Tichys Einblick
Klärung in der grünen Partei nötig

Erhebt Robert Habeck den Neostalinismus zur grünen Parteiräson?

Ist es am Ende die Verzweiflung darüber, dass man über die 10/12 Prozent bei Wahlen nicht hinauskommt? Muss man die „Art, wie Politik gemacht wird“ deshalb „neu erfinden“, weil man mit der alten, demokratischen Art nicht vorankommt?

Sean Gallup/Getty Images

Ein Gespenst geht um in der Grünen Partei, das Gespenst des informellen Machtverlustes, des Verlustes ihrer Bundeskanzlerin. Um dem Gespenst zu wehren, publizierte am Abend des 15. Juni der Vorsitzende der Grünen, Robert Habeck, eine Art politischer Geisterbeschwörung. Man könnte den Text ignorieren, weil dem Autor offensichtlich die Nerven durchgegangen sind, aber er enthüllt Habecks Denken und seine krude Weltsicht. Die eigentliche Frage lautet, ob das auch die Sicht der Partei ist? Diese Frage müssen die Grünen nun beantworten.

Dass Angela Merkel von den Linken, von der taz und von den Grünen vehement verteidigt wird, sagt alles über die Positionen dieser Kanzlerin aus. Sorgt sich Robert Habeck um ihr politisches Überleben, fürchtet er das Ende einer von den Grünen inspirierten Politik, wie sie die Vorsitzende der CDU ihrer Regierung und ihrer Partei mit der Abschaffung der Wehrpflicht, dafür der Einführung der Ehe für alle, mit der Energiewende, mit der Euro- und EU-Politik, vor allem mit der Massenmigration und der Öffnung der deutschen Sozialsysteme für Zuwanderer aus der ganzen Welt, wenn sie an der Grenze das Wort Asyl sagen, aufgezwungen hat?

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In Verkennung und Verdrehung der Tatsachen behauptet Habeck, die CSU habe „eine veritable politische Krise ausgelöst“. Die Wahrheit ist, dass wir spätestens seit 2015 in einer politischen Dauerkrise leben. Ihren Ausgang nahm sie allerdings mit dem Projekt der Alternativlosigkeit, ihre Treiber in den diversen Teilkrisen, von der Finanz- bis zur Migrationskrise, und ihren Grund im zur Herrschaft gelangten Ökowohlstandswohlfühlbürgertum, das unfähig ist, den notwendigen Interessenausgleich zwischen den verschiedenen Schichten oder Milieus der Gesellschaft zu garantieren.

Mit ihrem Schwenk nach links hat die CDU-Vorsitzende die politische Statik der Bundesrepublik aufgelöst. Sie hat, ohne sich um die Folgen zu scheren, eine tragende Säule unserer politischen Architektur eingerissen. Nichts widerlegt die Mär, die Kanzlerin durchdenke alles gründlich vom Ende her stärker, wenn damit nicht gemeint war, sie bedenke alles vom Ende Deutschlands her.

Wenn Habeck formuliert, dass die Konsequenz  „fundamentaler und basaler“ nicht sein kann, hat das heuristisch keinen anderen Wert als: Das Fundament ist die Basis unseres Grundes. Sehen wir über Habecks wirren Stil hinweg.

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Der grüne Parteivorsitzende behauptet, dass sich das Politische in Richtung einer autoritären Politik verschoben habe. Aber was heißt das? Wer hat verschoben? Robert Habeck bemüht eine so wirkungsvolle wie unzutreffende Propagandabehauptung der Grünen und Linken. Bereits 1993 hatte Jürgen Trittin die Wiedervereinigung in dem Buch: „Gefahr aus der Mitte: die Republik rutscht nach rechts“ als „Anschluss ohne Befragung der BRD-Bevölkerung“ bezeichnet. Dass der Begriff „Anschluss“ dabei auf die Annektierung Österreichs durch Nazideutschland anspielte, kann dem Autor nicht entgangen sein. Wie abgrundtief Trittins Hass auf die Ostdeutschen, die in einer friedlichen Revolution die Freiheit erkämpften, ist, zeigt sich in einem Vergleich, den Jürgen Trittin insinuiert, wenn er zuvor behauptet, der „Anschluss“ habe stattgefunden, weil „die Bevölkerung der ehemaligen DDR dies wollte“. Der Grüne behauptete 1993 schon: „Die Bundesrepublik rutscht nach rechts.“

Dieselbe Behauptung vertritt in aktualisierter Form Habeck in seinem Text. Die Auflösung der Wehrpflicht, die Einführung der Ehe für alle, die Energiewende, die Öffnung der Grenzen und die unkontrollierte Masseneinwanderung nach Deutschland und in die deutschen Sozialsysteme sind in der Tat beeindruckende und überzeugende Belege für den Rechtsruck der deutschen Gesellschaft und der deutschen Politik.

