überfordern. Der Generalsekretär würde gerne mit der Union koalieren und will mit dem Papier an Lambsdorff erinnern. Es gibt halt nur ein Problem: 1982 hatten FDP und Union im Bundestag tatsächlich eine Mehrheit. Lambsdorffs Papier war eine Drohgebärde mit einer realen Drohkulisse. Das jetzige Papier ist das Spitzen der Lippen zum Pfeifen, veröffentlicht von einer Partei, der jede Luft zum Pfeifen fehlt.

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So wird Djir-Sarais Auftritt auch zum großen Zurückrudern. Zur traurigen Relativierung des Effekts, den das Papier medial anfangs erreicht hat. Der Generalsekretär sagt zuerst: „Die Welt heute ist eine andere Welt als zum Zeitpunkt des Koalitionsvertrags.“ Und Deutschland brauche Reformen, die schon vor zehn Jahren hätten angeschoben werden müssen. Djir-Sarai will also unter einen Hut bringen, dass die FDP in der Ampel bisher nichts falsch gemacht hätte, aber nun trotzdem alles anders machen wolle und müsse. Schwacher Versuch.

Doch es wird noch schwächer. Djir-Sarai fordert im Rahmen des Papiers ein „Moratorium für Sozialleistungen“. Was heißt das? Deutschland soll keine zusätzlichen Sozialleistungen einführen. Für drei Jahre. Damit ist der Generalsekretär beim Kern des Papiers: Die FDP will als starke liberale Kraft gelten. Bis zur Europawahl. Und bis zur Bundestagswahl. Danach ist sie wieder für jeden Kompromiss offen. So wie die letzten zwei Jahre, in denen die FDP von Atomausstieg, über Selbstbestimmungsgesetz, Erhöhung des Bürgergelds um 25 Prozent und Verlängerung der Corona-Maßnahmen bis hin zu Habecks Heizhammer jeden grün-roten Unsinn mitgemacht hat.

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Steht das Papier nun am Anfang eines Ausscheidens der FDP aus der Bundesregierung? So wie die FDP einst nach dem Papier von Lambsdorff die sozial-liberale Koalition verlassen hat? Ein klares Nein. Djir-Sarai beschwichtigt vor den Ampel-nahen Hauptstadtjournalisten. Das Papier werde am Wochenende auf dem Parteitag der FDP beraten: „Das ist ein Parteitag der FDP. Nicht der SPD und der Grünen.“ Da würden halt liberale Positionen beraten, beschwört Djir-Sarai die Hauptstadtjournalisten. „Frau Esken schlägt alle zwei Wochen vor, die Steuern zu erhöhen“, sagt der FDP-Generalsekretär ebenfalls. Aus den Forderungen der SPD-Vorsitzenden würden die Journalisten ja auch kein Ende der Ampel herauslesen. Djir-Sarai bettelt die Hauptstadtpresse förmlich an: Wenn die FDP schon nicht wie eine liberale Partei handelt, solle sie wenigstens wie eine liberale Partei reden dürfen.

Das ist naiv. Vorsichtig ausgedrückt. Und schwach, vor allem ist es schwach. Der FDP-Generalsekretär beschwört eine ihm feindlich eingestellte Presse, Verständnis für seine Nöte zu zeigen. Wie will die FDP das Ende der Förderung erneuerbarer Energien gegen die Grünen durchsetzen? Wie will die FDP das Ende der Rente mit 63 gegen Kanzler Olaf Scholz (SPD) durchsetzen, wenn sie nicht einmal den Hintern in der Hose hat, sich entschlossen den Kommentatoren von ARD oder Süddeutscher Zeitung entgegenzustellen?

Lindner ist ein Schlauberger, der sich inszenieren kann und dem Kampf immer wieder ausweicht. Djir-Sarai vorzuschicken, zeugt erneut von dieser Stärke und Schwäche des FDP-Chefs. Stärke, weil er es damit bis zum Finanzminister geschafft hat. Schwäche, weil er damit als liberaler Finanzminister hemmungslos grün-rote Politik umgesetzt hat und als katastrophale Fehlbesetzung in die Geschichte eingehen wird. Daran wird das Papier nichts ändern. Die Bundestagswahl von 2025 indes könnte das Ende der liberalen Partei bedeuten, die sich FDP nannte.