In Wahrheit wird spätestens seit den neunziger Jahren alarmistisch der Teufel an die Wand gemalt, dass die Republik nach „rechts rückt“, während sie immer weiter nach links verschoben wird. Wer diesen vehementen Linksruck nicht mitmachen will, wird als Rechter, Rechtsextremist, Rassist, Heterodominanter, Islamophober und was dergleichen mehr an Beschimpfungen sind, die von willigen Politologen tagtäglich erfunden werden, heruntermoralisiert und denunziert. Hat man denjenigen erstmal in der rechten Ecke, werden ihm die demokratischen Rechte aberkannt, denn Habecks Vorstellung von Freiheit scheint in die Maxime zu gerinnen: Jeder darf völlig frei und offen meine Meinung äußern.

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Deshalb verwundert es nicht, dass der Vorsitzende der Grünen in einem Anfall von Pathos die Reckenrolle für seine Partei beansprucht, weil es „ganz maßgeblich an den Grünen liegen“ wird, „das Terrain für die liberale Demokratie wieder zurückzuerkämpfen.“ Wann ist das denn verloren gegangen? Unter der Bundeskanzlerin Angela Merkel? Dann müssten die Grünen gegen und nicht für die Bundeskanzlerin streiten. Sie müssten zur Abwechslung einmal Opposition machen.

Wie erklärt es sich, dass die Grünen ausgerechnet die Bundeskanzlerin vehement und in wahrhafter Nibelungentreue verteidigen, unter der nach Habecks Ansicht „das Terrain für die liberale Demokratie“ verlustig ging.

Einmal in der Rolle des Polit-Heroen angekommen, vermag Robert Habeck von der Metapher des Kampfes nicht mehr zu lassen. Er spaltet die Gesellschaft in zwei Teile, für ihn die Guten, gegen ihn die Bösen. Zwischen Schwarz und Weiß existiert für den Kämpfer Habeck nichts mehr: „Alle Parteien werden sich entscheiden müssen, auf welcher Seite sie stehen.“ Und es existieren für ihn nur zwei Seiten. Inspiriert sind die Zeilen in Inhalt und Diktion vom Kommunistischen Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels: „ Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen. … Unterdrücker und Unterdrückte standen in stetem Gegensatz zueinander, führten einen ununterbrochenen, bald versteckten, bald offenen Kampf, einen Kampf, der jedesmal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen.“ Gute und Böse, Grüne und Nichtgrüne.

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Man spürt dem Text an, dass er getrieben von der Sorge ist, Bundeskanzlerin Angela Merkel könnte entmachtet und der Umbau Deutschlands aufgehalten werden, wenn er schreibt: „Deshalb ist in den Koalitionsfragen auch alles Mögliche im Bereich Asyl vereinbart worden …“ Was vereinbart wurde, ist Habeck nicht wichtig. Es ist nur alles Mögliche, eben alles, was für die Grünen teils möglich, teils wünschenswert ist, obwohl sie an den Verhandlungen gar nicht teilgenommen hatten, zwischen CDU und SPD vereinbart worden, jedoch und darauf kommt es ihm an: „dies aber nicht“. Mit „dies“ ist die Zurückweisung an der Grenze gemeint für Personen, die aus einem sicheren Drittstaat kommen oder keine gültigen Papiere besitzen.

Der Versuch der Rückkehr zu rechtsstaatlichen Grundsätzen, wie sie vor dem Herbst 2015 galten, wird dem Grünen dann auch zu einem „konservativen Putsch innerhalb der Union, eine Richtlinienverschiebung der deutschen Politik zurück nicht nur hinter Helmut Kohl, sondern faktisch hinter Konrad Adenauer.“ Die Richtlinienverschiebung hinter Adenauer bedeutet „faktisch“ aber das Anknüpfen ans Dritte Reich.

Behauptet der grüne Parteivorsitzende allen Ernstes, die Rückkehr zu Recht und Gesetz, zur gängigen Praxis vor dem Herbst 2015 wäre ein Rückfall ins Dritte Reich? An dieser Stelle muss sich Robert Habeck erklären!

Nur zur dringend notwendigen Klärung: Behauptet der Vorsitzende der Grünen Partei, dass die CSU eine „Richtlinienverschiebung zurück „faktisch hinter Adenauer“, heißt ins Dritte Reich betreibt?

Die Frage hat Bedeutung für die CDU, denn sie muss sich fragen, ob sie mit einer Partei gemeinsame Landesregierungen stellen kann, die der CSU unterstellt, zurück hinter Adenauer in die Vorstellungen des Dritten Reiches fallen zu wollen. In seiner Panik verheddert sich Habeck noch schlimmer, wenn er behauptet, dass es der CSU „um eine Allianz mit den nationalistischen Staaten“ ginge. Unter die „nationalistischen Staaten“ zählt Habeck die „autoritären Regime in Osteuropa“ und das Österreich unter Sebastian Kurz. Dass Victor Orban vor kurzem mit großer Mehrheit vom ungarischen Volk in einer demokratischen Wahl wiedergewählt wurde, entgeht dem „Demokraten“ Habeck, auch dass Sebastian Kurz vom österreichischen Volk das Mandat zur Regierungsbildung erhalten hat. Für Robert Habeck ist eine demokratische Wahl offensichtlich nur dann gegeben, wenn die Bürger die Partei wählen, die Robert Habeck wünscht. Das nennt man schlicht Neostalinismus.

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Ungeheuerlich und geschichtsvergessen ist die Behauptung des grünen Parteivorsitzenden, dass die CSU die Richtlinienverschiebung der Politik hinter Konrad Adenauer, also in den Nationalsozialismus hinein mit dem Ziel betreibe, um ein Bündnis mit den Ländern zu schmieden, die unter dem Nationalsozialismus gelitten haben. Österreich und Polen wurden von Nazideutschland annektiert, in Ungarn wurde ein faschistisches Vasallenregime installiert. Nach der Befreiung vom Faschismus brach für Polen und Ungarn und Ostdeutschland nicht die Freiheit an, sondern sie wurden von der Sowjetunion besetzt und unterdrückt. Der Kampf für die Freiheit wurde von sowjetischen Truppen niedergeschlagen: 1953 in der DDR, 1956 in Ungarn, 1968 in der Tschechoslowakei. Vielleicht erklärt Karin Göring-Eckhardt das ihrem Parteivorsitzenden einmal.

Habeck will „die Art, wie Politik gemacht wird, neu erfinden“. Will er sie auch durchsetzen? Liebäugelt er mit einem „Einparteiensystem?“ Denn, wenn alle Parteien auf einer Seite stehen, dann sind sie auch eine Partei. Ist Habecks Vorbild das Blockparteiensystem der DDR? Die Nationale Front?

„Wenn wir realistisch sein wollen, müssen wir radikal werden. Wenn wir kämpfen, müssen wir bereit sein, alles zu verlieren. Nur so werden wir gewinnen.“ Marx? Lenin? Stalin? Mao? Nein, Robert Habeck. Wo bleibt in diesem totalitären Weltbild die Toleranz, die Vorstellung des Meinungsstreites, des gesellschaftlichen Discourses? Mit dieser Polarisierung, mit dieser Kampfmetaphorik nimmt Robert Habeck eine Position ein, die weiter von Voltaire, von dem ihm zugeschriebenen Diktum: „Ich bin zwar nicht ihrer Meinung, aber ich werde alles tun, damit sie ihre Meinung frei äußern können“ nicht entfernt sein könnte. Habecks Text ist schlicht antiaufklärerisch.

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Kennen wir alle, die die DDR noch erlebt haben, nicht diesen Ton der Rechthaberei, der Intoleranz, die Verkündung des unerbittlichen Kampfes gegen den Klassenfeind? Wo sind die Ostdeutschen unter den Grünen, die aus der DDR-Opposition stammen? Müssten sie nicht aufstehen ungeachtet politischer Opportunitäten und ihrem Parteivorsitzendem widersprechen, ihm etwas über das Wesen der Diktatur, über die Realität des Klassenkampfes erzählen. Die Konsequenz des Klassenkampfes ist der Gulag.

In einer Demokratie wirbt man um die eigenen Inhalte, muss die Bürger von ihnen überzeugen und die anderen Angebote inhaltlich, sachlich und logisch entkräften.

Oder ist es am Ende nur die Verzweiflung darüber, dass man über die 10/12 Prozent bei Wahlen nicht hinauskommt? Muss man die „Art, wie Politik gemacht wird“ deshalb „neu erfinden“, weil man mit der alten, demokratischen Art nicht vorankommt?